Analyse der Wahl in Bremen Wer wählte was warum?
Warum bleibt in Bremen der Machtwechsel trotz des SPD-Rekordtiefs und der Unzufriedenheit im Land aus? Welche Faktoren spielten bei der Wahlentscheidung eine Rolle? Welche Partei punktete in welcher Bevölkerungsgruppe? Eine Analyse auf der Basis der Zahlen von infratest dimap.
Seit gut 70 Jahren regiert die SPD in Bremen. Daran wird sich auch nach dieser Bürgerschaftswahl wohl nichts ändern. Dennoch: Die SPD schwächelt und fuhr im Stadtstaat ihr schlechtestes Ergebnis überhaupt ein. Dass sie überhaupt noch stärkste Kraft ist, liegt an drei Faktoren: der Tradition, Bürgermeister Jens Böhrnsen und daran, dass die Mehrheit der Wahlberechtigten die CDU für keine bessere Alternative hält.
Für 55 Prozent der Bürger gehören die SPD und Bremen irgendwie zusammen. Mehr als zwei Drittel, nämlich 71 Prozent, sagen aber auch: "Die SPD bekommt die Probleme Bremens nicht in den Griff." Selbst die Hälfte der SPD-Wähler kann diese Aussage unterschreiben.
Kompetenzverluste der SPD
Das Vertrauen der Wahlberechtigten, dass die Sozialdemokraten die Probleme lösen könnten, schwindet in der Folge weiter. In allen Kompetenzbereichen - vor allem bei den aus Wählersicht wichtigen Themen wie Wirtschaft, Arbeit und Bildung verlieren die Sozialdemokraten im Vergleich zur Wahl von 2011 dramatisch, während die CDU zulegt.
Dennoch ist es der CDU nicht gelungen, die guten Kompetenzwerte etwa in der Wirtschaftspolitik in Wählerstimmen umzuwandeln. So sagen nur 25 Prozent der Wähler, dass die Christdemokraten um Spitzenkandidatin Elisabeth Motschmann die Probleme der Stadt besser lösen könnten. Mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten traut der CDU-Politikerin das Amt der Bürgermeisterin nicht zu.
Im direkten Vergleich hat Motschmann denn auch gegen SPD-Amtsinhaber Böhrnsen keine Chance. Würde der Bremer Regierungschef direkt gewählt, hätten sich 59 Prozent für ihn entschieden, nur 16 Prozent für die CDU-Kandidatin. Böhrnsen erreicht zwar nicht die Spitzenwerte früherer Bremer Bürgermeister wie Henning Scherf. Doch 63 Prozent der Wähler sind mit seiner Arbeit zufrieden. Die Arbeit des von ihm geführten Senats beurteilt dagegen eine Mehrheit von 54 Prozent negativ.
Viele SPD-Anhänger wurden zu Nichtwählern
Wohin sind die früheren SPD-Wähler abgewandert? Die Wählerwanderung zeigt: zu den Nichtwählern. Die Wahlbeteiligung ist auf ein Rekordtief in einem westdeutschen Bundesland gesunken. Nur noch jeder zweite Wahlberechtigte hat seine Stimmen abgegeben. Als einen Grund dafür nannten gut die Hälfte der Nichtwähler Unzufriedenheit mit "der Politik". Zwei Drittel sind der Meinung, Politiker verfolgten ohnehin nur ihre eigenen Interessen, 58 Prozent der Nichtwähler sehen ihre Interessen derzeit von keiner Partei vertreten.
Unter denen, die dann noch zur Wahl gingen, entschied sich zwar die Mehrheit von 60 Prozent aus Überzeugung für eine Partei. Ein Drittel sagte aber auch, dass die Wahlentscheidung aus Unzufriedenheit und Enttäuschung über andere Parteien gefallen sei.
AfD sammelt Stimmen der Enttäuschten
Für zwei Drittel der AfD-Wähler war die Enttäuschung über andere Parteien das vorherrschende Wahlmotiv. Der Spitzenkandidat der AfD, Christian Schäfer, hingegen, spielte für die Wahlentscheidung quasi keine Rolle.
Auf die Frage, ob das Programm, der Kandidat oder die längerfristige Parteibindung entscheidend waren, nannten nur vier Prozent der AfD-Anhänger den Kandidaten und 85 Prozent das Programm. Für mehr als jeden zweiten Wähler der Partei waren die Themen Flüchtlingspolitik und Zuwanderung ausschlaggebend für die eigene Entscheidung.
FDP punktet bei Selbstständigen
Erstaunlich stark war der Kandidatenfaktor bei den Liberalen: Die Spitzenkandidaten Lencke Steiner nannten 22 Prozent der FDP-Wähler als entscheidenden Faktor für ihr Votum. Der Wert ist fast so hoch wie der von Jens Böhrnsen bei den SPD-Wählern (24 Prozent).
Die FDP verdankt ihre Rückkehr in die Bürgerschaft auch dem großen Erfolg in einer ihrer Kernzielgruppe: Bei den Selbstständigen vervierfachten die Liberalen ihr Ergebnis von 2011 und erreichten diesmal 16 Prozent der Stimmen. Dagegen verloren die Grünen bei den Selbstständigen zehn und die CDU sieben Prozentpunkte.
Linkspartei steht für soziale Gerechtigkeit
Bei der Regierungsbildung wohl außen vor, aber dennoch einer der Wahlsieger des Abends, ist die Linkspartei. Sie steigert ihr Ergebnis von 2011 um etwa vier Prozentpunkte. Ihre Kernkompetenz liegt in den Augen der Wähler vor allem im Bereich soziale Gerechtigkeit. Die Linkspartei legt dort in dem Maße zu, in dem die SPD verliert.
Grüne fallen zurück auf Niveau von 2007
Die Grünen fielen nach dem Hoch von 2011 in etwa auf das Niveau von 2007 zurück. Vor vier Jahren hatte die Partei in Bremen noch von der Stimmung nach der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima profitiert. Diesmal gaben die Grünen Stimmen an alle Parteien ab, besonders viele aber an die Linkspartei. Dennoch wünscht sich erneut eine Mehrheit der Bremer eine Regierungsbeteiligung der Grünen.
Fazit: SPD und Grüne verlieren deutlich. Die Bremer CDU profitiert davon aber nicht ausreichend, um ernsthaft einen Machtwechsel in dem Bundesland einleiten zu können. Die Linkspartei kann punkten, die FDP ist - zumindest in Bremen - wieder da und liegt auch vor der AfD. Und die Wahlbeteiligung ist - wieder einmal - auf ein Rekordtief gesunken.