Ex-Bundespräsident lehnt Deal ab "Wulffs Entscheidung ist konsequent"
Ex-Bundespräsident Wulff will notfalls vor Gericht seine Unschuld beweisen. Was die Entscheidung gegen den Deal mit der Staatsanwaltschaft bedeutet, analysiert ARD-Hauptstadtkorrespondent Michael Götschenberg im Interview mit tagesschau.de. Im Rückblick auf die Affäre ist für ihn Wulffs Kardinalfehler eindeutig.
tagesschau.de: Christian Wulff hat sich entschieden, den Deal der Staatsanwalt abzulehnen. Was bedeutet das?
Michael Götschenberg: Das bedeutet, dass es nun voraussichtlich zur Anklage und schließlich auch zu einem Prozess kommen wird, wenn die Staatsanwaltschaft nicht auf eine Anklage verzichtet. Die Ermittler sind in einer schwierigen Position: Der Präsident ist zurückgetreten und für viel Geld wurde monatelang ein Ermittlungsaufwand betrieben, als handele es sich um einen Mafia-Paten. Einerseits ist es für die Staatsanwaltschaft jetzt schwer darstellbar, die Ermittlungen einzustellen. Andererseits wäre es aber konsequent, denn das Ergebnis ist mehr als dürftig. Bis auf die Hotelübernachtung beim Oktoberfest in München ist nichts übrig geblieben.
Seit 2010 ist Michael Götschenberg politischer Korrespondent in Berlin und leitet dort das gemeinsame Studio von RBB, MDR, RB und SR. Bundespräsident Wulff hat er auf zahlreichen Auslandsreisen begleitet. Die Geschichte des Rücktritts und die Rolle der Medien analysiert Götschenberg in seinem Buch "Der böse Wulff?".
Kein schlechter Präsident, aber schlechter Krisenmanager
tagesschau.de: Überrascht Sie diese Entscheidung, nach dem, was Sie über die so genannte "Causa Wulff" und über die Person des Ex-Bundespräsidenten recherchiert haben?
Götschenberg: Nein, denn letztlich hatte Wulff die Wahl zwischen Pest und Cholera: dem Vorwurf, sich freizukaufen, und der Aussicht auf einen monatelangen Prozess mit erneuter massiver medialer Aufmerksamkeit. Da er aber immer betonte, dass er sich nichts vorzuwerfen habe, ist es nun konsequent, die Sache auch juristisch durchzukämpfen.
tagesschau.de: Wie haben Sie Wulff als Präsident und als Krisenmanager erlebt?
Götschenberg: Ich bin der Ansicht, dass er kein schlechter Bundespräsident war. Das Thema "Bunte Republik Deutschland" war ihm ein wichtiges gesellschaftspolitisches Zukunftsthema, in dem er auch etwas bewegt hatte, trotz der Kürze der Amtszeit. Bei den Migrantinnen und Migranten in Deutschland steht er bis heute hoch im Kurs, vor allem bei den muslimischen. Das liegt natürlich vor allem an dem Satz "Auch der Islam gehört inzwischen zu Deutschland", aber nicht nur: Auch sein Engagement für die Familien der NSU-Mordopfer war ein wichtiges Signal. Auf zahlreichen Auslandsreisen hat er Deutschland vertreten. Ich glaube nicht, dass das Amt an sich zu groß für ihn war. Das Krisenmanagement dann allerdings schon - daran ist er gescheitert. Er hat extrem schlecht kommuniziert, immer neue Angriffsfläche geboten und damit maßgeblich selbst zu seinem Sturz beigetragen.
Medien im Machtkampf
tagesschau.de: War er falsch beraten? Oder hat er die Mechanismen des Berliner Politikbetriebs auch falsch verstanden bzw. falsch eingeschätzt?
Götschenberg: Ein Problem war, dass sein Sprecher Olaf Glaeseker direkt zu Beginn der Krise selbst unter Druck geriet und gehen musste. Er war über viele Jahre Wulffs Lotse in der Medienwelt. Für einen professionellen Medienberater fehlte in der Krise letztlich das Geld: Wulff musste schon eine Anwaltskanzlei beschäftigen, um mit den Vorwürfen umzugehen, die ja seine Amtszeit als Ministerpräsident in Niedersachsen betrafen. Der Kardinalfehler war, dass er nicht von Anfang an alles auf den Tisch gelegt hatte. Mit seiner Salamitaktik hatte er seine Glaubwürdigkeit verspielt. Die Medien hatten schließlich bei der Skandalisierung von Wulff jedes Maß verloren und sich in einen Machtkampf mit dem Bundespräsidenten begeben, als klar war, dass er von sich aus nicht zurücktreten wird.
tagesschau.de: Eine große Rolle in diesem Politikbetrieb spielt die Berichterstattung und nicht zuletzt im Fall Wulff die der "Bild-Zeitung". Wollten "Bild" und ihr Chefredakteur Kai Diekmann an Wulff ein Exempel statuieren?
Götschenberg: "Bild" spielte in den Wochen der Krise eine besondere Rolle. Zunächst einmal löste die Zeitung die Krise aus, indem sie die Geschichte über die Hausfinanzierung brachte und damit ihr Verhältnis zu Wulff neu erfand: Sie hatte Wulff als Ministerpräsident in Niedersachsen jahrelang gefeiert und ihn liebevoll in Szene gesetzt. Das war eine Art "Geschäftsbeziehung" zum beiderseitigen Vorteil. "Bild" legte dann im Dezember 2011 den Schalter um und machte von heute auf morgen aus dem "guten" den "bösen" Wulff. Die "Bild-Zeitung" verbreitete den Anruf Wulffs auf der Mailbox von Diekmann in der Öffentlichkeit. Obwohl sich Wulff dafür entschuldigte, war er damit eigentlich erledigt. So war "Bild" im Fall Wulff eher Akteur als journalistischer Beobachter.
Affäre überschattet alles
tagesschau.de: Haben sich Wulff und seine Frau vom Glanz der eigenen Bilder blenden lassen?
Götschenberg: Zweifellos funktionierte diese Präsidentschaft viel über glanzvolle Bilder. Das konnte man oberflächlich finden, es bediente aber auch einen Bedarf in der Bevölkerung nach ein bisschen Glamour in der Politik. Nach dem Abgang der Guttenbergs war die Bühne frei, und die Wulffs bespielten sie. Letztlich war Wulff aber der Ansicht, als Bundespräsident die Medien nicht mehr zu brauchen. Das war ein fataler Irrtum. Er hatte es versäumt, sich bei den Medien "Kredit" zu erarbeiten und sie davon zu überzeugen, dass er dem Amt gewachsen ist.
tagesschau.de: Wulffs Rücktritt überschattet seine gesamte kurze Amtszeit. Glauben Sie, dass sich irgendwann eine Bewertung davon lösen kann?
Götschenberg: Das wird schwierig. Er wird natürlich vor allem wegen der Umstände des Rücktritts in Erinnerung bleiben. Ob man sich an seine inhaltlichen Erfolge erinnert, wird sicherlich auch davon abhängen, was er in Zukunft noch macht. Zurzeit steht die Affäre natürlich im Vordergrund und überschattet alles.
Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de