Ein Mann mit Weste nimmt ein Paket mit Amazon-Logo aus einem Transporter
exklusiv

Subunternehmer "System der Ausbeutung" bei Amazon?

Stand: 05.07.2023 05:55 Uhr

Der Bundesrat will die Arbeitsbedingungen von Paketboten verbessern. Doch der Vorstoß droht ins Leere zu laufen. Interne Papiere zeigen nun, wie Amazon die Ausbeutung von Fahrern begünstigt.

Von Caroline Uhl und Niklas Resch, SR

Mustafa* hat seine Zeit als Zusteller für Amazon-Pakete in schlechter Erinnerung. Bis zu 300 Pakete am Tag habe er ausgeliefert. "Ich habe getragen wie ein Sklave vom Morgen bis zum Abend." Am Monatsende habe sein Chef, ein Subunternehmer von Amazon, ihn um Lohn geprellt.

Weil Ähnliches in der Logistikbranche häufig vorkommt, will der Bundesrat das Paketboten-Schutzgesetz verschärfen. In einer Prüfbitte an die Bundesregierung geht es unter anderem um ein Verbot des Subunternehmertums. Allerdings mit einer Ausnahme: Wer Tariflohn zahlt, soll weiter bestehen bleiben dürfen.

Das sei eine Einschränkung mit Tücken, sagt Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz. "Tariflohn für die Paketzusteller, das müsste ja auch kontrolliert werden." Die Behörden seien dazu aber nicht in der Lage. Dieser Vorschlag werde den Paketfahrern deshalb kaum helfen. Gewerkschafter teilen diese Einschätzung. Strengere Kontrollen seien außerdem auch ohne Gesetzesänderung möglich. Das Bundesarbeitsministerium teilte mit, den Vorstoß der Länderkammer zu prüfen.

Umfangreiche Vorgaben für Subunternehmer

Im Falle des Versandhändlers Amazon zeigen Recherchen von SR, "Correctiv" und "Nordsee-Zeitung" erstmals, wie der Branchenriese die prekäre Lage der Paketfahrer begünstigt. Aus Unterlagen und Verträgen geht hervor: Die Vorgaben für Subunternehmer sind umfangreich. Deren wirtschaftlichen Spielraum halten Branchenkenner für klein.

Öffentlich stellt Amazon einen Gewinn von 60.000 bis 140.000 Euro pro Jahr in Aussicht. Für 60.000 Euro müsste ein Subunternehmer aber wohl schon zwölf Monate lang 20 Lieferwagen im Einsatz haben. Er müsste dabei wesentliche Posten vom Auto-Leasing, über die Buchhaltungssoftware bis zu Versicherungen zu vorgegebenen Konditionen über Vertragspartner von Amazon abwickeln.

Und er wäre darauf angewiesen, ausreichend Routen zu bekommen. Denn eine Garantie für eine bestimmte Zahl an Touren gibt Amazon nicht, so betont es der Konzern selbst.

Volkswirt Sell hält die Zahlen ohnehin für "vollmundige Versprechen", die die Subunternehmer im Regelfall nicht schafften. "Der Druck wird dann wirklich ungefiltert, ungebremst an die eigenen Mitarbeiter weitergegeben." Nach Einschätzung von Sell ist eine Ausbeutung der Fahrer "Kern der Strategie von Amazon".

Auch mehrere Subunternehmer sehen das so. Einer sagt: "Man kann kein erfolgreiches Amazon-Subunternehmen führen mit menschenwürdigen Arbeitsbedingungen."

Zur Wahrheit gehört aber auch: Amazon zwingt keinen Subunternehmer zu unredlichem Handeln. Der Versandhändler teilt mit, die hohe Zahl der Lieferpartner, die seit mehreren Jahren für Amazon arbeite, beweise "die Möglichkeit eines langfristigen wirtschaftlichen Erfolgs". Amazon verlange von seinen Partnern, Gesetze einzuhalten, "insbesondere in Bezug auf faire Löhne und angemessene Arbeitszeiten".

"Geschickte Knebelverträge"

Doch auch Arbeitsrechtler halten die Verträge für problematisch. Diese schränkten die unternehmerische Freiheit der Subunternehmen stark ein, resümiert Jura-Professor Manfred Walser von der Hochschule Mainz. Beispielsweise kann Amazon bestehende Verträge eigenmächtig und ohne Zustimmung ändern und bekommt auf Geheiß Einblick etwa in Gehaltsabrechnungen.

Der Bremer Fachanwalt für Arbeitsrecht, Frank Ewald, spricht von "sehr geschickten und kompliziert formulierten Knebelverträgen". Amazon verlagere das wirtschaftliche Risiko und die Verantwortung für die Fahrer auf die Subunternehmen, "ohne dabei die Kontrolle über die Ausführung der Arbeit abzugeben". Ewald sieht Hinweise auf unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung. 

"Wir weisen diese Behauptung zurück", erwidert Amazon. Die Lieferpartner könnten "ihre Geschäfte nach eigenem Ermessen führen". Die Aussage eines Subunternehmers klingt anders: "Amazon weiß und kontrolliert alles von meinem Unternehmen. Ich darf im Grunde nur entscheiden, wen ich einstelle und wen ich rausschmeiße."

* Name geändert

Niklas Resch, SR, tagesschau, 05.07.2023 06:05 Uhr