AfD-Politiker in Russland "Wahlbeobachtung auf Bestellung"
Zur Wahl in Russland hat die OSZE wegen zu großer Auflagen keine Beobachter geschickt. Internationale Anerkennung holt sich Moskau deshalb anderswo - etwa bei AfD-Politikern. Kritiker sprechen von "Fake-Wahlbeobachtung".
Transparenz, Offenheit, moderne Wahlstandards - davon sprach die Chefin der Zentralen Wahlkommission Russlands, Ella Pamfilowa, bei einer Konferenz an der staatlichen Lomonossow-Universität in Moskau mit 300 geladenen Gästen aus der ganzen Welt.
Vor der Duma-Wahl in Russland sollte es um Entwicklungen bei "Wahlen in der modernen Welt" gehen. Auch ein Panel zu "modernen Mechanismen für Eingriffe in den Wahlprozess souveräner Staaten" gab es. Die von Pamfilowa gepriesene Modernisierung des Wahlprozesses, zu der die Online-Stimmabgabe zählt, stärkten allerdings das Misstrauen bei Oppositionellen und Unabhängigen, nachdem Wahlen zuvor schon von Betrugsvorwürfen überschattet waren.
Reise finanziert von Russland
Aus Deutschland sollten neun Teilnehmer ihre Expertise in die Konferenz einbringen, unter ihnen vier AfD-Landtagsabgeordnete. Zu ihrer Teilnahme vom ARD-Politikmagazin Kontraste und von tagesschau.de befragt, gaben einige Abgeordnete freimütig Auskunft.
Einladung und Finanzierung seien durch die Russische Zivilkammer und die Politologische Gesellschaft Russlands erfolgt, gab der bayerische Landtagsabgeordnete Ulrich Henkel an. Sein Fraktionskollege Ulrich Singer erklärte, er sei als Fachmann eingeladen worden, wobei seine Expertise und sein Engagement für Menschen mit Behinderung eine Rolle gespielt habe. Er schrieb von "außergewöhnlichen Bemühungen", Menschen mit körperlichen Behinderungen in einem Flächenland wie Russland an Wahlen teilnehmen zu lassen.
Die Hamburgische Abgeordnete Olga Petersen referierte laut Konferenz-Ankündigung über die Geschichte eines deutschen "Wahlinstituts". In russischen Medien wurde sie noch vor Ende der Wahl mit Lob über den Ablauf interviewt.
Der Berliner Abgeordnete Gunnar Lindemann erörterte die Frage, ob Wahlen in Deutschland demokratisch ablaufen. In einem Tweet mit Selfies gab er eine Richtung vor: "Auch in #Deutschland werden Wahlen durch einseitige, z.T. falsche, Berichterstattung beeinflusst."
Nebenaußenpolitik ohne Mandat
Keiner der Abgeordneten reiste mit offiziellem Auftrag. Keiner war im Auftrag einer Wahlbeobachtungsorganisation unterwegs. Der Sprecher der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus teilte am Freitag mit, Lindemann befinde sich privat in Moskau. "Als Landtagsfraktion nehmen wir naturgemäß keine außenpolitischen Aufgaben wahr und kommentieren entsprechende Themen auch nicht."
Ähnlich äußerte sich der Pressesprecher der Hamburgischen Bürgerschaftsfraktion in Bezug auf Petersen und ergänzte: "Im Übrigen pflegen weder Landes- noch Fraktionsvorstand offizielle oder inoffizielle Verbindungen zur russischen Regierungspartei. Zudem ist es bemerkenswert, dass sich Frau Petersen zehn Tage vor der Bundestagswahl nicht im Wahlkampf in Deutschland befindet, sondern sich für eine Woche zur Wahlbeobachtung in Russland aufhält."
"Beobachtung auf Bestellung"
Die Konferenz endete rechtzeitig vor Beginn der Duma-Wahl am Freitag. Ebenfalls auf Einladung der Russischen Zivilkammer oder auch privat wollten sich ausländische Politiker und Experten als Wahlbeobachter betätigen. Pamfilowa sprach von 250 internationalen Beobachtern.
Der AfD-Bundestagsabgeordneter Stefan Keuter reiste nach Baschkortostan - auf Einladung der Zivilkammer und von dortigen Regierungsvertretern, wie er auf Anfrage schrieb. Schon am ersten Wahltag lobte er in Lokalmedien den laufenden Abstimmungsprozess. Eine Frage von Kontraste und tagesschau.de zum Fall Nawalny wollte er hingegen nicht kommentieren. Es sei oberstes Gebot von Außenpolitik, sich nicht in Innenpolitik anderer Staaten einzumischen.
International anerkannte Regeln für Beobachter
Seine Reise verteidigte Keuter: Er sei "offizieller und akkreditierter Wahlbeobachter". "Gegen welches internationale Abkommen soll diese Reise bitte verstoßen?", fragte er.
Dabei legt eine 2005 verabschiedete UN-Deklaration klare Rahmenbedingungen für seriöse Wahlbeobachtungsmissionen fest. Demnach ist eine strikte - auch finanzielle - Unabhängigkeit der Beobachter von Regierungsinstitutionen des Gastlandes erforderlich. Ernstzunehmende Wahlbeobachter dürfen sich grundsätzlich nicht während der laufenden Abstimmung in Medien äußern. Die Beobachtung selbst folgt strengen Regeln und erstreckt sich nicht auf den Abstimmungszeitraum allein.
Auf internationale Regeln verweist auch der ehemalige Direktor der für Wahlbeobachtungen zuständigen Organisation der OSZE und aktuell europapolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Georg Link: "Abgeordnete, die nicht an diesen international legitimierten Beobachtungen teilnehmen, sondern einer einseitigen Einladung russischer Stellen folgen, nehmen an einer Fake-Wahlbeobachtung teil, einer 'Beobachtung auf Bestellung'. Sie untergraben die Bedeutung des Terminus 'Wahlbeobachter' und erfüllen eine in den Augen des russischen Regimes nützliche Mission."
Willfährige, statt professionelle Beobachter
Die OSZE-Beobachterorganisation ODIHR sagte ihre Mission im August ab. Weder professionelle Beobachter noch Parlamentarier der OSZE reisten nach Russland. Der Europarat schickte nur eine kleine Delegation. "Grund für die beiden Absagen waren die äußerst restriktiven Bedingungen, die Russland den Beobachtern stellen wollte. Das ist unzulässig und die Absage der Beobachtung war daher nur konsequent", erläutert Link dazu.
Internationale Zustimmung für die Wahl würde die russische Führung angesichts massiver Menschenrechtsverletzungen keinesfalls von den einzig legitimierten internationalen Beobachtungsmissionen (OSZE und Europarat) erhalten, ist Link sicher.
Diese besorge sie sich auf andere Weise: Das autoritäre russische Regime lade nützliche und geltungssüchtige ausländische Politiker ein, "die willfährig im staatlich gelenkten russischen Fernsehen jene internationale Zustimmung simulieren, die das Regime so dringend will".
Kritik an solchen "Wahlbeobachtern" kommt auch aus Russland. Letztlich handele es sich um Touristen, die herumkutschiert würden, sagte Grigorij Melkonjanz im Interview mit dem ARD-Studio Moskau. Er leitet die unabhängige Wahlbeobachtergruppe Golos. Sie steht wie viele andere unabhängige Organisationen, Medien und Journalisten auf der Liste der sogenannten "ausländischen Agenten", was deren Arbeit erheblich einschränkt.
Deutsche AfD-Politiker betätigen sich häufig als "Wahlbeobachter". Singer und Henkel wurden 2020 in regierungsnahen Medien Aserbaidschans mit lobenden Worten über die Parlamentswahl dort zitiert.
Der Bundestagsabgeordnete Ulrich Oehme war 2018 auf Kosten Russlands auf der völkerrechtlich zur Ukraine gehörenden Halbinsel Krim. Inwieweit sie letztlich in den Augen der Menschen in Russland und international zur Legitimation des Wahlergebnisses beitragen werden, ist fraglich.