Menschen in einem Verschlag
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EU-Außengrenze Asylsuchende eingesperrt und misshandelt

Stand: 08.12.2022 07:59 Uhr

Misshandelt und gefangen gehalten: Sicherheitskräfte halten laut Monitor an der EU-Außengrenze Bulgariens, Ungarns und Kroatiens Flüchtlinge an geheimen Orten fest - dann bringen sie sie illegal zurück über die Grenze.

Von Julia Regis und Shafagh Laghai, WDR

Videoaufnahmen zeigen Menschen eingesperrt in einer baufälligen Baracke, auf dem nackten Boden sitzend, umgeben von Abfall. Blanke Ziegelsteinwände, Metallgitter, das Dach ist undicht. Möbel gibt es keine, auch keine Toilette. Die Bilder entstanden im Rahmen einer gemeinsamen Recherche des ARD-Magazins Monitor mit Lighthouse Reports, "Spiegel", "Sky News", "Le Monde", "Domani", SRF und RFE/RL Bulgaria.

Der vergitterte Verschlag befindet sich auf dem Gelände einer Station der bulgarischen Grenzpolizei. Die hier eingesperrten Menschen sind Flüchtlinge, etwa aus Syrien oder Afghanistan, die Schutz in der EU suchen. Im Rahmen der europäischen Recherche-Kooperation gelang es erstmals, Aufnahmen von diesem und anderen geheimen Orten an der EU-Außengrenze zu machen, in denen Menschen offenbar misshandelt werden, ehe Grenzbeamte sie zurück aus der EU zwingen.

Die Aufnahmen aus Bulgarien entstanden an insgesamt fünf verschiedenen Tagen. Die Tür der Baracke ist durchgehend bewacht, Journalisten konnten beobachten, wie die Menschen später in Autos gebracht und weggefahren werden. Flüchtlinge berichten, dass sie teilweise mehrere Tage lang ohne Wasser und Essen eingesperrt worden seien. Danach habe die bulgarische Polizei sie an die Grenze zurückgebracht und gezwungen, wieder in die Türkei zu gehen - ohne jede Chance, in der EU Asyl zu beantragen.

Recherche zu unmenschlichen Pushbacks in Bulgarien

S. Laghai/J. Regis, WDR, tagesschau 16:00 Uhr

“Ein absoluter Rechtsverstoß”

Der Rechtswissenschaftler Constantin Hruschka vom Max-Planck-Institut München sieht in solchen Praktiken einen mehrfachen Verstoß gegen geltendes Recht: "Es ist ein absoluter Rechtsverstoß, denn vom Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung darf man unter keinen Umständen abweichen", so Hruschka im Interview mit Monitor. Der Freiheitsentzug an sich sei ebenfalls rechtswidrig, ebenso wie die anschließende Zurückweisung über die Grenze ohne jegliches Verfahren.

Dass diese illegalen Praktiken oft mit Gewalt durchgesetzt werden, zeigen weitere Videos, die, der Recherchekooperation vorliegen. Auf einem Video ist zu sehen, wie bulgarische Grenzpolizisten auf am Boden liegende Menschen mit Schlagstöcken einprügeln. Zahlreiche Flüchtlinge berichten von Schlägen und Bissen von Hunden, die die bulgarische Polizei auf sie losgelassen habe.

Bulgarien ließ eine Anfrage zu den Recherchen bisher unkommentiert. Bei einer Pressekonferenz am vergangenen Montag verwies der bulgarische Innenminister Ivan Demerdzhiev lediglich auf eine angeblich steigende Aggressivität auf Seiten der Migranten. Die bulgarischen Grenzbehörden würden jedoch auf eine menschenwürdige Behandlung achten.

Inhaftierungen unter den Augen von Frontex?

Besonders brisant: Diese illegalen Inhaftierungen finden offenbar direkt unter den Augen der EU-Agentur Frontex statt. Frontex ist für die Grenz- und Küstenwache EU zuständig und auch in Bulgarien aktiv. Interne Dokumente, die Monitor einsehen konnte, zeigen: Bei der Station der bulgarischen Grenzpolizei sind im Rahmen der "Operation Terra" auch zehn Frontex-Beamte stationiert. Immer wieder wurden auch vor Ort parkende Frontex-Fahrzeuge dokumentiert, in Sichtweite zu dem Verschlag, in dem zur gleichen Zeit Flüchtlinge unter unwürdigen Bedingungen eingesperrt waren.

Der Direktor von Human Rights Watch Deutschland, Wenzel Michalski, hält es für die Pflicht der Frontex-Beamten, die Praktiken der bulgarischen Grenzbehörden zu unterbinden: "Wenn sie darüber schweigen, machen sie sich mitschuldig - insofern ist Frontex ein Teil des Problems."

Die EU-Agentur schreibt auf Anfrage, dass Frontex-Beamte die bulgarische Grenzpolizei in dem Gebiet lediglich bei der Überwachung der Grenze unterstützten. Die beschriebenen Zustände seien bei Frontex nicht registriert. Man werde die Informationen aber weiterleiten. Die Agentur verweist darauf, dass Frontex-Beamte bei all ihren Handlungen den Schutz der Grundrechte sicherstellten. Außerdem seien Frontex-Beamte dazu verpflichtet, jegliche Grundrechtsverletzungen zu melden.

Ungarn: Eingesperrt in Schiffscontainer

In Ungarn deckte die Recherche-Kooperation ähnliche Praktiken auf: Aufnahmen zeigen, wie Menschen von der ungarischen Grenzpolizei mit Schlagstöcken zu Schiffscontainern getrieben werden. Asylsuchende berichten, dass sie über Stunden in solchen Containern eingesperrt worden seien, auch hier ohne Wasser oder Essen. Im Anschluss seien auch sie mit Bussen an den Grenzübergang gebracht und zurück nach Serbien gezwungen worden. Monitor liegen mehrere Videos vor, die solche illegalen Pushbacks zeigen.

Hilfsorganisationen vor Ort, darunter "Ärzte ohne Grenzen", zeigten sich in diesem Jahr alarmiert über die zunehmende Gewalt gegen Asylsuchende an der ungarischen Grenze. Alessandro Mangione von "Ärzte ohne Grenzen" in Serbien erzählt von vielen Berichten über den Einsatz von Pfefferspray in den Containern. So solle offenbar Platz geschaffen werden, um mehr Menschen in die Container sperren zu können. Die ungarische Regierung widerspricht auf Anfrage allen Vorwürfen: Die ungarischen Beamten hielten sich stets an EU-Recht.

Kroatien: Bei extremer Hitze in Transporter gesperrt

Erst 2021 zeigten Recherchen, an denen Monitor beteiligt war, wie auch in Kroatien Flüchtlinge mit Gewalt gezwungen wurden, die EU wieder zu verlassen - ohne jede Chance, Asyl zu beantragen, ohne jegliches Verfahren. Die EU-Kommission reagierte damals empört, verurteilte solche Praktiken als illegal und forderte Untersuchungen. Doch auch in Kroatien werden Menschen offenbar weiter illegal und unter katastrophalen Bedingungen festgehalten und zurückgewiesen.

Schon seit Jahren tauchen immer wieder Videos von Flüchtlingen auf, die von der kroatischen Grenzpolizei in Kleintransporter gepfercht wurden. Betroffene berichteten, dass sie in diesen Transportern oft stundenlang bei hohen Temperaturen ohne Fenster und ohne Wasser ausharren mussten, bevor auch sie wieder über die Grenze zurück gezwungen wurden.

"Enorme Menschenverachtung"

Eine Praxis, die trotz aller gegenlautenden Beteuerungen der EU offenbar immer noch durchgeführt wird: Eine aus Afghanistan geflüchtete Frau berichtete dem Rechercheteam, wie sie im September, gemeinsam mit mehr als 20 anderen Menschen in einem verschlossenen Transporter mehr als acht Stunden von der kroatischen Grenzpolizei festgehalten worden sei, ohne Wasser, bei extremer Hitze.

Die kroatische Regierung schreibt auf Anfrage, solche Berichte von Flüchtlingen und Videos nicht kommentieren zu können. Die kroatische Polizei halte sich jedoch an europäisches und nationales Recht. Außerdem sei Kroatien das einzige EU-Mitgliedsland, das unabhängige Mechanismen zum Monitoring des Grenzschutzes eingesetzt habe.

Für Wenzel Michalski von Human Rights Watch zeigen die Recherchen, dass auf Seiten der EU weiterhin kein Wille besteht, den Schutz von Menschenrechten an der EU-Außengrenze durchzusetzen: "Man möchte anscheinend, dass die Behandlung der Migrantinnen und Migranten an den Außengrenzen so abschreckend ist, dass die Menschen erst gar nicht auf die Idee kommen, nach Europa zu kommen. Die Menschenverachtung, die uns da ins Gesicht schreit, ist enorm."

Erst im November hat sich die EU-Kommission dafür ausgesprochen, neben Kroatien und Rumänien auch Bulgarien in den Schengen-Raum aufzunehmen. Die Achtung der Grundrechte sei an der bulgarischen Grenze sichergestellt, hieß es von der Kommission.

Zu den neuen Recherchen teilt die EU-Kommission mit, man nehme Vorwürfe über "Fehlverhalten" an den EU-Außengrenzen sehr ernst. Sie verweist jedoch darauf, dass für die Einhaltung der Grundrechte an den Außengrenzen sowie die Aufklärung der Vorwürfe die jeweiligen Staaten verantwortlich seien.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet das ARD-Magazin "Monitor" am 08. Dezember 2022 um 21:45 Uhr.