Plattenbauten in Berlin

Wohnraum-Bündnis präsentiert Ergebnisse Neue Etagen für alte Platten?

Stand: 12.10.2022 08:17 Uhr

Monatelang hat das "Bündnis für bezahlbaren Wohnraum" beraten, wie das Ziel der Ampel-Koalition von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr eingehalten werden kann. Heute werden Ergebnisse präsentiert. Beobachter erwarten einen Minimalkonsens.

Von Oliver Neuroth, ARD-Hauptstadtstudio

"Aufstocken" ist in der Politik eher negativ besetzt. Meistens geht es um Menschen, die zu wenig Geld verdienen, um über die Runden zu kommen, und daher zusätzlich Sozialleistungen beziehen.

Neue Etagen für alte Plattenbauten

Bundesbauministerin Klara Geywitz will das "Aufstocken" neu denken: Sie möchte im großen Stil Mehrfamilienhäusern zusätzliche Etagen verpassen. Vergangene Woche hat sich die SPD-Politikerin ein Beispielprojekt in Berlin-Buch angeschaut: Einen 70er-Jahre-Plattenbau, der auf seine fünf Stockwerke drei weitere aufs Dach bekommen hat. Geywitz sprach von einem "Multiplikationseffekt" - die Idee solle in andere Bundesländer exportiert werden.

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Das "Aufstocken" ist eine vergleichsweise günstige Baumethode: Es sind keine neuen Grundstücke nötig, die Infrastruktur eines Gebäudes ist schon vorhanden. Die Ministerin will durchsetzen, dass die bürokratischen Hürden dafür niedriger werden. Geywitz setzt sich für kürzere Prüfungsverfahren und mehr Digitalisierung ein. Was nach einer Forderung aus den frühen Nullerjahren klingt, ist in Deutschland leider auch 2022 noch aktuell: Weiterhin können Bauherren ihren Bauantrag nicht überall digital einreichen.

Die Kommunen sind gefragt

Bei vielen Punkten kann Geywitz nur ihre Wünsche formulieren, gefragt sind die Kommunen. Sie werden bei diesem Wohngipfel durch ihren Spitzenverband vertreten, den Städte- und Gemeindebund. Neben ihm gehören 34 weitere Verbände und Organisationen dem "Bündnis bezahlbarer Wohnraum" an, darunter der Verbraucherzentrale Bundesverband, das Deutsche Studentenwerk und verschiedene Vertreter der Wohnungs- und Bauwirtschaft.

Seit einem halben Jahr beraten sie über ein Konzept, um den Wohnungsbau in Deutschland schnell, kostengünstig und klimaneutral zu machen. Kurzum: Es geht um die Frage, wie das Ziel der Ampel-Koalition, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu schaffen, eingehalten werden kann. Heute will das Bündnis seinen Maßnahmenkatalog präsentieren. In welche Richtung es geht, verrät niemand der Beteiligten vorab. Man habe sich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Das Bundesbauministerium möchte nicht einmal etwas zur grundsätzlichen Gemengelage sagen: Interviewanfragen werden abgelehnt.

Mehr Digitalisierung, weniger Bürokratie

Die Verbände der Wohnungswirtschaft haben in den vergangenen Wochen schon ihre Grundpositionen erklärt, zum Beispiel der Zentrale Immobilienausschuss ZIA. Hauptgeschäftsführer Oliver Wittke unterstützt die Initiativen nach mehr Digitalisierung und weniger Bürokratie.

Er stellt sich aber gegen die hohen Energiestandards für Neubauten, an denen die Bundesregierung weiter festhält. "Das kann man sich in guten Zeiten eventuell leisten. Aber in so schwierigen Zeiten, wie wir sie jetzt haben, müssen wir alles tun, was den Wohnungsbau stimuliert", sagte er im Juli im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Private Investoren müssten animiert werden, Geld in den Wohnungsbau zu stecken. Sie würden aber eher abgeschreckt.

Das Bauministerium argumentiert: Gerade jetzt müsse man an gute Dämmungen und Isolierungen von Neubauten setzen - mit Blick auf die Energiekrise und hohe Nebenkosten.

Lieferengpässe, Fachkräftemangel - und der Krieg

Die Wirtschaft hat noch weitere Sorgen: Wegen Pandemie und Krieg gibt es Lieferengpässe bei Materialien, die Bauprojekte in die Länge ziehen. Dazu fehlen nach wie vor Fachkräfte.

Und durch die Erhöhung des Leitzinses durch die Europäische Zentralbank im Sommer sind Immobilienkredite teurer geworden. Die Zinsen liegen inzwischen bei über drei Prozent und damit auf einem so hohen Niveau wie seit gut zehn Jahren nicht mehr. Die Sparkassen berichten, dass immer weniger Kunden Baufinanzierungen anfragen.

Bauen ist zum Luxus geworden: Für ein Haus in guter Lage werden nicht selten Kosten im Millionenbereich fällig. Auf die Baubranche rollt daher eine Stornierungswelle zu: Laut ifo Institut waren im September 17 Prozent der Unternehmen von Stornierungen betroffen. Die Sorgen vor der Zukunft seien in der Branche selten so groß gewesen.

400.000 neue Wohnungen werden kaum zu erreichen sein

All diese Faktoren kann Bauministerin Geywitz kaum beeinflussen. Die Zahl von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr hat ihre Regierung in den Koalitionsvertrag geschrieben, als der Krieg in der Ukraine und seine Folgen noch nicht absehbar waren. Das Ziel wird kaum zu erreichen sein, das "Aufstocken" von Mehrfamilienhäusern ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Selbst im vergangenen Jahr, wo Krieg und Inflation noch keine Rolle spielten, wurden nur knapp 300.000 neue Wohnungen fertiggestellt. Mit Blick auf die vielen tausend Menschen, die derzeit als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, dürften 400.000 neue Wohnungen bei weitem nicht ausreichen.

Beobachter setzen eher niedrige Erwartungen an die Konzepte des "Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum": Bei mehr als 30 Beteiligten mit zum Teil höchst unterschiedlichen Interessen ist ein Minimalkonsens wahrscheinlich. Doch es gibt auch ein positives Signal: Dass sich überhaupt so viele Köpfe an einen Tisch setzen, zeigt die Wichtigkeit des Themas. Und den Willen aller, dass sich auf dem Wohnungsmarkt etwas verändern muss.

Oliver Neuroth, Oliver Neuroth, ARD Berlin, 12.10.2022 07:34 Uhr