Landesarchiv Nordrhein Westfalen in Duisburg
Exklusiv

Steueroasen in Deutschland Auf der Spur der umstrittenen Millionen

Stand: 12.02.2023 12:08 Uhr

Millionengrab in NRW, Geldsegen in Bayern und ein erbitterter Rechtsstreit: Bislang unbekannte Ermittlungen im Skandal um das NRW-Landesarchiv in Duisburg könnten zum bundesweiten Präzedenzfall für Gewerbesteueroasen werden.

Das Landesarchiv Nordrhein-Westfalens, untergebracht in einer ehemaligen Kornkammer im Duisburger Innenhafen, ist heute ein Wahrzeichen der Stadt. Doch das ziegelrote Gebäude ist nicht nur Beispiel moderner Baukunst, es ist auch Schauplatz einer der größten Skandale des Landes.

Dem Bau gingen dubiose Immobiliengeschäfte voran, die inzwischen von einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgearbeitet wurden. Auch Staatsanwälte ermittelten jahrelang, ohne Straftaten nachweisen zu können. Nach Informationen von WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) könnte sich dies ändern. Die Staatsanwaltschaft Wuppertal ermittelt demnach in einem bislang öffentlich unbekannten Verfahren gegen Essener Immobilienunternehmer. Der Verdacht: Steuerhinterziehung in besonders schwerem Fall.

Der Fall beginnt in der Anfangsphase des Prestigeprojekts

Im Februar 2007 schnappte die Essener Firma der in dem Verfahren Beschuldigten dem Land Nordrhein-Westfalen das Grundstück im Duisburger Hafen für knapp vier Millionen Euro quasi vor der Nase weg - um es ein Jahr später für 17,6 Millionen Euro an das Land zu verkaufen. Neben dem Grundstückspreis zahlte Nordrhein-Westfalen weitere vier Millionen Euro für erbrachte Leistungen sowie eine Entschädigung für Vermieterrechte von 8,3 Millionen Euro. Insgesamt erhielt die Immobilienfirma fast 30 Millionen Euro. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, ob der Deal Teil eines großen Schmiergeldskandals war, der das Land NRW erschütterte. Sie stellte das Korruptionsverfahren aber ein.

Als Beifang kamen die Ermittler nach Recherchen von WDR und SZ jedoch auf einen weiteren Verdacht: dass die Unternehmer die Millionengewinne aus dem Geschäft mit dem Landesarchiv in die Gewerbesteueroase Grünwald bei München verschoben und damit Millionensummen an Gewerbesteuern hinterzogen haben könnten. Wenn dem so wäre, würde neben Strafen für die Unternehmer dann auch der Gemeinde Grünwald eine Rückzahlung von 1,4 Millionen Euro an  Steuern drohen - zahlbar stattdessen an die Stadt Essen. Die Unternehmer weisen den Verdacht zurück und versichern, im Rahmen der geltenden Gesetze gehandelt zu haben.

Zerstörerischer Unterbietungswettbewerb

Ob legal oder illegal: Die Steuerzahler in NRW hatten in jedem Fall das Nachsehen. Schließlich landeten noch nicht einmal die Gewerbesteuern aus dem Skandalgeschäft in den Kassen der Stadt Essen, wo die Immobilienfirma ansässig war. Der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) wollte auf Anfrage das laufende Verfahren nicht kommentieren. Nur so viel: "Wir können jeden Euro und Cent gut gebrauchen in dieser Stadt, die nach wie vor mit dem Strukturwandel zu kämpfen hat."

Die Wuppertaler Ermittlungen werfen ein Schlaglicht auf eine Praxis, die Städte in ganz Deutschland Schätzungen zufolge eine Milliarde Euro an Einnahmen kostet: Steueroasen inmitten der Republik. Über Projektgesellschaften, Tochter- oder Scheinfirmen verlagern Unternehmen immer wieder ihre Gewinne in Kommunen, die besonders niedrige Gewerbesteuern ansetzen.

Grünwald bei München ist nur eine von mehreren Steueroasen. Monheim bei Düsseldorf ist eine weitere, ebenso wie Zossen in der Nähe Berlins. Nach Ansicht von Essens Oberbürgermeister und Vorsitzenden des NRW-Städtetages sorgen die Steueroasen für einen zerstörerischen Unterbietungswettbewerb. Die Gewinne der Oasen fehlen schließlich den Kommunen, in denen die Gewinne sonst angefallen wären. "Wir finanzieren uns zum wesentlichen Teil aus der Gewerbesteuer und der Grundsteuer. Die brauchen wir, um lebenswerte Städte zu erhalten", sagt Kufen.

Nachweis gelingt selten

Doch bis wann reizen Unternehmer legal die Grenzen der Gesetze aus und ab wann müssen Steuervermeider fürchten, dass die Staatsanwaltschaft bei ihnen vor der Tür steht? Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit erklärt: "Illegal wird die Nutzung von Steueroasen, wenn die Geschäftstätigkeit nur vorgetäuscht ist, gegenüber den Steuerbehörden eine falsche Angabe gemacht wird. Dann wird aus der Steuervermeidung eine Steuerhinterziehung."

Um dies herauszufinden, müssten Steuerfahnder mit den Mitteln einer Polizei arbeiten. "Sie müssen beobachten, durchsuchen, befragen, vielleicht auch Telefone abhören, um eine vorgetäuschte Geschäftstätigkeit auch zu beweisen. Das gelingt nur sehr, sehr selten", so Trautvetter.

Gewinn nach Bayern verlagert

Seltene Einblicke gibt nun die Ermittlung im Fall um das Landesarchiv. Im Februar 2007, kurz nachdem die Immobilienentwickler das begehrte Grundstück im Duisburger Hafen gekauft hatten, gründeten sie in Grünwald eine Projektgesellschaft. Die Gesellschaft setzte das Projekt jedoch nicht um, sondern beheimatete lediglich die Grundstücksrechte. Die eigentliche Entwicklung des Bauprojekts erledigte die Entwicklungsgesellschaft in Essen mit zahlreichen Beschäftigten. Da aber die Grundstücksrechte in der Grünwald-Firma lagen, konnte der Gewinn nach dem Grundstücksverkauf in die Steueroase verlagert werden.

Die Frage, ob die Verlagerung rechtens ist, hängt davon ab, ob von Grünwald aus tatsächlich die Geschäfte geführt wurden. Glaubt man dem Team aus Anwälten und Steuerberatern, das die Essener Unternehmer in dem Strafverfahren vertritt, ging alles mit rechten Dingen zu.

Zu den Verteidigern zählt die einstige Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen. Sie brachte es zu bundesweitem Ruhm, als sie vor laufenden Kameras den damaligen Post-Chef Klaus Zumwinkel wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung verhaftete. Schriftlich teilte sie mit: "Die seitens der Finanz- und Ermittlungsbehörden erhobenen Vorwürfe gegen unsere Mandanten bewerten wir grundsätzlich anders. Mit Blick auf das laufende Verfahren möchten wir hierzu keine weiteren Auskünfte erteilen."

Verhandlung über Einstellung des Verfahrens

Nach Informationen von WDR und SZ argumentieren die Beschuldigten, sie hätten eben keine Briefkastenfirma in Grünwald betrieben, sondern ein Büro angemietet, eine Mitarbeiterin dort beschäftigt und die Aufgaben des Tagesgeschäfts von dort aus erledigt. Man habe, so die Verteidigungslinie, ganz legal die Steuern in Essen vermieden.

Die Strafverfolger in Wuppertal sehen dies freilich anders. Sie haben Unterlagen gesichtet, E-Mails ausgewertet, Zeugen befragt. Aus ihrer Sicht sollen Teile der Geschäftsleitung weiterhin aus Essen gesteuert worden sein, weshalb zumindest ein Teil der Gewerbesteuer in Essen zu zahlen sei. Nach Recherchen von WDR und SZ verhandeln beide Parteien derzeit darüber, ob das Verfahren gegen eine Millionenzahlung eingestellt werden könnte. Sollte es doch zu einer Anklage und einem Gerichtsverfahren kommen, dürften Steuerberater aus der gesamten Republik ins Ruhrgebiet schauen.

Als "kommunale Familie" zusammenhalten

Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit sähe in einem Verfahren "einen Präzendenzfall, der für Hunderte ganz ähnliche Modelle in deutschen Gewerbesteueroasen funktionieren wird."

Doch der Fall in NRW zeigt auch, wie schwierig es ist, einen einzelnen Fall zu prüfen. Der Deutsche Städtetag schlug deshalb vor, die Mindestsätze bundesweit anzuheben, damit sich das Steuerdumping nicht mehr lohnt. Aus Sicht von Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen wäre das ein gangbarer Weg: "Am Ende geht es darum, dass wir uns als kommunale Familie nicht auseinandertreiben. Wir stehen alle vor großen Aufgaben wie Corona und die Situation in der Ukraine. Wir brauchen das Geld, um den sozialen Zusammenhalt zu garantieren."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet die Sendung "Westpol" im WDR-Fernsehen am 12. Februar um 19.30 Uhr