Schäubles Vorschlag Bürgerräte zur Stärkung der Demokratie?
Bundestagspräsident Schäuble macht sich Sorgen um die Demokratie: Die Bindung zwischen Wählern und Gewählten nähme ab. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, schlägt er vor, vermehrt Bürgerräte einzusetzen.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat angeregt, die Bevölkerung über Bürgerräte stärker in die Politik einzubinden. "Wir müssen unsere parlamentarische Demokratie zukunftsfähig machen", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Die Bürgerräte sieht er dabei als einen wichtigen Ansatz und eine sinnvolle Ergänzung der demokratischen Strukturen. Es gehe "nicht um eine Alternative zur parlamentarischen Demokratie, sondern um ihre Stärkung".
In Bürgerräten sitzen per Los ausgewählte Bürgerinnen und Bürger. Sie sollen sich intensiv mit einem Thema befassen und dabei Zugriff auf Experten haben, die alle auf den gleichen Wissensstand bringen können. Die Ergebnisse sollen dann in einem Bürgergutachten zusammengefasst werden.
Beispiele aus anderen Ländern
Bürgerräte gibt es bereits in einigen europäischen Ländern. Schäuble verwies auf Erfahrungen unter anderem in Irland. Dort hätten Bürgerräte über das Abtreibungsverbot diskutiert, das schließlich per Volksentscheid abgeschafft wurde. In Frankreich hatte Präsident Emmanuel Macron mehrere solcher Gremien zu verschiedenen Themen als Reaktion auf die "Gelbwesten"-Proteste 2018 und 2019 und die Forderungen nach mehr direkter Demokratie einberufen.
Der "Bürgerrat Demokratie" erarbeitete im vergangenen Jahr Empfehlungen zur Weiterentwicklung des politischen Systems.
In Deutschland gab es im vergangenen Jahr den "Bürgerrat Demokratie", der Empfehlungen zur Weiterentwicklung des demokratischen Systems machte. Nächstes Jahr soll unter Schäubles Schirmherrschaft ein weiterer Bürgerrat eingesetzt werden zum Thema "Deutschlands Rolle in der Welt".
Tiefergehende Befassung mit Themen
Schäuble beklagte eine zunehmende Schwächung der Bindung zwischen Wählern und Gewählten - in Europa und in Nordamerika. "Die Kraft der Parteien, die für eine stabile repräsentative Demokratie wichtig sind, ist auch kleiner geworden", sagte Schäuble. Der Bürgerrat könne "eine Art Kompromiss" sein "zwischen einer reinen parlamentarischen Demokratie und einer mit Plebisziten".
Der 78-Jährige sagte der "Süddeutschen Zeitung", von Volksentscheiden auf Bundesebene sei er "weiterhin kein Freund". Bei normalen Plebisziten würden naturgemäß auch viele Bürger abstimmen, "die sich vorher nicht intensiv mit dem Gegenstand beschäftigt haben". In einem Bürgerrat hingegen müssten sich die Teilnehmer "mehrere Wochenenden mit einem Thema befassen und kontrovers diskutieren, bevor sie zu einer Entscheidung kommen - ein solches Votum hat mehr Substanz".