Flucht über das Mittelmeer Ministerium will Seenotrettung offenbar einschränken
Immer wieder geraten auf dem Mittelmeer Boote mit Migranten in Seenot. Kürzlich kamen bei einem solchen Unglück mehr als 60 Menschen ums Leben. Dennoch plant das Verkehrsministerium offenbar, die Seenotrettung weiter einzuschränken.
63 Menschen haben italienische Behörden bislang geborgen, darunter 13 Kinder. Die Geflüchteten ertranken auf ihrer Flucht von der Türkei in die Europäische Union. Das Unglück vor der kalabrischen Küste am Sonntag zeigt einmal mehr, wie gefährlich das Mittelmeer für Geflüchtete ist - trotz der Seenotrettungsschiffe, die über das Meer kreuzen. Viele davon fahren unter deutscher Fahne.
Diese Seenotrettung soll nun wohl aber weiter eingeschränkt werden: Nach Informationen des ARD-Magazins Monitor plant das Bundesverkehrsministerium unter Volker Wissing (FDP) eine Verschärfung der Schiffssicherheitsverordnung und trifft damit massive Teile der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer. Das geht aus einem Referentenentwurf des Bundesverkehrsministeriums hervor, der Monitor vorliegt.
Laut dieses Entwurfs sollen Schiffe mit "politischen (…) und humanitären Aktivitäten oder vergleichbaren ideellen Zwecken" nicht mehr zum Freizeitbereich gehören. Die Folge wären enorme Kosten durch Umbauten, zusätzliche Technik, andere Versicherungsbedingungen und weiterer Auflagen. Betroffen sind vor allem die kleineren Schiffe, die schnell vor Ort sein können und ertrinkende Menschen aus dem Meer retten.
Rettungsorganisationen fürchten zu hohe Auflagen
Seenotrettungsorganisationen sind über den Vorstoß empört: "Die Verordnung bedeutet, dass unser Schiff aus dem Verkehr gezogen wird. Das bedeutet für die Menschen in Seenot, dass sie noch ein Schiff weniger haben, was sie vielleicht rettet. Das bedeutet viele, viele Tote", sagt Axel Steier von "Mission Lifeline".
Die Organisationen befürchten, dass sie durch das neue Gesetz nicht weiter retten können und ihre Arbeit vorerst einstellen müssen. "Für uns besteht ganz klar das Risiko, dass diese Verschärfungen der Sicherheitsanforderungen uns komplett blockieren würden, weil der Mehraufwand in finanzieller Hinsicht nicht zu stemmen wäre", so Stefen Seyfert von "Reqship".
Widerspruch zum Koalitionsvertrag
Das Bundesverkehrsministerium hatte bereits 2019 unter dem damaligen Minister Andreas Scheuer (CSU) gezielt versucht, den Einsatz von zivilen Seenotrettungsschiffen unter deutscher Flagge massiv zu behindern. Auch unter Scheuer sah der Entwurf vor, die Schiffe nicht mehr zum Freizeitbereich zu zählen. Damals wurde die Änderung durch die Klage einer Seenotrettungsorganisation unwirksam, das Gericht sah Verfahrensmängel. Nun unternimmt das Bundesverkehrsministerium einen erneuten Versuch, diesmal unter Minister Wissing.
Die Pläne stehen im Widerspruch zum Koalitionsvertrag der Ampelkoalition. Darin heißt es: "Die zivile Seenotrettung darf nicht behindert werden." Der grüne EU-Parlamentarier Erik Marquardt kritisiert das Vorhaben scharf. Im Monitor-Interview sagt er: "Wir werden uns als Partei natürlich auch als Regierungsfraktion dafür einsetzen, dass der Koalitionsvertrag eingehalten wird. (...) Und diese Schiffe zu behindern wäre ein ganz klarer Angriff auf die zivile Seenotrettung."
Das Bundesverkehrsministerium antwortete auf Monitor-Anfrage, "das Vorhaben zielt nicht auf die Behinderung von privater Seenotrettung im Mittelmeer ab", sondern darauf "deren Arbeit abzusichern".
Völkerrechtler kritisieren italienisches Gesetz
Die geplante Verschärfung fügt sich ein in die immer rigidere Politik, die in Europa gegen die Seenotrettung gemacht wird. Ein aktuelles Beispiel ist ein italienisches Dekret, das jetzt vom Parlament in Rom bestätigt wurde und Gesetz wird. Es ist ein laut Völkerrechtlern europarechtswidriges Gesetz, welches die Seenotrettung empfindlich behindert und die EU-Kommission als Hüterin der Verträge auf den Plan rufen müsste.
Demnach müssen zivile Seenotrettungsschiffe nach einer Seenotrettung unverzüglich den ihnen zugewiesenen Hafen ansteuern, auch wenn es nicht der nächstgelegene Hafen ist. Auf dem Weg darf es außerdem keine weiteren Rettungen geben. Die zugewiesenen Häfen sind oft weit entfernt. Eine schnelle Rückkehr in das Such- und Rettungsgebiet ist damit kaum möglich. Die Folge: Weniger Menschen können gerettet werden.
Insgesamt sind im vergangenen Jahr nach UN-Angaben mindestens 2406 Menschen bei ihrer Flucht über das Mittelmeer gestorben oder werden vermisst.