EU-Politiker Giegold zum Fall Kroes "Ein herausragendes Negativbeispiel"
Sven Giegold, Grünen-Abgeordneter im EU-Parlament, setzt sich seit langem gegen Steueroasen ein. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er, wieso die Steuerenthüllung um die ehemalige EU-Kommissarin Kroes zu ihrem Lebenslauf passt.
tagesschau.de: Journalisten von NDR, "SZ" und dem Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten haben bislang geheime Informationen aus dem Firmen-Register der Bahamas enthüllt. Auch die ehemalige EU-Kommissarin Neelie Kroes taucht in den Daten auf. Wie bewerten Sie die Tatsache, dass ausgerechnet Frau Kroes Direktorin einer Bahamas-Firma gewesen ist?
Sven Giegold: Neelie Kroes ist ein herausragendes Negativbeispiel für die Beschädigung von Vertrauen in die Politik. Einerseits hat sie ihre Amtspflicht als EU-Kommissarin schwer verletzt, da sie ihre Geschäfte auf den Bahamas nicht offengelegt hat. Andererseits ist diese Enthüllung die unrühmliche Krone eines Lebenslaufs von Interessenkonflikten.
tagesschau.de: Wie meinen Sie das?
Giegold: Kroes wechselte zwischen Politik und Wirtschaft hin und her. Nachdem sie ihr Amt als Digitalkommissarin niedergelegt hatte, heuerte sie beim Technologiekonzern Uber an. Aber auch die Verbindung zur Steueroase Bahamas stinkt zum Himmel: Kroes sorgte dafür, dass in der EU-Wettbewerbsbehörde das Referat zur Verfolgung von steuerlichen Beihilfen geschlossen wird. Das heißt: Kroes schützte Steuersümpfe, die sie selbst privat nutzte.
Bahamas-Register wird kaum gepflegt
tagesschau.de: Teile der Informationen, die der "SZ" zugespielt worden sind, sollten eigentlich öffentlich über die Webseite des Bahamas-Registers abrufbar sein - dort werden die Einträge aber kaum gepflegt und sind oft nicht erreichbar. Frau Kroes ist so nicht zu finden. Was glauben Sie, woran das liegt?
Sven Giegold war früher einer der schärfsten Kritiker der Grünen. Im Jahr 2000 gehörte er zu den Mitbegründern der globalisierungskritischen Bewegung Attac. Den Grünen warf er während ihrer Regierungsjahre mit der SPD häufig einen neoliberalen Kurs vor.
Im Herbst 2008 trat Giegold den Grünen bei. Seine Schwerpunktthemen sind u.a. die EU sowie Steuern und Finanzen. Für die Partei hat er am neuen Gesellschaftskonzept "Green New Deal" mitgearbeitet. Es soll Ökologie und Ökonomie miteinander verbinden und dadurch helfen, die Wirtschafts-, Klima- und Hungerkrise zu überwinden.
Seit 2004 ist er im Beraterkreis von Campact. Giegold wurde 2007 zudem für sechs Jahre in die Präsidialversammlung des Evangelischen Kirchentags gewählt.
Giegold: Die Bahamas sind weltweit eine der undurchsichtigsten Steueroasen, die auch mit Geldern aus kriminellen Aktivitäten kein Problem haben. Transparenz von Steuerdaten widerspricht dem Geschäftsmodell der Regierung. Es ist es also nicht verwunderlich, dass das Unternehmensregister nicht gepflegt wird. Schätzungen zufolge machen Briefkastenfirmen 30 Prozent der Wirtschaft der Bahamas aus.
Bahamas-Regierung forciert Steuerflucht
tagesschau.de: Sie gehen also davon aus, dass dahinter politischer Wille steht?
Giegold: Die Regierung lädt offensiv windige Geschäftsleute aus aller Welt zur Geldwäsche ein. Sie verweigert sich faktisch dem automatischen Austausch von Steuerinformationen der OECD. Daraus wird doch eines klar: Der Regierung geht es um den Erhalt ihrer Steueroasen, nicht um globale Steuergerechtigkeit.
tagesschau.de: Eine Lösung im Kampf gegen Steueroasen könnte ein vernetztes Firmenregister sein. Es gibt seit langer Zeit politische Bemühungen, so eine zentrale Anlaufstelle zu schaffen, bei der sich Behörden, aber auch Bürger über Besitzverhältnisse informieren können. Auch Sie fordern ein solches System. Was würde sich ändern?
Giegold: Es kann doch nicht sein, dass wir als Gesellschaft auf mutige Whistleblower angewiesen sind und den Regierungen die Mittel fehlen, um Steuervergehen aufzuklären. Transparenz ist unser schärfstes Schwert gegen Steuerflucht und Geldwäsche. Wir brauchen öffentliche Unternehmensregister, die die wirtschaftlich Berechtigten hinter Firmen sichtbar macht. Transparenz entfaltet jedoch erst dann ihre Wirkung, wenn die Informationen nicht nur den Behörden, sondern der gesamten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. So entsteht auch Druck, die Daten aktuell zu halten.
Schäuble gegen öffentliche Register
tagesschau.de: Gegner einer solchen Lösung, darunter auch der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, argumentieren, man wolle eigene Informationen erst dann freigeben, wenn dies andere Staaten auch täten. Wenn zum Beispiel die USA alle Informationen aus Deutschland schon hätten, warum sollten sie dann ihre eigenen preisgeben? Was setzen Sie dem entgegen?
Giegold: Finanzminister Schäuble war schon gegen die Idee solcher Register selbst. Bei der Reform der Geldwäscherichtlinie haben wir dies im Europaparlament gegen die deutsche Bundesregierung durchgesetzt. Allerdings ist für die EU-Länder optional, ob die Daten öffentlich sind oder nur für Behörden zugänglich. Deutschland will das Unternehmensregister jedoch nicht öffentlich machen. Das ist fatal, denn so können wir diese Transparenz auch nicht von Drittländern fordern. Wenn Europa vorangeht, haben wir gute Chancen, dass immer mehr Länder mitmachen und die Register sogar verknüpfen.
Kritische Öffentlichkeit kann Druck entfalten
tagesschau.de: Es gibt ja bereits den automatischen Austausch von Kontoinformationen. Bietet das nicht ausreichende Transparenz?
Giegold: Der automatische Austausch von Steuerinformationen bei Zinsen und Dividenden über Grenzen hinweg ist ein riesiger Fortschritt im Kampf gegen die Steuerflucht. Das zeigt: Auch beim sensiblen Thema der Steuerkooperation von Nationalstaaten sind Fortschritte möglich, wenn die großen Staat angetrieben durch eine kritische Öffentlichkeit genug Druck entfalten. Aber: Der Austausch von Steuerdaten läuft ins Leere, wenn nicht klar ist, wer die wirtschaftlich Berechtigten hinter Scheinfirmen sind. Daher brauchen wir öffentliche Unternehmensregister mit Transparenz über die wirtschaftlich Berechtigten. Dann ist es mit dem Fluch der Briefkastenfirmen zum Zwecke von Steuerflucht und Geldwäsche rasch vorbei.
Das Interview führte Jan Strozyk für tagesschau.de