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Spionageverdacht Ballung von neuen Drohnensichtungen im Norden
Vor wenigen Tagen wurden nach Recherchen von WDR, NDR und SZ erneut verdächtige Drohnen über Militärstützpunkten und kritischer Infrastruktur in Norddeutschland gesichtet - in zwei aufeinanderfolgenden Nächten an verschiedenen Orten.
Sie sollen wieder nachts gekommen sein, kreisten offenbar für wenige Minuten und verschwanden dann wieder. In der vergangenen Woche wurden nach Informationen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) gleich an mehreren Orten in Norddeutschland verdächtige Drohnen gesichtet - unter anderem über Bundeswehrgelände und Anlagen der kritischen Infrastruktur.
Zwischen Mittwoch und Freitag der letzten Februarwoche wurden der Recherche zufolge mehrere verdächtige Flugobjekte unter anderem bei Cuxhaven, über dem Fliegerhorst Nordholz bei Cuxhaven, bei Bremerhaven, bei Hamburg, nahe dem Marinestützpunkt in Wilhelmshaven und über einem Erdgasspeicher im ostfriesischen Jemgum an der Ems gesichtet. Es soll sich demnach um Drohnen mit Tragflächenspannweiten von drei bis sechs Metern und damit keinesfalls um im normalen Handel erhältliche Geräte gehandelt haben.
Bundeswehr bestätigt Sichtungen
Die Bundeswehr bestätigte entsprechende Sichtungen in ihrem Verantwortungsbereich. Das Operative Führungskommando teilte mit, dass es über die Überflüge der beiden Bundeswehrstandorte informiert worden sei. Das Innenministerium in Niedersachsen hingegen wollte Nachfragen mit Verweis auf die Vertraulichkeit solcher Informationen nicht beantworten.
Die Herkunft der Drohnen soll bislang unklar sein - offenbar konnte auch keine der Drohnen abgewehrt werden. In Sicherheitskreisen heißt es, es sei davon auszugehen, dass die unbemannten Flugobjekte von der Nordsee kommend in den deutschen Luftraum eingedrungen sind.
Wie schon bei vorherigen Fällen in Norddeutschland, etwa als im Spätsommer 2024 ähnliche Überflüge über dem Chemiepark Brunsbüttel in Schleswig-Holstein festgestellt wurden, halten es die Sicherheitsbehörden mittlerweile für gut möglich, dass die Drohnen von Schiffen in der Nord- oder Ostsee gestartet wurden, möglicherweise auch von Schiffen, die der sogenannten Schattenflotte Russlands zugerechnet werden - also jenen internationalen Tankern, die Moskau helfen, aktuelle Sanktionen zu umgehen.
Ob aber tatsächlich Russland hinter den Drohnenflügen steckt, ist bislang nicht bewiesen. In Sicherheitskreisen wird die Wahrscheinlichkeit jedenfalls als hoch betrachtet.
Wie das Innenministerium in Niedersachsen mitteilte, stieg die Zahl der Drohnenvorfälle in dem Bundesland von 41 im Jahr 2022 auf 131 im Jahr 2024. Ob es sich dabei um militärische Drohnen handele, sei nicht "verifiziert", wie ein Sprecher des Ministeriums erklärte.
Zahl der gemeldeten Drohnensichtungen stark gestiegen
Die Zahl der bundesweit gemeldeten verdächtigen Drohnensichtungen allein über oder im unmittelbaren Umfeld von Liegenschaften der Bundeswehr und Truppenübungsplätzen ist seit dem Start des Angriffskrieges auf die Ukraine Anfang 2022 stark gestiegen. Waren es 2021 laut Sicherheitskreisen lediglich vereinzelte Fälle, stieg die Zahl 2022 auf 172 und 2023 dann bereits auf 446.
Die Süddeutsche Zeitung hatte im Februar über Sichtungen am Luftwaffenstützpunk Schwesing in Schleswig-Holstein berichtet, weshalb Spionageverdacht ausgelöst wurde. An dem Standort werden unter anderem ukrainische Soldaten am "Patriot"-System ausgebildet.
Aber nicht nur Norddeutschland ist betroffen: In Rheinland-Pfalz zählte man allein zwischen Ende November und Ende Januar rund 90 Drohnenüberflüge etwa über der US-Air Base Ramstein oder beim BASF-Werksgelände. Auch andere Länder in Europa wie Dänemark, Norwegen oder Großbritannien gehen solchen verdächtigen Sichtungen nach.
Welchen Zweck Russland mit den oft nächtlichen Überflügen mit Drohnen verfolgen könnte, ist unklar. Im Verfassungsschutz nimmt man an, dass es in erster Linie darum gehen könnte, Verunsicherung und Kriegsangst in der Bevölkerung zu schüren. Zudem gibt es Hinweise, dass Ukrainer bei der Ausbildung bei der Bundeswehr ausspioniert werden sollen, um so später die Einsatzorte von Waffensystemen ausfindig zu machen.
Mögliches Instrument für Spionage und Sabotage
Innerhalb der Bundeswehr mehren sich der Recherche zufolge die Stimmen, wonach Russland die Drohnen durchaus für militärische Aufklärung einsetzen könnte: Eine Möglichkeit wäre demnach, dass hochpräzise Luftaufnahmen von Militärstützpunkten, Industrie- oder Energieversorgungsanlagen gemacht werden. Aber auch die Vorbereitung von Sabotageaktionen durch mit Sprengstoff beladene Drohnen wird nicht mehr ausgeschlossen. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat vor Drohnen als mögliches Instrument für Spionage und Sabotage gewarnt.
Bislang scheinen sowohl die Polizei als auch die Bundeswehr machtlos gegen die Drohnenüberflüge, die oftmals nur wenige Minuten dauern und meist in der Dunkelheit stattfinden. Obwohl es mittlerweile mehrere Hunderte sogenannte relevante Sichtungen gibt, fehlt es an wirklichen Ermittlungserfolgen - und auch an einer effektiven Abwehr.
Bei den Landespolizeien, beim Bundeskriminalamt (BKA) und auch bei der Bundespolizei wurden in den vergangenen Jahren unterschiedliche Techniken wie beispielsweise sogenannte Jammer angeschafft. Doch solche Geräte, die etwa versuchen, das Steuerungssignal von Drohnen zu unterbrechen, scheinen bei besagten Drohnen bislang wirkungslos zu sein.
Schwierige Gesetzeslage
Eine Herausforderung bei der Abwehr von Drohnen stellt bislang auch die Gesetzeslage dar. Die Bundeswehr, die über die effektivsten Mittel bei der Abwehr verfügt, darf solche Flugobjekte bislang nur in Ausnahmefällen abschießen. Außerhalb von militärischen Liegenschaften darf bisher im Grunde nur gedroht werden - und Drohnen dürfen lediglich zur Landung gezwungen werden.
Im Januar verabschiedete die Bundesregierung einen Vorschlag, wonach den Streitkräften die Anwendung von "Waffengewalt gegen unbemannte Luftfahrzeuge" ermöglicht werden solle. Der Bundestag muss dem Vorschlag noch zustimmen.
In der Bundeswehr wurde 2023 die Taskforce "Drohne" ins Leben gerufen, um sowohl die Nutzung von Drohnen durch das Militär als auch die Abwehr feindlicher Drohnen voranzutreiben. Der Krieg in der Ukraine hat dafür gesorgt, dass das Thema mittlerweile als akut eingestuft wird, denn dort bestimmen Drohnen vielerorts die Situation auf dem Schlachtfeld.
Bei der Bundeswehr wären theoretisch die Einheiten der Elektronischen Kampfführung (EloKa) in der Lage, Drohnen zu detektieren und nachzuverfolgen. Diese Bereiche der Bundeswehr aber wurden seit den 1990er-Jahren im Zuge der Einsparungen kaum modernisiert.