Parteitag in Erfurt Wissler und Schirdewan neue Linken-Spitze
Die Linkspartei wird künftig von Martin Schirdewan und Janine Wissler geführt. Der 46-jährige Europapolitiker erhielt auf dem Bundesparteitag in Erfurt 61,3 Prozent der Stimmen, die 41-jährige Hessin bei ihrer Wiederwahl 57 Prozent.
Martin Schirdewan und Janine Wissler sind die neuen Vorsitzenden der Linkspartei. Auf dem Bundesparteitag in Erfurt erhielt der Europaabgeordnete Martin Schirdewan 61,3 Prozent der Stimmen. Er setzte sich damit gegen der Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann durch, der mit 31 Prozent der Stimmen auf Platz zwei landete. Die Abstimmung hatte sich wegen technischer Probleme lange verzögert.
Zuvor war bereits die Parteichefin Wissler im Amt bestätigt worden. Sie war zwar nach einer Reihe von Wahlschlappen und internen Grabenkämpfen umstritten. Auch ein Sexismus-Skandal hatte ihr viel Kritik eingebracht. Dennoch setzte sie sich im ersten Wahlgang gegen zwei Mitbewerberinnen bei dem für Frauen vorgesehenen Platz in der Doppelspitze durch. Sie erhielt rund 57,5 Prozent der Stimmen. Wissler und Schirdewan gelten als Realpolitiker, die gut miteinander auskommen.
Wissler überzeugt Delegierte
Mit einer kämpferischen Rede zu Parteitagsbeginn, in der sie Fehler eingeräumt und für einer Erneuerung der Partei geworben hatte, konnte Wissler offenbar viele Delegierte überzeugen. Wissler steht erst seit Februar 2021 an der Spitze der Linken. Ihre Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow war im April resigniert zurückgetreten.
Für den zweiten Posten an der Parteispitze treten auf dem Parteitag mehrere Bewerber an. Als aussichtsreichste Kandidaten gelten der Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann und der Europapolitiker Martin Schirdewan. Neben dem Führungsduo soll der gesamte Vorstand, der verkleinert wurde, neu gewählt werden. Für den Vorstand gibt es etwa 100 Kandidaten, die sich dem Parteitag vorstellen dürfen - allein für den Parteivorsitz gab es zehn Bewerber. Die personellen Veränderungen sollen der Linken helfen, wieder Tritt zu fassen.
Streit über Haltung zu Russland
Bei ihrem Treffen berieten die Delegierten auch über die Haltung zu Russland. In einem Leitantrag des Vorstandes wird der russische Angriffskrieg verurteilt, allerdings stellt sich die Partei gegen Waffenlieferungen an Kiew. Stattdessen müssten "nichtmilitärische Möglichkeiten" erweitert werden, heißt es in dem Papier, dessen Verabschiedung aus Zeitgründen verschoben wurde. Zudem wird Russland darin wegen des Ukraine-Kriegs eine "imperialistische Politik" vorgeworfen.
Dies ist jedoch sehr umstritten in der Partei: Zu Beginn der Beratungen war ein Änderungsantrag der Gruppe um Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht gescheitert. Sie sieht eine Mitschuld des Westens am Krieg. Der gescheiterte Änderungsantrag sah unter anderem die Streichung der Passage aus dem Leitantrag vor, in der Russland eine "imperialistische Politik" vorgeworfen wird.
Die amtierende Fraktionschefin, Amira Mohamed Ali, warf der Bundesregierung in ihrer Rede vor, sie riskiere durch die Waffenlieferungen, dass Deutschland von Russland als Kriegspartei angesehen werde. Es müsse das Ziel allen Handelns sein, dass der Krieg sich nicht ausweite. "Aber so handelt die Bundesregierung nicht."
Antrag zur Klimaneutralität
In einem bereits beschlossenen Antrag setzt sich die Linke dafür ein, in Deutschland bereits 2035 klimaneutral zu machen - und damit zehn Jahre früher als bislang von der Bundesregierung geplant. Die Partei schlägt dafür ein zusätzliches Investitionsprogramm über 20 Milliarden Euro für die Energiewende vor.
Gysi kritisiert eigene Partei scharf
Der frühere Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi verlangte auf dem Parteitag einen Neustart, damit die Linke nicht in die Bedeutungslosigkeit abrutsche. Die Krise resultiere auch daraus, dass nicht mehr erkennbar sei, was Mehrheits- und was Minderheitsmeinung sei. Er sprach von Denunziationen von Parteimitgliedern untereinander: "Das ist unerträglich." Der 74-Jährige appellierte an die Delegierten: "Hört auf mit dem ganzen kleinkarierten Mist in unserer Partei."
Wichtig sei, dass die Partei sich für Chancengleichheit von Kindern, für Klimaschutz, für Arbeitnehmerinteressen sowie die Gleichstellung von Frauen und Männern einsetze. Das sei wichtiger als Anträge zu Gendersternen, sagte Gysi, der dafür auch Buh-Rufe erntete. "Es geht nicht darum, Schreibweisen zu verändern, sondern die Verhältnisse."