Blick auf das Zentrum von Aserbaidschans Hauptstadt Baku mit modernen Gebäuden.
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Deutsch-russische Treffen Die rätselhafte Baku-Connection

Stand: 16.10.2024 11:00 Uhr

Offiziell gilt der deutsch-russische "Petersburger Dialog" seit Jahren als beendet, doch offenbar führen hochrangige Kreml-Vertreter weiter Gespräche mit einflussreichen Deutschen aus Politik und Gesellschaft.

Von Andrea Becker, Georg Heil, Markus Pohl und Henrike Reintjes, RBB

Am kommenden Sonntag, dem 20. Oktober, ist eine Gruppe von einflussreichen Russen und Deutschen um 18:30 Uhr in der Lobby des 5-Sterne-Hotels Four Seasons in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, verabredet. Man trifft sich, um gemeinsam Abendessen zu gehen. Am Folgetag stehen Gespräche über die deutsch-russische Zusammenarbeit an. So zumindest steht es in einem russischen Programm mit Stand von Anfang Oktober, das mit dem offiziellen Logo des "Petersburger Dialogs" versehen ist und das die Wochenzeitung Die Zeit und das ARD-Politikmagazin Kontraste auswerten konnten.

Das Treffen wäre politisch brisant, da es die offizielle Außenpolitik der Bundesrepublik, die auf eine politische Isolation Russlands abzielt, untergraben würde. Keiner der im Programm aufgelisteten nicht-russischen Teilnehmer bestätigt gegenüber Zeit und Kontraste seine geplante Teilnahme an dem Treffen. Einer dementiert auf Nachfrage deutlich, einige antworten gar nicht, andere antworten ausweichend.

"Petersburger Dialog" offiziell aufgelöst

Der "Petersburger Dialog" war 2001 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ins Leben gerufen worden und sollte die deutsche und die russische Zivilgesellschaft einander näherbringen. Nachdem Russland 2021 am Dialog beteiligte Organisationen als "unerwünscht" erklärt hatte, wurde der Dialog von deutscher Seite offiziell eingestellt. Nach dem Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 lösten die Deutschen auch die zugehörigen Vereinsstrukturen auf.

Prominente Deutsche auf der Teilnehmerliste

Laut Programm sollen Matthias Platzeck, ehemaliger SPD-Vorsitzender und Brandenburger Ministerpräsident, Ronald Pofalla (CDU), ehemaliger Chef des Bundeskanzleramtes, sowie der ehemalige Geschäftsführer des "Petersburger Dialogs", Martin Hoffmann, an der Zusammenkunft in Baku teilnehmen. Platzeck saß jahrelang im Vorstand des "Petersburger Dialogs". Pofalla leitete das Format von 2015 bis 2021.

Auch zwei Schweizer sind als Teilnehmer vermerkt: Tim Guldimann, ehemaliger Schweizer Botschafter in Berlin, und Thomas Greminger, ehemaliger Generalsekretär der OSZE und heute Direktor des auch vom Schweizer Staat finanzierten Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik.

In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung hatte Greminger kürzlich auf die Notwendigkeit "vertraulicher Dialog-Formate" mit Russland hingewiesen. 

Laschet dementiert geplante Teilnahme

Auch der Bundestagsabgeordnete und Außenpolitiker Armin Laschet, ehemaliger CDU-Parteivorsitzender und NRW-Ministerpräsident, steht im Programm als Teilnehmer.

Eine Mitarbeiterin Laschets erklärte auf Anfrage von Kontraste und Zeit jedoch, Laschet nehme im genannten Zeitraum einen Lehrauftrag und andere öffentlich zugängliche Termine wahr "und wird nicht an irgendwelchen Gesprächen in Baku teilnehmen".

Nachfragen dazu, etwa ob Laschet von dem Treffen Kenntnis habe oder sich erklären könne, wie sein Name ins Programm kam, beantwortete die Mitarbeiterin wie folgt: "Uns ist keine Teilnehmerliste bekannt. Herr Laschet erhält täglich zahlreiche Einladungen zu Konferenzen und Veranstaltungen, die er nicht alle wahrnehmen kann." Ronald Pofalla, Matthias Platzeck und Tim Guldimann ließen Anfragen von Zeit und Kontraste unbeantwortet.

Keine Bestätigung, kein Dementi

Der Schweizer Thomas Greminger schreibt, alle bestehenden Kontakte seien "wahrscheinlich das Ergebnis privater Initiativen. Dies gilt auch für Veranstaltungen wie die, auf die Sie sich beziehen. Es steht mir nicht zu, die Existenz bestimmter privater Kontakte oder Treffen zu bestätigen oder zu dementieren". 

Ähnlich äußert sich Martin Hoffmann: "Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich zu Anfragen hinsichtlich konkreter privater Kontakte grundsätzlich keine Angaben mache und diese weder bestätige noch dementiere."

Von russischer Seite soll laut Programm unter anderem Wiktor Subkow, der ehemalige Ministerpräsident Russlands und langjährige Weggefährte Wladimir Putins, teilnehmen. Subkow trägt den Titel Aktiver Staatsrat 1. Klasse der russischen Föderation, es ist der höchste Rang für russische Staatsbeamte. Seit 2008 ist er zudem Aufsichtsratschef des Staatskonzerns Gazprom. Auch der russische Botschafter in Aserbaidschan, Michail Ewdokimow, wird im Programm erwähnt.

Sanktionierter Russe bestätigt Treffen

Waleri Fadejew findet sich ebenfalls auf der Teilnehmerliste, er ist Vorsitzender des russischen Präsidialrats für Menschenrechte und Berater Putins. Die Europäische Union führt Fadejew auf ihrer Sanktionsliste, da er "Desinformation und Propaganda" zur Rechtfertigung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verbreitet habe. Er ließ auf Anfrage mitteilen, er könne sich erst nach dem Treffen dazu äußern, im Übrigen sei er zu Unrecht der Propaganda und Desinformation beschuldigt.

Michail Schwydkoj, ebenfalls im Programm genannt und Sonderbeauftragter Putins für kulturelle Zusammenarbeit mit dem Ausland, teilt auf Anfrage mit, das geplante Treffen vom 20. bis 21. Oktober in Baku sei informeller Natur, die Teilnehmer sprächen nur für sich persönlich und würden keine Institutionen, auch nicht den "Petersburger Dialog", vertreten.

Zweifel daran, dass das geplante Treffen in Baku einen rein privaten Charakter habe, sind jedoch angebracht, nicht nur weil das offizielle Logo des "Petersburger Dialogs" im russischen Programm Verwendung findet und hochrangige staatliche Repräsentanten Russlands teilnehmen wollen. Reporter von Zeit und Kontraste sind zudem auf eine öffentliche Ausschreibung der staatlichen Universität in Sankt Petersburg gestoßen, darin werden Dienstleister gesucht für die Durchführung von Veranstaltungen im Rahmen des Petersburger Dialogforums.

Treffen in Baku schon im April

Laut einer weiteren Tagesordnung, die Zeit und Kontraste auswerten konnten, soll es schon sechs Monate zuvor, am 21. und 22. April 2024, ein vertrauliches Treffen im Four Seasons in Baku gegeben haben. Das bestätigt auch Michail Schwydkoj auf Anfrage. Russische und deutsche Experten hätten über die gegenwärtigen und die möglichen künftigen Beziehungen Russlands gesprochen.

Seine Angaben decken sich mit der Tagesordnung, laut der es bei dem Treffen im April auf Vorschlag der deutschen Seite zwei Punkte gegeben habe: "Der Tag danach" und "Die Zeit dazwischen" - dazu heißt es im Programm: "Wie man Kommunikationswege und Vertrauensbrücken baut. Was können beide Seiten tun, um Netzwerke zu erhalten?" Schließlich sollte als dritter Punkt erörtert werden, wie oft sich die "Kontaktgruppe" künftig treffen solle.

"Durchsetzung russischer Interessen"

Als Teilnehmer im April werden Platzeck und Hoffmann sowie Stephan Holthoff-Pförtner, ehemaliger Minister für Europaangelegenheiten im NRW-Kabinett von Armin Laschet, aufgeführt. Holthoff-Pförtner ist auch mit Ronald Pofalla eng verbunden: Er arbeitet als Rechtsanwalt in Holthoff-Pförtners Essener Kanzlei. Telefonisch lässt Holthoff-Pförtner jedoch seine Teilnahme an dem Treffen im April eindeutig dementieren.

Platzeck und Hoffmann äußerten sich nicht zu diesem Termin. Somit bleibt unklar, welche "deutschen Experten" an dem April-Treffen teilgenommen haben und auch wer eine Teilnahme am Treffen im Oktober geplant hat.

Stefan Meister, Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sagt, die russische Delegation bestehe aus Personen, die "im Sinne Putins imperialer, aggressiver Ideologie argumentieren und auch agieren". Es gehe ihnen nicht um Ausgleich, sondern darum, russische Interessen durchzusetzen.