"Reichsbürger"-Prozess Hinweise auf weitere geheime Reuß-Gruppe
Prinz Reuß soll seit 2021 einen gewaltsamen Umsturz geplant haben. Inzwischen steht er dafür vor Gericht. MDR-Recherchen zeigen nun, dass er Jahre zuvor offenbar schon eine andere bisher unbekannte, geheime "Reichsbürger"-Gruppe gegründet hatte.
Sie nannten sich "Kompetenzteam Freies Deutschland" (KTFD). Wer mitmachen wollte, musste eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. Beim ersten Treffen dieser bisher unbekannten "Reichsbürger"-Gruppierung ging es um Themen wie eine "vorübergehende Einsetzung des Kaisers" oder um "diplomatische Kontaktaufnahme" mit russischen Regierungsstellen.
Einer der Gründer des "Kompetenzteams" soll Heinrich Prinz Reuß gewesen sein. So geht es aus Behördenunterlagen hervor, die MDR Investigativ einsehen konnte. Das erste Treffen des "Teams" soll im Frühjahr 2019 im thüringischen Bad Lobenstein stattgefunden haben. Dort besitzt der Frankfurter Immobilienunternehmer Reuß ein kleines Jagdschloss.
Reuß im Dezember 2022 verhaftet
Mehr als drei Jahre später, im Dezember 2022 wurde Reuß verhaftet, weil er mit einer weiteren Gruppierung, der mutmaßlichen Terror-Gruppe "Patriotische Union", einen gewaltsamen Umsturz geplant haben soll. Laut Generalbundesanwalt bereitete diese Gruppe einen bewaffneten Angriff auf den Bundestag vor - mit dem Ziel, die Staatsmacht zu übernehmen.
Parallel dazu sollten, laut Anklage, landesweit knapp 270 paramilitärische Gruppen aktiviert werden, um "Aufräumarbeiten" und "Säuberungen" durchzuführen. Ideologisch orientierten sich viele in der "Patriotischen Union" an der QAnon-Verschwörungserzählung. Einige wie Reuß werden den "Reichsbürgern" zugerechnet.
Derzeit müssen sich Heinrich Reuß sowie 25 weitere mutmaßliche Mitglieder der "Patriotischen Union" wegen Bildung oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor den Oberlandesgerichten Frankfurt am Main, Stuttgart und München verantworten.
Die meisten von ihnen wurden bei einer bundesweiten Großrazzia am 7. Dezember 2022 verhaftet. Dabei fanden die Ermittler 347 Schusswaffen sowie 148.000 Munitionsteile. Zudem stießen die Fahnder im Frankfurter Büro von Reuß auf Dokumente, die sie auf die Spur des bisher unbekannten "Kompetenzteams Freies Deutschland" brachten. Für den Immobilienunternehmer war diese Gruppe offenbar eine Art erste Vorläufer-Organisation von Gleichgesinnten, die vieles einte - zuvorderst die Ablehnung der Bundesrepublik in ihrem Bestehen seit 1949.
Geheime Treffen mit "Reichsbürger" Haußner
Wann genau die KTFD-Gruppe gegründet wurde, lässt sich nicht eindeutig nachvollziehen. Ein sichergestelltes Protokoll der ersten Sitzung legt den Schluss nahe, dass es im Frühjahr 2019 losging. Unter dem Protokoll-Punkt "diplomatische Kontaktaufnahme mit den Allierten [sic!]", findet sich der Hinweis "offene Aussprache mit Lawarov [sic!]". Ob es sich dabei um den russischen Außenminister Sergej Lawrow handelt, ist unklar, liegt aber vor dem Hintergrund der späteren Versuche von Reuß mit der russischen Regierung Kontakt aufzunehmen, nahe.
Dass das "Team" geheim bleiben wollte, zeigen auch mehr als 30 Verschwiegenheitserklärungen, die ebenfalls bei Reuß gefunden wurden. Die Dokumente wirken wie eine Blaupause für die Verschwiegenheitserklärungen, die ab 2022 von der nun angeklagten "Patriotischen Union" verwendet wurden. Dabei gibt es auch Unterschiede: Im KTFD-Dokument wird bei Bruch der Verschwiegenheit mit einem "internationalen Gerichtshof" gedroht. Bei der "Patriotischen Union" hätten allzu redselige Mitglieder beim selben Verstoß mit ihrer Hinrichtung rechnen müssen. Die Anwälte von Heinrich Reuß haben auf Anfragen von MDR Investigativ nicht reagiert.
"Reichsbürger" mit Kontakten zu AfD-Politiker Höcke
Am 13. April 2019 unterschrieb Frank Haußner, ein Dachdecker aus Zeulenroda die KTFD-Verschwiegenheitserklärung. Das Dokument, versehen mit seinem handschriftlich eingetragenen Geburtsdatum wurde ebenfalls im Frankfurter Büro von Reuß gefunden. Haußner ist ein in Thüringen bekannter "Reichsbürger" mit Kontakten zum Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke sowie Redner auf sogenannten "Montagsdemos" in Ostthüringen. Den Sicherheitsbehörden gilt er als Kopf der "Patrioten Ostthüringen".
Wenige Tage nach der Reuß-Razzia im Dezember 2022 versammelte Haußner in Zeulenroda bei kaltem Winterwetter eine Schar Gleichgesinnter zu einer Art Solidaritätskundgebung für die Verhafteten. Diese seien "politische Gefangene einer links-grünen Parteiendiktatur", raunte er unter den aufmerksamen Ohren von Polizei und Verfassungsschutz. Nach Informationen von MDR Investigativ haben das Bundeskriminalamt sowie das Bundesamt für Verfassungsschutz im Zuge der Reuß-Ermittlungen umfangreiche Dossiers über den Thüringer "Reichsbürger" zusammengestellt. Allerdings gilt er im Reuß-Verfahren bisher nicht als Beschuldigter. Er selbst und sein Anwalt ließen MDR-Anfragen unbeantwortet.
"Reichsbürger" suchte Kontakt zu Eva Herman
Auf Haußner aufmerksam wurden die Sicherheitsbehörden offenbar auch wegen eines E-Mail-Verkehrs zwischen ihm und dem Prinzen aus dem November 2019. In der Kommunikation, die die Fahnder auf dem iPad von Reuß gefunden haben, versucht Haußner offenbar ein Treffen zwischen dem Prinzen und der ehemaligen Tagesschausprecherin Eva Herman sowie mit deren Lebensgefährten Andreas Popp anzubahnen. Die beiden sind seit Jahren im Milieu von Verschwörungserzählern, Weltuntergangsphantasten und Corona-Leugnern unterwegs und leben in Kanada. Laut einem Auswertungsbericht der Ermittler teilte Haußner Reuß mit, dass ein gemeinsames Treffen für Anfang Dezember 2019 im niedersächsischen Walsrode geplant sei.
Dass dieses Treffen stattgefunden hat, lassen Popp und Herman ausführlich über den Rechtsanwalt Ralf Höcker dementieren: "Unsere Mandanten kennen Herrn Reuß nur aus dem Fernsehen. Sie kennen ihn weder persönlich noch sind sie ihm jemals begegnet, auch und insbesondere nicht in Walsrode. Unsere Mandanten standen niemals in direktem Kontakt mit Herrn Reuß und haben auch nie mit ihm gesprochen, telefoniert, geschrieben oder anderweitig fernmündlich oder in sonstiger Form korrespondiert."
Herman distanziert sich
Auch von dem Thüringer "Reichsbürger" Frank Haußner distanzieren sich Herman und Popp deutlich. "Herr Haußner hatte 2018 an einem Seminar unserer Mandanten teilgenommen", schreibt Rechtsanwalt Höcker. "Ein engerer persönlicher Kontakt oder gar ein freundschaftliches Verhältnis bestand vorher nicht und hat sich auch später nie ergeben." Haußner habe sich "mehrere Monate nach dem Seminar initiativ per Mail an unseren Mandanten Herrn Popp" gewandt. Herman sei an der Korrespondenz nicht beteiligt gewesen. Die Mail sei, so Höcker, eine "proaktive und einseitige Kontaktaufnahme" gewesen.
"Schlussendlich kam es auch nie zu einem Treffen. Man konnte sich schon nicht auf einen Termin verständigen", schreibt der Anwalt. Schließlich hätten seine Mandanten Prinz Reuß "dann in der Medienberichterstattung zu dem versuchten - so betitelten - "Staatsstreich" erstmals wahrgenommen und nur aufgrund des sonderbaren Namenszusatzes "Prinz" als die Person "wiedererkannt", die ihnen Herr Haußner vergeblich vorzustellen versucht hatte".