Scholz in der Ukraine Eine Reise mit langer Vorgeschichte
Missverständnisse, Irritationen und verpasste Chancen: Lange hatte Bundeskanzler Scholz mit einem Besuch in der Ukraine gezögert. Nun scheinen alle Hindernisse aus dem Weg geräumt zu sein.
Es war der 24. Februar, als aus dem Ampelkanzler Scholz der Krisenkanzler wurde, der allen Deutschen per Fernsehansprache erklären musste, dass ab jetzt so vieles anders sein würde. "Heute ist ein furchtbarer Tag für die Ukraine und ein düsterer Tag für Europa", sagte der Kanzler zu Kriegsbeginn und ahnte noch nicht, dass in den kommenden Wochen und Monaten auch eine Reise, die er vorerst nicht antrat, zum Thema werden würde.
Scholz und Kiew. Es ist auch eine Geschichte von Missverständnissen, Irritationen, Zweifeln und verpassten Gelegenheiten. Man hatte viel telefoniert, beraten, Hilfe versprochen. Wochenlang. Der Kanzler war nach Moskau gereist, nach Kiew und musste nach Kriegsbeginn dann doch halten, was in Geschichtsbüchern einst Zeitenwende-Rede heißen wird: "Wir erleben eine Zeitenwende und das bedeutet, die Welt danach ist nicht mehr die Welt davor."
Solidarität bislang per Telefon
Die Rede beeindruckte. Auch die Ukrainer. Aber schon die Welt vor dem Krieg war geprägt von Wünschen, von drängenden Hilferufen aus Kiew. Nach Waffen, nach Geld. Nach Beistand und EU-Mitgliedschaft. "Es ist die verdammte Pflicht auch der deutschen Freunde hier, endlich was zu tun und nicht nur zu reden und uns mit Worten zu vertrösten." Der ukrainische Botschafter Melnyk setzte den Ton auch Richtung Kanzler. Lud Scholz nach Kiew ein, forderte, schimpfte und rüpelte sich durch manche Talkshow.
Als die ersten Regierungschefs trotz Krieg nach Kiew reisten, der Brite Boris Johnson mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj medienwirksam solidarisch durch Kiews kriegsleere Straßen lief, tönte es immer lauter: Wann endlich reist der Kanzler? Der aber wiederholte sein Mantra: "Wir arbeiten sehr eng mit der Ukraine zusammen. Ich habe mit dem ukrainischen Präsidenten regelmäßig gesprochen." Per Telefon.
Merz fuhr, Steinmeier nicht
Als Selenskyj aber zum Bundestag sprach, zugeschaltet per Video, sprach der Kanzler nicht, sondern ließ Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckart den Vortritt. Ein Fehler, sagten Beobachter. Scholz aber blieb dabei und reiste weiterhin nicht. Fast trotzig ignorierte er, dass als erster dann CDU-Chef Friedrich Merz fuhr und den Kanzler danach ebenfalls öffentlich drängelte und in jedes Mikrofon erklärte, er habe Scholz ja dringend empfohlen, zu reisen.
Dann kam der 13. April. Bundespräsident Steinmeier wollte nach Kiew, aber Kiew wollte ihn dort nicht, musste ein irritierter Frank-Walter Steinmeier in Polen erklären: "Ich war dazu bereit, aber offenbar - ich muss das zur Kenntnis nehmen - war das in Kiew nicht gewünscht." Ein Eklat mit Folgen auch für die möglichen Reisepläne des Kanzlers, der öffentlich machte, dass er das für einen "ganz bemerkenswerten Vorgang" halte, der der Sache im Weg stehe. Auch der Sache seiner Reise.
Lange lautes Schweigen
Scholz blieb dabei. Wer das deutsche Staatsoberhaupt auslädt, der darf keinen Kanzler erwarten: "Das kann man so nicht machen" sagte er. Der ukrainische Botschafter belegte den Kanzler daraufhin mit einem weiteren Titel. Dem der "beleidigten Leberwurst". Nicht der klügste Schachzug der Ukraine und des hiesigen Botschafters. Es folgte lautes Schweigen, bis Steinmeier und Selenskyj in einem Telefonat den Weg letztlich auch für Scholz freiräumten. "Der Bundespräsident und der ukrainische Präsident haben sehr sorgfältig miteinander gesprochen", so der Kanzler im ihm eigenen Duktus.
Das Ergebnis des Gesprächs: Außenministerin Baerbock reiste nach Kiew. Zuvor Bundestagspräsidentin Bas. Entwicklungsministerin Schulze reiste, zuletzt die Gesundheits- und Landwirtschaftsminister Lauterbach und Özdemir. Nur der Kanzler eben nicht. Der gab zuvor jene Devise aus: Er werde sich nicht einreihen in eine Gruppe von Leuten, "die für ein kurzes Rein und Raus was mit einem Fototermin machen", so Scholz. Er reise nur, wenn ganz konkrete Dinge vorbereitet seien.
Was hat Scholz im Gepäck?
Jetzt scheinen sie offenbar vorbereitet. Olaf Scholz ist heute in Kiew. Mit dem französischen Präsidenten Macron und dem italienischen Regierungschef Draghi an seiner Seite.
Was sie für die Ukraine im Gepäck haben? Der Kanzler wird es dem ukrainischen Präsidenten jenseits des Fototermins mitteilen. Selenskyj hatte zuletzt neben Waffen von Scholz vor allem eines gefordert: Einen schnellen Weg in die EU.