Tafeln in Deutschland "Druck nicht alleine aushalten"
Zu viel Nachfrage, zu wenige Spenden: Die Tafeln fordern von der Politik deutliche Entlastungen für von Armut betroffene Menschen. Man könne nicht alle Bedürftigen versorgen.
Die Politik soll entschiedener gegen Armut vorgehen, fordert der Tafel-Vorsitzende Jochen Brühl. Die Tafeln in Deutschland allein könnten "diesen Druck nicht aushalten", sagte Brühl den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Grund für die offenbare Notlage ist eine steigende Nachfrage nach Lebensmitteln bei rückläufigem Spendenaufkommen.
Konkret forderte Brühl, bei den Entlastungspaketen nachzubessern. "Einmalzahlungen von wenigen hundert Euro reichen nicht aus und kommen zu spät", kritisierte er. Stattdessen müsse schnell eine Erhöhung der Harz-IV-Regelsätze sowie "deutliche Entlastungen für Menschen mit geringen Einkommen" kommen.
"Nicht Teil des sozialstaatlichen Systems"
Brühl appellierte an die Bundesregierung und die Kommunen: "Tafeln sind nicht Teil des sozialstaatlichen Systems. Wir helfen ehrenamtlich und nach Kräften, aber es war nie die Idee der Tafeln, alle armutsbetroffenen Menschen verlässlich und verbindlich zu versorgen", sagte Brühl. Nach eigenen Angaben vertritt der Dachverband etwa 950 Lebensmittel-Tafeln in ganz Deutschland.
"Die Situation bei den Tafeln ist so angespannt wie noch nie", so Brühl. Die freiwilligen Helferinnen und Helfer seien "teilweise pausenlos im Einsatz und erleben es als belastend, wenn sie Menschen nicht helfen können, weil keine Lebensmittel mehr da sind zum Weitergeben". Manche Tafeln mussten ihr Angebot bereits beschränken. In Saarbrücken zum Beispiel gibt es seit Monaten einen Aufnahmestopp.
Steigende Nachfrage seit Dezember
Immer mehr Menschen leiden unter den hohen Lebensmittelpreisen. Die Inflation liegt nach Angaben des Statistischen Bundesamts bei 7,3 Prozent. Bei manchen Artikeln wie Sonnenblumenöl, Tomaten und Roggenmehl kletterten die Preise um mindestens ein Fünftel. Damit steigen auch die Anfragen bei den Tafeln.
Seit Dezember versorgen sich immer mehr Menschen bei der Tafel. Im Februar sei eine weitere Welle wegen der stark gestiegenen Energiepreise hinzugekommen, seit Mitte März dann zusätzlich die Familien, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet seien. "Das alles trifft auf eine Situation, in der es eine Verknappung der Lebensmittel gibt", sagte Sabine Altmeyer-Baumann, Vorsitzende der Tafeln in Rheinland-Pfalz und im Saarland.
Außerdem haben die Tafeln in ganz Deutschland mit steigenden Betriebskosten zu kämpfen. Die Kühlung der Produkte und die Fahrtkosten werden teurer, denn die Transportstrecken werden länger.
16 Prozent der Bevölkerung gelten als arm
Einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes von Ende 2021 zufolge hat die Armutsquote in Deutschland in der Corona-Pandemie ein Rekordhoch erreicht. 16,1 Prozent der Bevölkerung - das entspricht 13,4 Millionen Menschen - müssten zu den Armen gerechnet werden, heißt es in dem Bericht mit dem Titel "Armut in der Pandemie".