Arbeitsschutz Noch immer zu wenig Kontrollen
Seit Jahren werden mehr und bessere Arbeitsschutzkontrollen versprochen. Doch tatsächlich passiert vielerorts wenig - auch, weil weiter Kontrolleure fehlen.
Vor allem eine Maßnahme sollte für bessere Arbeitsbedingungen in ganz Deutschland sorgen: Die sogenannte "Mindestbesichtigungsquote", eine Gesetzesänderung, mit der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die Länder dazu verpflichtet hat, alle Betriebe in Deutschland häufiger zu überprüfen. Bis 2026 sollen jedes Jahr fünf Prozent aller Betriebe in Deutschland kontrolliert werden.
Bisher liegt die Quote nur knapp über zwei Prozent, Betriebe bekommen im Schnitt also nur alle 40 bis 50 Jahre Besuch von den Behörden. Das 2021 erlassene Gesetz des Bundesarbeitsministers sollte eine Art Befreiungsschlag werden.
Zahl der Kontrollen bleibt zum Teil niedrig
Eine Umfrage von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung zeigt jedoch: Während in einigen Bundesländern bereits deutliche Maßnahmen ergriffen wurden, bleibt die Zahl der Kontrollen in anderen weiterhin sehr niedrig. Bislang stellten eine Reihe von Bundesländern zwar zusätzliche Kontrolleure ein, allerdings nur sehr wenige. Das Bundesarbeitsministerium will den Fortschritt der Maßnahmen überhaupt erst in vier Jahren zum ersten Mal überprüfen.
Um den Schutz von Arbeiterinnen und Arbeitern ist es in Deutschland seit Jahren schlecht bestellt. Neben dem Arbeitsschutz sind die zuständigen regionalen Behörden in Deutschland für viele weitere Aufgaben im Einsatz, etwa für die Überprüfung von Medizinprodukten oder für das Sprengstoffrecht. In vielen dieser Bereiche wurden in der Vergangenheit Mindesterfüllungsquoten eingeführt. So blieb offenbar immer weniger Zeit für Arbeitsschutz-Kontrollen in den Betrieben.
Zuletzt hatte 2017 eine wichtige europäische Prüfung, der sogenannte SLIC-Report, Deutschland ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. In allen Bundesländern gebe es zu wenig Personal, um die internationalen Vorgaben zu erfüllen. In neun Bundesländern werde vor allem reagiert und kaum proaktiv überwacht, insgesamt würden viel zu wenige Unternehmen für ihre Fehler auch bestraft - stattdessen bleibe es meistens bei Verwarnungen: Die Arbeitsschützer sähen sich als Berater, nicht als Polizei.
Bundesländer hinken hinterher
Für die Arbeitsschützer in Deutschland war der SLIC-Report ein Weckruf. Sie fanden sich zusammen, um mit dem Bundesarbeitsministerium endlich auch eine Quote für die Kontrollen im Arbeitsschutz zu diskutieren - und einigten sich schließlich nach längerem Feilschen auf fünf Prozent der Betriebe pro Jahr.
Erstmals erfüllt werden soll die Quote im Jahr 2026. Doch schon jetzt wird deutlich, dass das für einige Länder schwierig wird. Im Jahr 2020 fiel die Zahl der Besichtigungen deutschlandweit auf 2,4 Prozent. Eine Umfrage von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung zeigt nun, dass die Quoten auch im Jahr 2021 in einigen Ländern weiterhin sehr niedrig sind: So schreibt etwa Baden-Württemberg, dass es im Jahr 2021 weniger als 0,8 Prozent der Betriebe besichtigt hat, in Hessen und Sachsen waren es 1,1 Prozent der Betriebe, in Schleswig-Holstein 1,3 Prozent, in Berlin 2,2 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern 2,3 Prozent.
Die Umfrage zeigt auch, dass einige Länder bisher kaum neue Arbeitsschützer ausbilden. So hat Sachsen gar kein eigenes Ausbildungsprogramm, verliert bis 2026 aber mindestens 16 seiner 100 Aufsichtsbeamten in die Rente. Hessen geht davon aus, dass eine mittlere zweistellige Zahl neuer Beamter gebraucht wird, bildet derzeit aber lediglich elf Personen aus. Weitere Einstellungen seien geplant.
Viel Bürokratie - wenig Kontrolle
"Es war absehbar, dass die Mindestbesichtigungsquote mehr Ressourcen erfordern wird", schreibt die Pressestelle des gemeinsamen Länderausschusses LASI, in dem die Länder ihre Arbeitsschutz-Themen besprechen. "Eine Absenkung der Qualität ist nicht Ziel des Prozesses. Allerdings wird auch zu prüfen sein, ob modifizierte Überwachungskonzepte nicht auch mit weniger Aufwand die gleiche qualitative Wirkung erzielen können."
Was bis 2026 in den Ländern passiert, wird nicht im Detail geprüft oder zentral gesammelt. Zwar hat die Bundesregierung eine neue Bundesfachstelle "Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit" geschaffen, mit fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Jahresbudget von 1,6 Millionen Euro. Doch diese wird sich in den ersten vier Jahren vor allem damit beschäftigen, die Daten der Länder zu vereinheitlichen, ehe sie 2026 erstmals offiziell berechnen wird, wer die vorgeschriebene Mindestquote erfüllt - und wer nicht. Bisher steht noch nicht einmal fest, wie genau eine Kontrolle aussehen muss, um am Ende für die Quote gezählt zu werden. Die Länder und der Bund beraten noch über eine entsprechende Verwaltungsvorschrift.
"Dass der Bund von seinen Berichtsmöglichkeiten derzeit noch keinen weitergehenden Gebrauch macht, ist den noch laufenden Abstimmungen zu den Mindeststandards der Besichtigungen geschuldet", schreibt die Pressestelle des Länderausschusses LASI. Ohne einen festen Vergleichsmaßstab sei die Aussagekraft der Anzahl von Besichtigungen stark eingeschränkt.
"Nicht tatenlos zusehen"
Die Zurückhaltung des Bundesarbeitsministeriums erstaunt - auch weil es durchaus rechtliche Möglichkeiten gäbe, den Ländern schon früher auf die Finger zu schauen. Das schreibt zumindest der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem aktuellen Gutachten, das die Linken-Bundestagsabgeordnete Susanne Ferschl beauftragt hat. In dem Gutachten heißt es, wenn sich schon jetzt der Verdacht ergebe, dass ein Land seiner "Verpflichtung zur Steigerung der derzeitigen Besichtigungsquote nicht nachkommt, kann die Bundesregierung Auskunft, Berichte oder auch die Vorlage von Akten verlangen."
Einer der wichtigsten Arbeitsschutz-Experten in Deutschland kritisiert die bisherige Umsetzung des Gesetzes. Schon jetzt sei "eine sofortige Korrektur der Personalplanung" nötig, meint Wolfhard Kohte, Forschungsdirektor am Zentrum für Sozialforschung Halle. Doch diese sei "in der Mehrzahl der Bundesländer noch nicht eingeleitet worden; sie bedarf auch der Korrektur der Haushaltspläne und der finanziellen und digitalen Ausstattung der Behörden". Zudem müsse der Bund handeln und dürfe "diesen Defiziten nicht tatenlos zusehen".
Auch aus der Opposition kommt Kritik. Der CSU-Abgeordnete Stephan Stracke fordert die Bundesregierung auf, "ihre Rechtsaufsicht gegenüber den Bundesländern auch wahrzunehmen. Untätigkeit der Bundesregierung darf es bei der Kontrolle des Arbeitsschutzes nicht geben." Der AfD-Sprecher für Arbeit und Soziales, René Springer, kritisiert, dass die Bundesregierung den Ländern "keine konkreten Schritte der Steigerung vorgeschrieben" hat.
Der SPD-Arbeitsexperte Michael Gerdes erklärt auf Nachfrage, dass eine Zwischenprüfung vor 2026 sinnvoll gewesen wäre, die Bundesregierung diesen Schritt damals im Gesetzgebungsprozess aber verpasst habe. "Das jetzt im Nachhinein zu machen, ist schwierig", sagt Gerdes. Beate Müller-Gemmeke von den Grünen verteidigt das Gesetz und das Vorgehen der Bundesregierung und sieht ähnlich wie Gerdes vor allem die Länder in der Pflicht. Der FDP geht das Gesetz dagegen sogar zu weit. Das Gesetz stelle Betriebe unter Generalverdacht, statt zielgenaue Maßnahmen zu ergreifen, schreibt der Abgeordnete Carl-Julius Cronenberg.