Wahlprüfung in Berlin Möglich, aber wohl ohne Folgen
Trotz der Pannen am Wahltag hat der Berliner Landeswahlausschuss das endgültige Ergebnis zur Abgeordnetenhauswahl festgestellt. Eine juristische Aufarbeitung ist möglich, dürfte aber am Resultat nichts ändern.
Lange Schlangen vor den Wahllokalen, vertauschte oder zu wenige Wahlzettel in verschiedenen Bezirken, mehr abgegebene Stimmen als Wahlberechtigte: Schon als die Wahl noch lief, wurden verschiedene Unregelmäßigkeiten in Berlin bekannt. Vier Abstimmungen standen in der Hauptstadt zeitgleich an - die Wahlen zum Bundestag, zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen. Daneben ein Volksentscheid mit dem Ziel, private Wohnungskonzerne zu vergesellschaften.
Gibt es juristisch die Möglichkeit, die Bundestagswahl anzufechten?
Ja, die Möglichkeit gibt es. Wer meint, beim Wählen eine Panne mit juristischer Relevanz entdeckt zu haben, kann innerhalb von zwei Monaten nach dem Wahltag - also bis 26. November um 24 Uhr - Einspruch gegen die Wahl einlegen. Im Wahlprüfungsgesetz (WahlPrG) heißt es dazu: "Der Einspruch ist schriftlich beim Bundestag einzureichen und zu begründen." Dieser geht dann zunächst in den Wahlprüfungsausschuss - am Ende entscheidet der Bundestag mit einfacher Mehrheit darüber.
Damit ist die Wahlprüfung vor allem Sache des Bundestages. Lehnt der den Einspruch allerdings ab, kann sich die Wählerin oder der Wähler in einem zweiten Schritt mit einer Wahlprüfungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht wenden. Man braucht aber einen Anfechtungsgrund, damit die Beschwerde Erfolg haben kann.
Was prüft das Bundesverfassungsgericht dann?
Das Bundesverfassungsgericht würde untersuchen, ob bei der Wahl die Regelungen im Bundeswahlgesetz und in der Bundeswahlordnung richtig angewendet worden sind. Daneben kommt es bei der Prüfung besonders darauf an, ob die Wahlrechtsgrundsätze beachtet wurden, die das Grundgesetz vorgibt. In Artikel 38 heißt es: "Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt."
Wenn man wie in Berlin besonders lange warten muss, bis man überhaupt ins Wahllokal kommt, oder wenn fehlende Wahlzettel die Stimmabgabe behindern oder verhindern - dann ist es zumindest möglich, dass die Rechte von Wählerinnen und Wählern verletzt werden, dass die Wahl vielleicht nicht mehr "allgemein" ist. Allerdings - und das ist wichtig: Zur Ungültigkeit der Wahl können Wahlfehler überhaupt nur dann führen, wenn sie sich auf die Sitzverteilung im Bundestag ausgewirkt haben oder zumindest ausgewirkt haben können. "Mandatsrelevanz" nennt man das.
Haben die Pannen bei der Bundestagswahl Mandatsrelevanz?
Mehrere Expertinnen und Experten - darunter Christian Waldhoff, Rechtsprofessor an der Berliner Humboldt-Universität, - gehen nicht davon aus. Das deutsche Wahlprüfungsrecht sei stark auf die Stabilität der Parlamente ausgelegt. "Die Ergebnisse der Bundestagswahl in Berlin sind so eindeutig, dass man eine Mandatsrelevanz der Wahlfehler kaum wird nachweisen können", sagte Waldhoff der ARD-Rechtsredaktion.
Selbst, wenn sich die Unregelmäßigkeiten in Berlin auf die Sitzverteilung im Bundestag ausgewirkt haben könnten, würde es wohl nicht zu einer Wiederholung der Wahl kommen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2008 entschieden, dass die Wahlprüfungsentscheidung nur so weit gehen dürfe, wie es der festgestellte Wahlfehler verlange. "Daraus folgt unter anderem, dass vorrangig ein Wahlfehler zu berichtigen ist, statt die Wahl zu wiederholen", heißt es in der Entscheidung.
Gelten für die Berlin-Wahl dieselben Regeln?
Ja und nein. Auch gegen die Wahl zum Abgeordnetenhaus kann Einspruch eingelegt werden. Allerdings in aller Regel nicht von einzelnen Wählerinnen und Wählern, sondern zum Beispiel von Parteien, Wählergemeinschaften und betroffenen Bewerberinnen oder Bewerbern - sowie von der Landeswahlleitung. Ein weiterer Unterschied: Einsprüche müssen direkt an den Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin gerichtet werden - nicht erst an das Abgeordnetenhaus. Und: Die Frist beträgt nur einen Monat und läuft nicht ab dem Wahltag, sondern erst ab Verkündung des amtlichen Endergebnisses am 14. Oktober. Voraussetzung für den Einspruch ist auch hier, dass durch den Wahlfehler "die Verteilung der Sitze beeinflusst worden sei", also Mandatsrelevanz.
Einzelne Wählerinnen und Wähler, die meinen, von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl betroffen gewesen zu sein, könnten laut Rechtsprofessor Waldhoff Landesverfassungsbeschwerde erheben. Allerdings "nur" mit dem Ziel, gerichtlich feststellen zu lassen, dass ihre Wahlrechte verletzt wurden.
Was geschieht, wenn der Einspruch erfolgreich ist?
Sollten die Pannen in Berlin bezogen auf die Wahl zum Abgeordnetenhaus Mandatsrelevanz haben, würde der Verfassungsgerichtshof die Wahl im Wahlgebiet, im Wahlkreisverband oder im Wahlkreis für ungültig erklären - mit der Folge, dass sie dort wiederholt werden müsste. Es ist noch nie vorgekommen, dass so in Berlin eine ganze Wahl "gekippt" wurde. Für einzelne Bewerber, bei denen es nur um wenige Stimmen ging, kann eine Neuauflage aber große Bedeutung haben. Zuletzt wollte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) Nachwahlen in einzelnen Wahlkreisen oder Stimmbezirken nicht ausschließen.