Sexueller Missbrauch Neue Vorwürfe gegen Wedel
Dieter Wedel soll in den 1980er-Jahren versucht haben, eine Schauspielerin bei einer Produktion des Saarländischen Rundfunks zu vergewaltigen. Der Sender wusste davon - setzte die Dreharbeiten dennoch fort.
Gegen den Regisseur Dieter Wedel sind neue Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs erhoben worden. Mehrere Frauen werfen ihm vor, sie genötigt, sexuell missbraucht und gewalttätig verletzt zu haben. Darüber berichtet "Die Zeit" in ihrer aktuellen Ausgabe. Die Fälle ereigneten sich demnach im Zusammenhang mit Dreharbeiten für mehrere Produktionen, bei denen Wedel Regie führte, darunter auch Arbeiten für die ARD.
Die Zeitung hatte Anfang Januar die ersten Vorwürfe gegen Wedel publik gemacht. Nach eigener Aussage sind der Redaktion mittlerweile 18 Fälle bekannt, in denen Wedel beleidigendes und sexuell übergriffiges Verhalten vorgeworfen wird.
Von besonderer Brutalität ist der Fall, den die Schauspielerin Esther Gemsch der Zeitung schildert. Sie lebt heute in der Schweiz, ist dort eine bekannte Seriendarstellerin. Gemsch beschreibt, wie Wedel sie Anfang der 1980er-Jahre bei Dreharbeiten für die Serie "Bretter, die die Welt bedeuten" zunächst tagelang belästigt habe. Gemsch, damals 24 Jahre alt, spielte die Hauptrolle in dem Achtteiler, den der Saarländische Rundfunk (SR) produzieren ließ.
Im Dezember 1980, so die heute 61-Jährige, habe Wedel sie schließlich in einem Hotelzimmer zunächst begrapscht und dann mit einem Schal gewürgt und mehrfach mit dem Kopf gegen das Bett und die Wand geschlagen. Als sie sich nicht mehr wehren konnte, habe Wedel versucht, sie zu vergewaltigen. Er habe aber nicht in sie eindringen können.
Schauspielerin Esther Gemsch wirft Dieter Wedel vor, sie Anfang der 1980er-Jahre bei den Dreharbeiten für die Serie "Bretter, die die Welt bedeuten" zunächst tagelang belästigt zu haben. In einem Hotelzimmer soll er schließlich versucht haben, sie zu vergewaltigen.
Angst vor Repressalien und finanziellen Schwierigkeiten
Ein Arztbericht, datiert auf den 12. Januar 1981, bescheinigt Gemsch eine "erhebliche Bewegungseinschränkung" im Hals sowie einen "empfindlichen Druckschmerz auch über den Nervenwurzeln der gesamten Halswirbelsäule, ein Nacken-Schulter-Arm-Syndrom mit Kopfschmerzen und in einem sehr schlechten Allgemeinzustand". Die Symptome seien "eindeutig als Folge der Gewalttätigkeiten vom 12.12.80" zu betrachten. So zitiert die "Zeit" aus dem Schriftstück. Gemschs Anwalt schickte den Arztbrief zusammen mit einer Beschreibung der Vorwürfe wenige Tage später an die Produktionsfirma.
Der Sender will den Vorgang aufklären, "Zeit"-Reporter konnten auch Unterlagen aus dem Archiv des SR im Zuge der Recherche auswerteten. Aus den Briefen geht auch hervor, dass Wedel die Tat über einen Anwalt abstritt - und behauptete, im Gegenteil, Gemsch habe versucht, sich ihm anzunähern, wogegen er sich gewehrt habe.
Wedel anzuzeigen, das habe Gemsch sich nicht getraut, erklärte sie den Reportern. Zu groß sei die Angst vor Repressalien und finanziellen Schwierigkeiten gewesen. Die Schauspielerin kehrte offenbar zunächst nach Ende ihrer Krankschreibung sogar ans Set zurück, mit einer Halskrause. Schließlich brach sie den Dreh aber ab. Dokumente aus dem Archiv des SR belegen das. Die Rolle wurde mit der Schauspielerin Ute Christensen neu besetzt.
Auch Christensen berichtet in der "Zeit" von sexuellen Übergriffen durch Wedel. Die beiden Frauen haben sich nach eigener Aussage nie getroffen. Wedel habe Christensen gegen ihren Willen auf den Mund geküsst und gedrängt, mit ihm auf das Hotelzimmer zu gehen. Die Schauspielerin verweigerte sich und wurde nach eigener Aussage in der Folge von Wedel beleidigt und vor der Produktionsmannschaft schikaniert. Christensen war damals schwanger, sie verlor kurz darauf in der Folge eines Nervenzusammenbruchs ihr Kind. Das belegen die Archiv-Dokumente ebenfalls.
Gemschs Rolle wurde mit der Schauspielerin Ute Christensen neu besetzt. Auch Christensen berichtet von sexuellen Übergriffen durch Wedel.
Weitere interne Schriftwechsel zeigen, wie Sender und Produktionsfirma auf die Vorwürfe reagierten: Zwischen Gemsch und Wedel habe man erfolglos versucht zu vermitteln und die Auseinandersetzung mit Christensen sei "zunächst eine persönliche Angelegenheit zwischen Herrn Wedel und Frau Christensen und für die Redaktion erst dann wichtig, wenn die Arbeit (...) ernsthaft gefährdet ist."
Die Produktionsfirma erinnerte den SR daran, dass Christensen überhaupt erst zu der Produktion hinzugestoßen war, weil "es infolge versuchter sexueller Kontakte zu Handgreiflichkeiten" zwischen Gemsch und dem Regisseur gekommen sei - mit der Folge, dass die Rolle neu besetzt werden musste.
Warum reagierte niemand auf die Vergewaltigungsvorwürfe?
Die Vorwürfe wurden damals offenbar nur deshalb so detailliert dokumentiert, weil der Saarländische Rundfunk wegen der angestiegenen Produktionskosten einen Revisionsbericht zu den Dreharbeiten anfertigen ließ. Diese seien "aufgrund von Krankheitsausfällen mehrfach unterbrochen" worden, zitiert die "Zeit" aus dem Bericht. Auch die Anschuldigungen gegen Wedel sind demnach in dem Bericht aufgelistet, der Regisseur wird namentlich benannt.
Warum beim SR und innerhalb der ARD damals niemand energisch auf die Vergewaltigungsvorwürfe reagiert hat, ist unklar. Von den Verantwortlichen arbeitet keiner mehr beim SR, viele sind bereits verstorben. Die damalige Produktionsfirma Telefilm Saar, eine Tochterfirma des SR, gibt es seit mehr als zehn Jahre nicht mehr.
Der Intendant des Saarländischen Rundfunks, Thomas Kleist, kündigte an, er wolle "alles offenlegen, damit wir schonungslos die Dinge untersuchen können".
Thomas Kleist, Intendant des SR, sagte dem NDR: "Ich habe daraus für mich die Konsequenz gezogen und das Thema für die nächste Intendantensitzung angemeldet." Es sei ihm wichtig, dass "wir uns innerhalb der ARD über solche Vorfälle informieren". Kleist kündigte an, er wolle "alles offenlegen, damit wir schonungslos die Dinge untersuchen können".
Wedel, soviel steht fest, konnte nach den verheerenden Dreharbeiten zu "Die Bretter, die die Welt bedeuten" zu einem gefeierten Star der deutsche Filmszene aufsteigen. Und das, obwohl zumindest im SR der Verdacht der versuchten Vergewaltigung bekannt und dokumentiert gewesen ist.
Nach Aussage von Schauspielerinnen und Produktionsmitarbeitern war Wedels Verhalten in der Filmszene ohnehin ein offenes Geheimnis. Man habe sich in Schauspielerkreisen untereinander seine "Wedel-Geschichten" erzählt, zitiert die "Zeit" eine namentlich nicht genannte deutsche Darstellerin. "Wedel ist vielleicht der Schlimmste, aber er ist nicht der Einzige", heißt es in dem Zitat weiter.
Wedels Anwalt: "Grob unzulässige Verdachtsberichterstattung"
Die Schauspielerinnen Gemsch und Christensen treten in der "Zeit" offen mit ihren Berichten auf. Weitere Frauen haben die Reporter anonym interviewt. Eine Darstellerin, die mit Wedel für die NDR-Produktion "Pariser Geschichten" zusammenarbeitete, berichtete laut "Zeit", wie Wedel sie im Zuge einer Probe im Jahr 1975 in einem Waldstück bei Hamburg in seinem Auto vergewaltigt habe.
Eine andere Frau berichtet laut des Berichts, wie Wedel sie in den 1990er-Jahren bei einer Produktion für das Privatfernsehen eines Morgens mit einem Bademantel bekleidet im Hotelzimmer überraschte und anging. Als plötzlich ein Zimmermädchen auftauchte, ließ er demnach von ihr ab.
Der Anwalt von Dieter Wedel, Michael Philippi, sagte dem NDR auf Aufrage, dass sein Mandant sich aus gesundheitlichen Gründen zu den Vorwürfen nicht einlassen könne. Wedel liegt laut Medienberichten wegen eines Herzleidens im Krankenhaus. Die Berichterstattung der "Zeit" sei "eine grob unzulässige Verdachtsberichterstattung, für die jedes Maß verloren gegangen ist", sagte der Anwalt weiter.
Bereits Anfang Januar hatte das "Zeit"-Magazin über mehrere Frauen berichtet, die Wedel sexuelle Übergriffe und Nötigung vorwerfen. Er bestritt die Vorwürfe damals. Die Staatsanwaltschaft München hat in der Zwischenzeit ein Ermittlungsverfahren gegen Wedel wegen des Anfangsverdachts eingeleitet.