Zwei Personen, auf deren Kleidung Sicherheitsdienst bzw. Security steht.
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Rechtsextremistische Vorfälle Security-Branche ohne Kontrolle?

Stand: 18.10.2023 12:52 Uhr

Die Bewachung von Flüchtlingsunterkünften hat den Security-Unternehmen in den letzten Jahren einen Boom beschert. Doch immer wieder werden rechtsextremistische Vorfälle gemeldet. Wie geht die Branche damit um?

Von Marcel Siepmann und Tobias Sylvan, MDR

Die Security-Branche boomt seit Jahren. Vor allem die Bewachung von Unterkünften für Geflüchtete hat dem Gewerbe ein großes Wachstum beschert. Der Umsatz hat sich seit 2014 fast verdoppelt und stieg von sechs auf mehr als elf Milliarden Euro in 2022. Doch es gibt auch Probleme. In den vergangenen Jahren wurden mehrere Fälle von Übergriffen in Unterkünften bekannt.

Der bekannteste Prozess begann 2018. Vier Jahre zuvor hatten Sicherheitsmitarbeiter aus Burbach in Nordrhein-Westfalen Geflüchtete in ein Zimmer gesperrt und misshandelt. 18 Mitarbeiter wurden verurteilt. 2019 wurde ein Video aus einer Flüchtlingsunterkunft in Halberstadt in Sachsen-Anhalt öffentlich. Darauf zu sehen sind Mitarbeiter, die auf zwei junge Männer aus Afghanistan einschlagen. Es kommt zu mehreren Anklagen, am Ende wird eine Verwarnung ausgesprochen.

Übergriffe in Suhl

In der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) in Suhl (Thüringen) sollen Schikane und rassistische Beleidigungen an der Tagesordnung sein, so berichten es MDR Investigativ mehrere ehemalige Bewohner und Mitarbeiter. "Die Schwarzen werden Dachpappe genannt", sagt eine Person, die bis zum Sommer in der EAE gelebt hat. Regelmäßig falle das N-Wort. Er will anonym bleiben - aus Angst vor negativen Folgen für seinen Aufenthaltstitel.

Ein Security-Mann, über den der ehemalige Bewohner berichtet, ist Benny W. "Er hat uns wirklich wie Vieh behandelt", sagt er. W. zeigt sich auf alten Facebook-Profilen offen mit rechtsextremen Symbolen - im Hintergrund ist etwa eine Reichsflagge und eine Fahne der rechtsextremen Band Landser.

2014 kandidierte er auf der Wahlliste des Thüringer Neonazis Tommy Frenck. 2018 wurde er von der Firma "City Schutz" für die Arbeit in der Erstaufnahmeeinrichtung eingestellt.

Behnam Golistani spricht öffentlich über Probleme mit Security-Mitarbeitern in Suhl. Vor seiner Flucht hatte Golistani im Iran als Journalist gearbeitet. Sieben Wochen hat er in der EAE gelebt, als er nach Deutschland kam: "Von Beginn an zerstören sie die Bewohner dort."

Behnam Golistani

Behnam Golistani kritisiert den Umgang mit Geflüchteten in Suhl.

Im November 2021 - er lebte schon nicht mehr in Suhl - brachte Golistani Freunde zur Unterkunft. Als der Security-Mitarbeiter W. mehrere Bewohner über lange Zeit in der Kälte stehen lässt und mit der Anwendung von Gewalt droht, kommt es zum Streit. "Willkommen in Deutschland, du Arschloch!", tönt W. schlussendlich und droht Golistani.

Ein Kollege kann Benny W. davon abhalten loszustürmen. Nach dem Vorfall gibt es Ermittlungen wegen Nötigung, Bedrohung und Beleidigung, die aber eingestellt werden.

Was wusste "City Schutz"?

Jemand, der längere Zeit für "City Schutz" gearbeitet hat, aber anonym bleiben will, sagt über Benny W.: "Ja, der gehört da nicht hin. Das habe ich von Anfang an gesagt." Gleich am ersten Tag sei W. mit Handschellen und Gummiknüppeln zur Arbeit gekommen. "Das wäre seine normale Ausrüstung, die er braucht, wenn er jetzt hier im Asylantenheim arbeitet, wo die ganzen Kanacken rumspringen."

Der Mann berichtet weiter: "Die haben auch schon Räume gesucht, wo sie welche einsperren können." Das sei damals von Vorgesetzten unterbunden worden. W. habe zu einer Clique gehört, die immer wieder Probleme gemacht habe. Über diese Vorfälle sei die Firmenleitung nicht informiert worden. Über rassistisches Verhalten und regelmäßige Beschimpfungen durch einen weiteren Mitarbeiter lagen ihr allerdings die Beschwerde von 14 Kollegen vor.

Benny W. wollte sich gegenüber dem MDR nicht zu den Vorwürfen äußern.

Auf Anfrage, wie der Arbeitgeber "City Schutz" mit den Vorwürfen umgegangen ist, antwortet die Firma schriftlich: Man verurteile das unprofessionelle Handeln von Benny W., das vor zwei Jahren über das Handyvideo publik wurde, zutiefst. Daraufhin habe es ein Einsatzverbot für vier Wochen, arbeitsrechtliche Disziplinarmaßnahmen und eine Auflage zur Teilnahme am Deeskalationstraining gegeben.

Die Vorgesetzten seien zu dem Ergebnis gekommen: "Benny W. lässt Schwächen im Umgang mit Konfliktsituation erkennen, ist aber keiner massiven Gesinnung der rechten Szene zugewandt".

Über seine politische Vergangenheit und das Facebook Profil habe man keine Kenntnis gehabt. Beschwerden über andere Mitarbeiter, die auch durch Kollegen erfolgten, hätten sich als nicht haltbar erwiesen. Ein internes Beschwerdeportal sei eingerichtet worden.

Was tun die Sicherheitsfirmen und Behörden?

Tun die Sicherheitsfirmen genug, um solchen Vorfällen vorzubeugen? "Die Mitgliedsunternehmen von uns sind darum bemüht, dass man schon im Rahmen des Einstellungsprozesses bei der Mitgliederakquise aufpasst", sagt der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft, Berthold Stoppelkamp.

Der Verband vertritt vor allem die großen Unternehmen der Branche - unter anderem auch "City Schutz". Die Unternehmen selbst könnten nicht alles präventiv abwehren. Dafür sei schließlich das Bewacherregister im Jahr 2019 eingeführt worden.

Durch das Bewacherregister ist jeder Unternehmer verpflichtet, seine Mitarbeitenden in eine Datenbank einzupflegen. Mitarbeiter der Sicherheitsbranche müssen von den Kommunen eine Zuverlässigkeit bestätigt bekommen. Dabei spielen unter anderem Vorstrafen eine Rolle. Bei bestimmten Einsatzbereichen wird zudem beim Verfassungsschutz angefragt, ob dort Erkenntnisse vorliegen.

Wie gut gelingt es, durch das Bewacherregister Neonazis aus sensiblen Bereichen zu halten? MDR Investigativ hat Anfragen bei allen Bundesländern gestellt, um herauszufinden, wie häufig Hinweise auf einen rechtsextremistischen Hintergrund vorlagen und wie im Anschluss die Behörden über die Zuverlässigkeit entschieden haben.

Die Zahlen geben erstmals Aufschluss über die Dimension des Rechtsextremismus im Sicherheitsgewerbe. Laut Abfrage wurden seit 2019 mindestens 347 Fälle gemeldet, in denen Informationen über einen Rechtsextremismus- oder Reichsbürgerhintergrund vorlagen.

Überprüfung nur in als sensibel eingeordneten Einsatzbereichen

Allerdings findet laut Verfassungsschutz Sachsen nur in als sensibel eingeordneten Einsatzbereichen eine Überprüfung durch den Landesverfassungsschutz statt. Dazu gehören etwa Kernkraftwerke, Fußballspiele oder Unterkünfte für Geflüchtete. Fünf Bundesländer, die knapp ein Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachen, konnten uns gar keine Zahlen nennen.

Hinzu kommt: In einigen Bundesländern sind die Zahlen unvollständig. So zählt etwa Thüringen erst seit 2022. Um eine genaue Aussage treffen zu können, wie hoch der Anteil der Mitarbeitenden mit rechtsextremistischem Hintergrund in der Sicherheitsbranche ist, müssten die Zahlen aus allen Ländern transparent gemacht werden.

Wie häufig durften mutmaßliche Extremisten trotz Hinweisen durch den Verfassungsschutz eingesetzt werden? Auch dabei ist nur eine Annäherung möglich. Hessen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und Sachsen Angaben konnten dazu Angaben machen: Insgesamt wurde gerade einmal ein Drittel der Mitarbeiter aufgrund der Hinweise abgelehnt.

Beispiel Sachsen: Hier lagen bei 139 angemeldeten Mitarbeitern Informationen über einen Rechtsextremismus- oder Reichsbürgerhintergrund vor. Nur 33 Mitarbeiter wurden abgelehnt. Der Grund: Die Hürden für eine Ablehnung sind hoch. Nicht jeder Hinweis des Verfassungsschutzes reicht juristisch dafür aus. Stattdessen muss beispielsweise die Mitgliedschaft in einem verbotenen Verein oder in einer als verfassungswidrig eingestuften Partei nachgewiesen sein.

Ähnliche Fälle, verschiedene Entscheidungen

Ein weiteres Problem sei die offene Formulierung des Gesetzestextes, das ein "In der Regel" beinhaltet, sagt der Jurist Jörg Zitzmann, Geschäftsführer der Akademie für Sicherheit (AfS): "Die Behörden haben einen Spielraum." Dadurch komme es bei ähnlichen Fällen zu unterschiedlichen Entscheidungen.

Ein weiterer Punkt, an dem es hake: Es würde zu wenig kontrolliert. Sich nicht zu registrieren, bleibe für Sicherheitsfirmen oftmals ohne Konsequenzen.

Auf Bundesebene soll jetzt ein Teil der Probleme angegangen werden. Das Innenministerium hat im Juli 2023 einen Gesetzesentwurf veröffentlicht, der die Branche besser regulieren soll. So soll der Zugang für Menschen, die Verbrechen oder vorsätzliche Straftaten begangen haben, strenger geregelt werden.

In anderen Bereichen bleibt ein Ermessensspielraum der lokalen Behörden bestehen. Damit fehle es weiterhin an einem deutschlandweiten Standard, kritisiert Zitzmann. Auch für die Stärkung der Kontrollen auf lokaler Ebene sei keine Besserung in Sicht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell Fernsehen am 16. Oktober 2023 um 08:00 Uhr.