Hintergrund

Röttgens Gesetzentwurf zur CO2-Speicherung "Tödliches Risiko" oder "Klima-Rettung"?

Stand: 23.02.2011 05:20 Uhr

Die Industrie drängt, Kritiker warnen, und Schleswig-Holstein fordert ein Vetorecht: Der Gesetzentwurf von Minister Röttgen zur unterirdischen Speicherung von Kohlendioxid ist höchst umstritten. Heute berät der Umweltausschuss über die Pläne der Regierung. Bürgerinitiativen kündigten massive Proteste an.

Von Simone von Stosch, tagesschau.de

Kohlendioxid gilt als Klimakiller Nummer 1. Seit Jahren arbeiten Experten deshalb an Techniken, mit denen das klimaschädliche CO2, statt es in die Luft zu blasen, unter der Erde endgelagert werden könnte. CCS nennt sich diese Technologie, die Abkürzung steht für "Carbon Capture and Storage". Bei dem Verfahren wird das bei der Verbrennung von Kohle entstehende CO2-Gas aufgefangen, in komplizierten Verfahren von anderen Stoffen getrennt und verflüssigt, und dann über Pipelins in tiefe, Salzwasser führende Gesteinsschichten gepresst. Das Verfahren kann große Teile des schädlichen CO2 binden, allerdings ist es sehr energieaufwändig. Um die CO2-Emission zu verringern, muss also auch mehr Energie produziert werden.

Vattenfall-Versuchskraftwerk des sogenannten CCS-Verfahrens

Vattenfall testet eine Pilotanlage zur unterirdischen CO2-Speicherung in Brandenburg.

Befürworter hoffen auf CCS-Technologie

Im Juli 2010 hat Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) die Pläne zur CO2-Speicherung präsentiert. Jetzt liegt der Gesetzentwurf auf dem Tisch, und schon im März soll das Kabinett darüber entscheiden. Der Minister spricht von einem wichtigen Schritt zu mehr Klimaschutz. Auch die Industrie fordert, die Erkundung von CO2-Endlagern voranzutreiben. Sie verspricht sich davon die Lösung ihrer Emissionsprobleme, denn bisher müssen die Energiekonzerne für ihre Rechte zum Ausstoß von Kohlendioxid zahlen.

CO2-Lager vor allem im Norden geplant

408 mögliche Standorte für CO2-Endlager in Deutschland hat die Bundesanstalt für Geowissenschaften (BGR) in langen und aufwändigen Untersuchungen ermittelt. Die Liste der Standorte wurde allerdings unter Verschluss gehalten. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisiert dieses Vorgehen scharf. Karsten Smid spricht gegenüber tagesschau.de von der "Methode Röttgen": erst vollendete Tatsachen schaffen und erst dann mit den "Bürgern in einen Scheindialog treten". Die Umweltschutzorganisation hat den Gesetzesentwurf und eine Karte der möglichen Standorte im Internet veröffentlicht - und damit den Streit weiter angefacht.

Schleswig-Holstein fordert Vetorecht der Länder

Doch schon vorher war klar: Die Bundesländer sind höchst unterschiedlich betroffen. Während es im Südwesten des Landes kaum geeignete Standorte für die CO2-Lagerung gibt, sind die Böden in Teilen Brandenburgs und vor allem in den küstennahen Regionen Niedersachsens und Schleswig-Holsteins besonders geeignet für die unterirdische Kohlendioxid-Lagerung. Dort findet sich die überwiegende Mehrheit der geplanten Erkundungsstandorte. Aus Schleswig-Holstein kommt auch der lauteste Widerspruch. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) lehnt die unterirdischen CO2-Endlager strikt ab. Er fordert gar ein Veto-Recht für die Bundesländer gegen die umstrittene Lagerung.

Röttgen versuchte, die Wogen zu glätten. Bei einem Treffen mit Ministerpräsident Carstensen und dessen Wirtschaftsminister Jost de Jager (CDU) betonte er: "CCS wird nicht gegen den Willen eines Bundeslandes stattfinden. Das ist die klare Zusage, und bei der soll es auch bleiben". Über eine entsprechende Verankerung im Gesetz soll nun auf Expertenebene gesprochen werden. Ein Veto-Recht, wie von Schleswig-Holstein gefordert, ist dieses Versprechen des Umweltministers allerdings nicht.

Brandenburg im Alleingang

Brandenburgs Landesregierung setzt - anders als Schleswig-Holstein - auf die positiven Effekte der Technologie und hat der unterirdischen CO2-Lagerung grünes Licht erteilt. Seit 2008 erkundet der Energiekonzern Vattenfall dort Möglichkeiten der CO2-Lagerung. In den Regionen Beeskow und Neutrebbin im Osten Brandenburgs wird die Technik nun erstmals angewandt. "Die CCS-Technologien sind für den Fortbestand des Industriestandortes Deutschland eine wichtige Option", erklärt Brandenburgs Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linkspartei) gegenüber tagesschau.de. Dabei geht es dem Land auch um EU-Fördergelder und um Arbeitsplätze: Vattenfall verspricht, bei der Umsetzung der CCS-Technologie mehrere tausend Stellen zu schaffen.

Auf dem Gelände der Vattenfall CO2-Pilotanlage im brandenburgischen Spremberg wird Kohlendioxid in einen Tanklastzug gepumpt

Auf dem Gelände der CO2-Pilotanlage in Brandenburg wird Kohlendioxid in einen Tanklastzug gepumpt.

Allerdings fordert Christoffers mit Nachdruck: Die Lasten müssten auf ganz Deutschland verteilt werden. "Es kann nicht sein, dass einige Regionen in Deutschland die Kosten und Lasten alleine tragen und andere sich vollständig aus der Verantwortung ziehen und nur den Strom aus der Steckdose wollen", so Christoffers.

Kritiker sehen "unkalkulierbares Risiko"

Derweil wächst der Widerstand gegen die Pläne der Bundesregierung. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace spricht von einer "Mogelpackung", die nur dazu diene, die Braunkohleförderung am Leben zu erhalten. Karsten Smid von Greenpeace betont im Gespräch mit tagesschau.de die Gefahren der CCS-Technologie. Diese berge "unkalkulierbare Risiken". Da das CO2 unter starkem Druck in die Gesteinsformationen gepresst würde, würde Salzwasser verdrängt, dieses könne in Grundwasserschichten gelangen und das Trinkwasser verschmutzen.

Außerdem besteht laut Smid die Gefahr von unterirdischen Rissen und Mikro-Erdbeben. "Das Kohlendioxid sucht sich seinen Weg nach oben", so der Umweltexperte. An der Erdoberfläche könnten sich unsichtbare und lebensgefährdende CO2-Seen bilden, Mensch und Tier könnten im Extremfall an ihnen ersticken. Die Gefahr für die Umwelt bewertet Smid als "extrem hoch".

Für Langzeitschäden haftet der Steuerzahler

Wer haftet für mögliche Schäden an Mensch und Natur? Diese Frage ist einer der Knackpunkte im Gesetzentwurf des Umweltministers. Bis zu 30 Jahre nach Stilllegung der Testanlagen sollen die Betreiber selbst für mögliche Umweltfolgen haften. Bei einer kalkulierten Laufzeit von 30 bis 40 Jahren pro Lager entspräche das einer Haftung von 60 bis 70 Jahren. Anschließend tritt die öffentliche Hand - also der Steuerzahler - für Schäden ein. Während die Industrie über zu lange Haftungsfristen klagt, denken die Kritiker in Jahrhunderten statt in Jahrzehnten. "Wir schaffen uns ohne Not und mit vielen Kosten ein neues Endlager-Problem", so Karsten Smid von Greenpeace.

Bürgerinitiativen drohen mit massivem Widerstand

"Stoppt das CO2-Endlager!" Ganz im Stil der Anti-Atomkraft-Bewegung machen in Schleswig-Holstein mehrere Bürgerinitiativen mobil. Die Bevölkerung stehe "wie ein Mann" gegen unterirdische CO2-Lager in der Region, meint Reinhard Knof von der "Bürgerinitiative gegen CO2-Endlager". Gegenüber tagesschau.de warnt Knof vor der "tödlichen Gefahr" die entstehe, wenn CO2 unkontrolliert aus der Erde entweicht.

Sollte das Gesetz von Umweltminister Röttgen tatsächlich Bundestag und Bundesrat passieren, kündigt Knof breiten Widerstand an: "Die Bevölkerung ist gegen die CO2-Lager. Wir werden mit massiven Aktionen das Land lahmlegen." Auf ihrer Internetseite kündigt die Bürgerinitiative schon mal vorsorglich an: Momentan herrsche "Ruhe vor dem Sturm".