Jahresverkehrskongress Neue Konzepte statt verstopfter Straßen
Wie sollen die Innenstädte der Zukunft aussehen? Darüber wird auf dem Verkehrskongress in Berlin diskutiert. Lohnen würde ein Blick dorthin, wo Mobilität schon lange im Fokus ist: nach Karlsruhe.
Fahrräder - Karlsruhe scheint voll davon: Lastenräder, Rennräder, Tourenräder. An Laternenmasten, in voller Fahrt in der Innenstadt oder auch geparkt in einer der Fahrradstationen. Nicht umsonst sahnt Karlsruhe regelmäßig ab: den Deutschen Fahrradpreis, den Spitzenplatz beim Fahrradklima-Test des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs oder die Auszeichnung als Fahrradfreundliche Kommune durch das Land Baden-Württemberg.
Aber Fahrräder allein machen noch keine Mobilitätswende, weiß Oberbürgermeister Frank Mentrup. Auf die einzelnen Puzzleteile komme es an. Und darauf, dass diese nahtlos ineinandergreifen. "Inzwischen kann man bei uns zum Beispiel nach neun Uhr morgens das Rad in der Bahn mitnehmen", betont Mentrup. "Wenn ich morgens mit dem Rad zur Arbeit in die Stadt fahre, weiß ich: Wenn es nachmittags regnet, komme ich trotzdem trocken nach Hause."
Puzzleteile der Verkehrswende
Tatsächlich hat sich in den vergangenen Jahren viel getan in der rund 300.000-Einwohner-Stadt. Nicht nur liegt ihr Fahrradanteil im Mobilitäts-Mix bei über 30 Prozent - das Karlsruher CarSharing-Netz ist das größte Deutschlands mit fast drei Autos pro 1000 Einwohnern. Und im kommenden Jahr soll ein Tunnel fertig sein, der Autos und Straßenbahn in der Innenstadt unter die Erde bringen und dadurch mehr Platz für Fußgänger schaffen soll. Ein Milliardenprojekt, das den Zeitgeist trifft - denn das Auto steht längst nicht mehr im alleinigen Fokus zeitgemäßer Verkehrsplanung.
"Wir müssen umdenken, denn wenn die Einwohnerzahlen steigen, wächst auch der Mobilitätsbedarf. Wenn wir da weiter allein aufs Auto setzen, müssen wir Straßen verbreitern, eine Infrastruktur schaffen - so viel Platz steht und gar nicht zur Verfügung", sagt der Oberbürgermeister. Außerdem gebe es auch wachsende Ansprüche der Bürger an eine andere Nutzung der vorhandenen Flächen: "Die fahren in die Stadt nicht mehr nur zum Einkaufen, sondern wollen dort etwas erleben, etwas genießen. Und dafür braucht es Platz."
Ein Problem der Akzeptanz
Und es braucht Menschen, die auch bereit sind, ihr Auto stehen zu lassen und sich auf neue Angebote einzulassen. Martin Kagerbauer arbeitet am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Sein Tätigkeitsfeld: das Verkehrswesen - und wie man es an die Menschen bringt.
Denn die Verkehrswende sei "ein zartes Pflänzchen", und Routinen nur schwer zu durchbrechen, sagt Kagerbauer: "Natürlich ist es toll, wenn wir das Angebot an Fortbewegungsmöglichkeiten erweitern, den Menschen einen großen Mix anbieten aus Carsharing, Fahrradstationen, modernem öffentlichen Nahverkehr. Aber das beste Angebot nutzt ja nichts, wenn es nicht in den Köpfen der Menschen ankommt, wenn die immer noch automatisch aus dem Haus gehen und in ihr vor der Tür geparktes Auto einsteigen."
Hoffen auf autonome Fahrzeuge
Dass viele schon bereit wären für ein Umdenken, hat zuletzt eine Gruppe des Forschungszentrums Informatik mit dem EVA-Shuttle bewiesen, einem autonom fahrenden Mini-Bus. "Das Besondere an EVA ist, dass die Busse nicht festgelegte Haltestellen anfahren, wie das manch andere autonome Fahrzeuge bereits machen, sondern dass sie dorthin kommen, wo die Menschen sie brauchen", erklärt Johanna Häs.
Die Busse können per App gerufen werden, sammeln die Menschen auf und bringen sie beispielsweise zur nächsten Haltestelle des Öffentlichen Nahverkehrs oder von dort nach Hause. Bis Ende Juli wurde dieses System in einem Pilotprojekt getestet. "Die Nachfrage war gigantisch", schwärmt Häs: "Wir hatten fünfmal so viele Anfragen, wie wir Fahrten durchführen konnten."
Auch wenn die Testphase nun erst einmal abgeschlossen ist und momentan keine autonomen Mini-Busse durch Karlsruhe fahren, sieht sie in solchen dezentralen Lösungen einen wichtigen Baustein für die Mobilität der Zukunft. "Die Busse sind immer bereit, können Tag und Nacht gerufen werden, brauchen, wenn es irgendwann rechtlich erlaubt ist, keinen Fahrer und sind auch noch umweltfreundlich, da elektrisch betrieben. Wenn wir viele solcher kleinen Projekte miteinander vernetzen, schaffen wir eine verlässliche, nachhaltige Mobilität", meint Häs.
Auch Kagerbauer vom KIT begrüßt es, wenn die Palette der Angebote stetig wächst. Damit diese jedoch auch angenommen würden, brauche es erfahrungsgemäß etwas Druck. Der Forscher betont: Die Politik muss die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, das Wort 'Verbote' mag ich nicht so gerne. Aber 30 Euro für's Anwohnerparken, das ist ein Witz." Bei der heutigen Flächenkonkurrenz müsste es eigentlich das Zehn- oder gar Hundertfache kosten für diesen kostbaren Raum.
"Einfach machen"
Oder es braucht jemanden, der auch mal in Kauf nimmt, sich unbeliebt zu machen. So hat Oberbürgermeister Mentrup im vergangenen Jahr 120 Parkplätze an einer viel befahrenen Straße zurückbauen lassen - zugunsten eines Fahrradstreifens. "Das hätte sich vor fünf Jahren noch keiner getraut", davon ist er überzeugt. "Aber man muss es einfach machen. Denn wenn wir es wirklich ernst damit meinen, den öffentlichen Raum anders verteilen zu wollen, müssen wir eben auch Maßnahmen ergreifen, um diesen Wandel zu steuern."
Die meisten Anwohnerinnen und Anwohner haben ihre Bedenken inzwischen beigelegt. Einen Parkplatz hat bislang noch jeder gefunden. Nur eben vielleicht ein paar Meter weiter weg.