Türkeiwahlen in Deutschland Wahlkampf undercover
In Deutschland ist ihnen der Wahlkampf eigentlich untersagt - doch Präsident Erdogan und seine AKP haben auch hier, von der Öffentlichkeit weitgehend verborgen, massiv mobilisiert und polarisiert.
Handybilder aus einem Bus, auf dem Weg zu einem türkischen Wahllokal in Deutschland - einer der Organisatoren des Shuttle-Services zeigt, wie gewählt werden muss, und zwar buchstäblich: "Auf diesem Zettel gibst du deine Stimme für Erdogan ab", erklärt er den Mitfahrenden. Wer die Opposition wähle, gehöre in die Hölle: "Das sind Verräter, die arbeiten nicht für die Türkei."
So knapp wie bei dieser Wahl war es wohl noch nie für den türkischen Präsidenten: Auch in Deutschland ist ihm die komfortable Mehrheit aus vergangenen Wahlen nicht mehr sicher. Doch seine Helfer in Deutschland verfügen über jahrelang aufgebaute Strukturen, um möglichst viele Wähler zu mobilisieren - und schrecken auch vor Propaganda und Hetze nicht zurück, wie Recherchen des ARD-Magazins Monitor zeigen.
Auftrittsverbote "geschickt unterwandert"
Laut eigener Aussage hatte die türkische Regierungspartei AKP Zehntausende Wahlhelferinnen und Wahlhelfer in Europa im Einsatz, die meisten in Deutschland. Weitgehend unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit hätten sie massiv um Wählerstimmen für Erdogan und die AKP geworben, sagt Eren Güvercin. Er ist einer der Gründer der Alhambra Gesellschaft, ein Verein für liberale Muslime.
Güvercin hat seit vergangenem Jahr die Wahlkampfaktivitäten von Erdogans AKP und seinen Netzwerken in Deutschland dokumentiert und kommt dabei auf mindestens 120 Besuche von AKP-Abgeordneten und Amtsträgern. Allerdings seien die nicht als Wahlveranstaltungen angemeldet worden, und das aus gutem Grund: Seit fünf Jahren gilt in Deutschland eine Genehmigungspflicht für öffentliche Auftritte von Amtsträgern aus Nicht- EU-Ländern, und drei Monate vor einer Wahl sogar ein generelles Auftrittsverbot in Deutschland.
Diese Regelungen habe man "geschickt unterwandert", so Güvercin. Die Besuche der AKP-Abgeordneten seien zwar als Kulturveranstaltungen, Konzerte oder Fastenbrechen angekündigt worden. Tatsächlich aber habe Wahlkampf stattgefunden, sagt Güvercin.
Hetzreden gegen politische Gegner
Und das immer wieder mit Hetzreden gegen politische Gegner, wie in einer Moschee in Neuss. Das Video vom Besuch des türkischen AKP-Abgeordneten Mustafa Acigöz Mitte Januar hat sich in den sozialen Medien verbreitet: "Genauso wie wir ihnen kein Lebensrecht in der Türkei geben, werden wir es ihnen auch in Deutschland nicht geben. Egal wohin sie flüchten, wir werden die PKK- und Fetö-Terroranhänger vernichten", schwört der AKP-Mann die Menschen ein.
Die politische Opposition - diffamiert als Terroristen, mit dem Tod bedroht. Auch NRW-Innenminister Herbert Reul warnte diese Woche vor verbotener Einflussnahme in Deutschland: "Das findet manchmal auf Wegen und mit Methoden statt, die nicht akzeptabel sind", sagte er im ZDF.
Erdogans Einflussorganisationen
Doch nur selten wurden solche Methoden öffentlich. Wahlkampfauftritte liefen unter dem Radar, aber perfekt organisiert, vor allem von der "Union Internationaler Demokraten" (UID) - ein Verein, der sich laut eigener Aussage gegen Islamophobie und Rassismus einsetzt. Tatsächlich sei er die "wichtigste Einflussnahmeorganisation" von Erdogans AKP, schreibt das nordrhein-westfälische Innenministerium auf Monitor-Anfrage.
Erdogan und seine AKP gründeten die UID 2004 in Köln, damals noch unter dem Namen UETD. Seither sei die Vereinigung der "strategische Brückenkopf zwischen den AKP-Wählerinnen und -Wählern und den staatlichen Institutionen der Türkei, wie beispielsweise den Konsulaten", sagt der Politikwissenschaftler Burak Çopur.
Wie eng die Verbindung mit Erdogan ist, zeigte sich vergangenes Jahr. Bei einem Treffen in Ankara schwor Erdogan UID Funktionäre auf den bevorstehenden Wahlkampf ein: "Die größte Aufgabe in dieser Sache liegt bei der Union Internationaler Demokraten, also bei euch. […] Vergesst nicht: ein Volk, eine Fahne, eine Nation, ein Staat!"
Moscheen als "AKP-Filialen"?
Und auch der staatliche Religionsverband DITIB, dem rund 900 Moscheen in Deutschland angeschlossen sind, spielt eine zentrale Rolle bei den Präsidentschaftswahlen in Deutschland. Die DITIB untersteht direkt der türkischen Religionsbehörde Diyanet und damit dem Präsidenten.
Viele Moscheen seien in den Monaten vor den Wahlen "schon fast zu AKP-Filialen mutiert", sagt Güvercin. So seien Briefe des Präsidenten an die Gläubigen verteilt worden, von vielen Moscheen fuhren auch Busse direkt zur Wahl. Hier räche sich, dass Deutschland lange Zeit die religiösen Angelegenheiten der Muslime weitgehend dem türkischen Staat überlassen habe, sagt Deniz Yücel.
Mehr als ein Jahr war der deutsche Journalist in der Türkei inhaftiert, wegen angeblicher Terrorpropaganda. Er hat am eigenen Leib erfahren, wie das "System Erdogan" mit Kritikern und politischen Gegnern umgeht und weiß auch, wie weit das Netzwerk des türkischen Präsidenten bis nach Deutschland hinein funktioniert: "In dem Maße, in dem Erdogan sich alle staatlichen Institutionen, also auch die Justiz, die Armee, die Polizei für seine politischen Zwecke unterworfen hat, gilt das natürlich auch für die Moscheevereine. Das wird für den Wahlkampf benutzt, das wird für Hetze benutzt", sagt Yücel im Interview mit Monitor. Weder die AKP noch die UID oder die DITIB haben schriftliche Anfragen zu diesen Vorwürfen beantwortet.
Laut Journalist Yücel ist Erdogans Netzwerk auch in Deutschland aktiv.
Fast dreiviertel Million Wähler in Deutschland
Erst am Wahltag in der Türkei, am 14. Mai 2023, werden auch die Stimmen der türkischen Wählerinnen und Wähler aus Deutschland ausgezählt. Laut dem Zentrum für Türkeistudien haben mehr als 730.000 Menschen in Deutschland abgestimmt. Mittlerweile sind die Wahllokale in den deutschen Konsulaten geschlossen. Die Mobilmachung der AKP könnte sich ausgezahlt haben: Fast die Hälfte aller Wahlberechtigten in Deutschland haben ihre Stimme abgegeben, drei Prozentpunkte mehr als bei den vergangenen Wahlen.