Abstimmung im Bundestag Umstrittene Wahlrechtsreform beschlossen
Von einer Einigung kann keine Rede sein. Gegen den Willen der Oppositionsparteien hat die Regierung eine Wahlrechtsreform durchgesetzt. Die erhoffte Verkleinerung des Bundestages wird sie aber wohl nicht bewirken.
Nach einem jahrelangen Streit über eine Verkleinerung des Bundestags hat die große Koalition ihr Konzept für eine Wahlrechtsreform durchgeboxt. Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen wurde mit 362 Ja- und 281 Nein-Stimmen bei acht Enthaltungen angenommen.
FDP, Linke und Grüne lehnten den Entwurf von CDU/CSU und SPD strikt ab, weil er aus ihrer Sicht völlig untauglich ist, um die angestrebte Verkleinerung des Parlaments zu erreichen. Dieses zählt derzeit 709 Abgeordnete - und ist damit viel zu groß, denn seine Normgröße beträgt 598 Sitze.
Die Vergrößerung des Bundestags wird vor allem durch Überhang- und Ausgleichsmandate verursacht. Überhangmandate kommen zustande, wenn eine Partei mehr Direktkandidaten in den Bundestag bringt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Um das Zweitstimmenergebnis durch die Überhangmandate nicht zu verzerren, bekommen die anderen Parteien dafür Ausgleichsmandate.
Kritik von den Grünen
Nach dem nun beschlossenen Entwurf sollen Überhangmandate einer Partei teilweise mit ihren Listenmandaten verrechnet werden. Und beim Überschreiten der Regelgröße von 598 Sitzen sollen bis zu drei Überhangmandate nicht durch Ausgleichsmandate kompensiert werden. Zudem soll es bei der Wahl in einem Jahr bei der Zahl von 299 Wahlkreisen bleiben.
"Es wird keinen Dämpfungseffekt geben", sagte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, voraus. Sie sprach von "Flickschusterei". Die Koalition sei "kläglich gescheitert", sagte sie. "Der Entwurf ist objektiv ungeeignet, den Bundestag zu verkleinern. Er wirft verfassungsrechtliche Fragen auf, die völlig ungeklärt sind", sagte der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle. Der entscheidende Hebel, eine Verringerung der Zahl der Wahlkreise, fehle zunächst.
Dagegen betonte Philipp Amthor von der CDU: "Wir haben ein faires, ein verfassungskonformes Modell gefunden." Und: "Wir sehen einer verfassungsrechtlichen Überprüfung entspannt entgegen." Der SPD-Abgeordnete Mahmut Özdemir nannte das Gesetz eine "ehrliche Lösung, weil sie den wenigsten Schaden anrichtet, weil sie wirksam ist, weil sie verbindlich ist, weil sie verständlich ist".
Eine größere Reform soll es erst 2025 geben
Albrecht Glaser von der AfD meinte, einen "Totalverriss" wie in der Anhörung habe er noch nicht gehört. Drei Jahre habe die Koalition jede Reform verhindert. "Und das jetzt zusammengenagelte Stückwerk ist keine Reform."
FDP, Linke, Grüne und AfD konnten sich auch durch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags bestätigt fühlen. Es bescheinigt dem Modell von CDU/CSU und SPD eine nur geringe Wirkung. Bezogen auf das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 wäre damit eine Absenkung der Gesamtsitze auf bis zu 682 Abgeordnete möglich gewesen, heißt es darin. Die Regelungen hätten also "eine Ersparnis von bis zu 27 Abgeordneten gebracht".
Eine größere Reform - dann auch mit einer Reduzierung der Wahlkreise - soll es nach dem Willen der Koalition erst für die Wahl 2025 geben. Dazu soll eine Reformkommission aus Wissenschaftlern, Abgeordneten und weiteren Mitgliedern eingesetzt werden, die spätestens bis zum 30. Juni 2023 ein Ergebnis vorlegen soll.