Klimakatastrophe Konzerne vor Gericht?
Überschwemmungen, Starkregen und Hitzerekorde. Wer soll für die Schäden zahlen? Eine wachsende Zahl von Klägern fordert, dass sich Konzerne an den Kosten der Klimakatastrophe beteiligen - auch in Deutschland.
Bis heute sitzt der Schock tief: Mehr als 180 Menschen starben, viele wurden obdachlos, als riesige Wassermassen vor gut zwei Jahren rund um das Ahrtal Häuser, Straßen und Leben zerstört haben. Eine Studie im Auftrag der Bundesregierung schätzt den Gesamtschaden der Flutkatastrophe an der Ahr und weiteren Orten auf rund 40 Milliarden Euro.
Der Großteil der Aufbauhilfe kommt vom Staat oder Versicherungen - den Rest müssen die Flutopfer selbst tragen. Aber was ist mit großen Industrieunternehmen etwa, die zu den größten Emittenten klimaschädlicher Treibhausgase zählen?
Wer zahlt für die Folgen des Klimawandels?
Wissenschaftliche Studien belegen, dass deren Emissionen den Klimawandel beschleunigen und auch im Ahrtal das Ausmaß der Flutkatastrophe mitverursacht haben. Deshalb sei es überhaupt nicht abwegig, dass solche Konzerne für Klimawandelschäden in Verursacherhaftung genommen würden, sagt Friederike Otto von der Universität Imperial College London.
Otto forscht zu den Folgen des menschengemachten Klimawandels und hat auch zur Flutkatastrophe im Ahrtal gearbeitet. Ihre Forschungen ergaben: "Die extremen Niederschläge, die die Flutkatastrophe ausgelöst haben, wären ohne den menschengemachten Klimawandel weniger intensiv gewesen."
Aktuell wird beim Oberlandesgericht in Hamm eine Klage verhandelt: gegen den Energiekonzern RWE. Dabei geht es nicht um die Flut im Ahrtal, sondern um den Palcacocha-Gletschersee in Peru - die Heimat von Saul Lliuya. Der Bergführer hat 2015 Klage gegen den Essener Energiekonzern eingereicht. RWE soll sich an den Kosten des Klimawandels in dieser Region beteiligen, denn durch das schmelzende Eis des Gletschers sei der See immer weiter angeschwollen.
Angst vor Überflutung
Saul Lliuya fürchtet, dass sein Haus und die Region deswegen eines Tages überflutet wird. Eine Studie zur Schmelze des Gletschers gilt als ein entscheidendes Beweismittel in dem Verfahren. Es stammt ebenfalls aus dem Institut der Klimawissenschaftlerin Otto. Sie kommt zu dem Schluss, dass "alles, was an zusätzlichem Schmelzwasser in diesem See ist, dem Klimawandel zuzuordnen" sei.
Vor Gericht wird der Bergführer Lliuya von der Anwältin Roda Verheyen aus Hamburg vertreten. Ihr Ziel: RWE soll sich an den Kosten eines Schutzdammes beteiligen. Nach einer Liste des amerikanischen Climate Accountability Institute liegt RWE immerhin auf Platz 30 der größten Emittenten von Treibhausgasen weltweit.
In Europa, so die Anwältin Verheyen, sei RWE der größte europäische Einzel-Emittent: "Wichtig ist dabei zu wissen, dass wir die RWE hier nicht verantwortlich machen für den gesamten Klimawandel", sondern nur für den Anteil, den RWE an den globalen Emissionen der vergangenen Jahrzehnten hatte: Rund 0,5 Prozent nach Berechnungen amerikanischer Wissenschaftler.
RWE wehrt sich
RWE sieht sich zu Unrecht am Pranger. Das Unternehmen schreibt: "Nach geltendem Recht können einzelne Emittenten nicht haftbar gemacht werden für solche weltumspannenden Phänomene wie den Klimawandel."
Doch Verheyen geht es bei der Klage um mehr als um die Verurteilung eines einzelnen Unternehmens. Es geht ihr um ein Exempel: "Natürlich hat ein solches Urteil eine Signalwirkung, weil es ja dann grundsätzlich heißen würde, ein großer Emittent kann für die Folgen des Klimawandels anteilig zur Verantwortung gezogen werden."
Die Erstinstanz hatte die Klage noch abgewiesen. Die Richter am Oberlandesgericht in Hamm halten die Klage dagegen offenbar nicht für aussichtslos. "Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit und Schlüssigkeit des (...) Klagebegehrens bestehen nicht". Zur Beweiserhebung hat das Gericht sogar einen Gutachter bestellt und nach Peru geschickt.
Die Konzerne selbst wissen nachweislich seit Langem um die Folgen ihrer Emissionen auf das Klima. Der Energieriese Exxon etwa ließ schon vor Jahrzehnten eigene Studien dazu anfertigen, mit eindeutigen Ergebnissen: "Exxon wusste nicht nur, dass das CO2 - also die Emissionen - aus fossiler Energieverbrennung zu einer Klimaerwärmung führen können", sagt der Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, "sondern sie haben sogar sehr präzise vorhergesagt, in eigenen Computersimulationen, wie stark diese Erwärmung ausfallen wird."
Spätestens seit den 1980er-Jahren habe der Konzern genau vorhergesehen, was seine Produkte verursachen würden. Nach außen hingegen habe das Unternehmen Zweifel am menschengemachten Klimawandel gestreut.
Zahl der Klimaklagen wächst
Aktuell wächst die Zahl der Klimaklagen weltweit an: vor internationalen und regionalen Gerichten, Tribunalen und anderen rechtssprechenden Instanzen. Dabei geht es nicht nur um Schadensersatzforderungen an Konzerne: Vielfach sollen zum Beispiel Regierungen dazu gebracht werden, die Pariser Klimaziele einzuhalten oder auch fossile Brennstoffe im Boden zu halten.
Ende des vergangenen Jahres gab es laut Umwelt-Programm der Vereinten Nationen mehr als 2100 Klimaklagen. Damit haben sich die Gerichtsverfahren, die den Klimawandel betreffen, in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt.
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