Apotheker Robert Herold im Labor
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Nach Enthüllungen zu Krebsinfusionen Druck auf Apotheken-Whistleblower

Stand: 12.10.2023 18:00 Uhr

Vor drei Monaten hatte ein sächsischer Apotheker öffentlich gemacht, wie gewinnträchtig die Zubereitung von Krebsinfusionen ist. Seither wird er nach Informationen von NDR, WDR und SZ in der Branche unter Druck gesetzt.

Von Daniel Drepper, Markus Grill und Peter Onneken, WDR/NDR

Robert Herold hatte das Schweigen gebrochen. Im Juli dieses Jahres machte er öffentlich, wie günstig Krebsapotheker wie er selbst viele Medikamente für Infusionen einkaufen können - und wie viel teurer sie diese bei den Krankenkassen abrechnen.

Bei manchen Wirkstoffen können Krebsapotheker bis zu 1000 Euro mit einem einzigen Infusionsbeutel nebenher verdienen - zusätzlich zu der Herstellungspauschale, die sie ohnehin bekommen und die eigentlich Unkosten und Gewinn abdecken soll. Würden die Krankenkassen nur die tatsächlichen, günstigen Einkaufspreise erstatten, könnten die gesetzlich Krankenversicherten nach Berechnungen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) jedes Jahr bis zu 500 Millionen Euro sparen.

Lauterbach versprach Abhilfe

Die Verwunderung war groß, als diese Medien und das ARD-Magazin Monitor im Juli erstmals umfassend und detailliert über die enormen Gewinnspannen der Krebsapotheker berichteten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erklärte damals: Dies sei "auf jeden Fall etwas, was wir auch regulatorisch angehen müssen". Die hohen Gewinne seien "kein haltbarer Zustand". 

 

Doch getan hat sich seither wenig. In der vergangenen Woche stellte der CSU-Bundestagsabgeordnete und Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger der Regierung die Frage, welche konkreten Maßnahmen denn bisher unternommen wurden. Die kurze Antwort des parlamentarischen Staatssekretärs aus Lauterbachs Ministerium lautete: Das Ministerium habe für November "ein Fachgespräch mit den Fachkreisen" terminiert mit dem Ziel einer "vertieften Sachverhaltsermittlung". Erst danach könne man mögliche Gesetzesänderungen prüfen. 

Pilsinger kritisiert die Untätigkeit. "Dass die Herstellung von Zytostatika in Apotheken einer grundlegenden Regulierung bedarf, haben die Erkenntnisse aus dem Sommer mehr als deutlich gemacht", so der CSU-Gesundheitspolitiker. "Seit Juli ist hier nichts passiert."

Druck von Apothekerorganisationen

Die Apothekerzunft selbst reagierte dagegen schnell - und setzte ihren Kollegen Robert Herold unter Druck. So ist Herold gemeinsam mit dem Präsidenten des Verbands der Zytostatika-Apotheker (VZA), Klaus Peterseim, in einer Einkaufsgemeinschaft namens Auriga.

Nach Informationen von NDR, WDR und SZ werfen Peterseim und seine Apothekerkollegen Herold geschäftsschädigendes Verhalten vor. Die Apotheker bestreiten, dass ihre Gewinne zu hoch seien und verweisen unter anderem auf hohe Kosten für ihre Labore, die mit der Herstellungspauschale, die die Kassen zusätzlich zahlen, angeblich nicht profitabel seien.

Herold, die Kassen und ein von der Regierung beauftragtes Gutachten sehen das anders. Dennoch sollte Herold nun ausgeschlossen werden, weil die Einkaufsgemeinschaft der Förderung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder dienen solle. Diesen Interessen habe er geschadet.

Auch VZA-Präsident Peterseim kritisierte Herold auf der Gesellschafterversammlung der Auriga-Apotheker scharf. Die Versammlung beschloss schließlich, "einstimmig", wie das Protokoll festhielt, Herold aus der Einkaufsgemeinschaft auszuschließen.

Herold weist Vorwürfe zurück

Herold selbst sagt auf Nachfrage, dass ihm vorgeworfen worden sei, sein Verhalten sei unsäglich: "Ich hätte allen Apothekern und dem Vertrauen der Bürger in die onkologische Herstellung geschadet. Das kann ich nicht nachvollziehen." Präsident Klaus Peterseim, der selbst in Essen die Dom-Apotheke betreibt, hat auf eine Anfrage von NDR, WDR und SZ nicht reagiert.

Herold selbst sagt, er habe "positive Rückmeldungen von vielen Patienten bekommen", zum Teil auch von Ärztinnen und Ärzten. Der Gegenwind sei nur von Apothekern gekommen, die Krebsmedikamente zubereiten.

Apotheker verliert Referentenposition

Doch dass seine Kollegen Herold aus der Einkaufsgemeinschaft Auriga ausgeschlossen haben, ist nicht die einzige Konsequenz für den Whistleblower. Auch die Sächsische Landesapothekerkammer, für die Herold bisher als Fortbildungsreferent tätig war, schloss ihn von dieser Tätigkeit aus. In einem Schreiben der Landesapothekerkammer an ihn heißt es, man wolle dadurch "vermeiden, dass es zu unnötigen Diskussionen" bei den Fortbildungen komme. 

Worin genau soll das geschäftsschädigende Verhalten von Robert Herold liegen? Und welchen Schutz genießen Whistleblower bei der Kammer, wenn sie auf Missstände innerhalb ihres Berufsstandes aufmerksam machen? Der Präsident der Sächsischen Apothekerkammer, Göran Donner, erklärte auf Anfrage von NDR, WDR und SZ, Robert Herold "allein zu seinem eigenen Schutz" vorübergehend von den Fortbildungen ausgeschlossen zu haben. "Im Übrigen bleibt es der Kammer vorbehalten, wer, wann und wo als Referent für die Kammer auftritt", sagte Präsident Donner. 

Paula Piechotta am Rednerpult im Bundestag

Piechotta sieht in dem Vorgehen ein Beispiel für "schlechte Fehlerkultur im Gesundheitswesen".

Gesundheitspolitiker verteidigt Herold

Die Bundestagsabgeordnete der Grünen und Haushaltspolitikerin Paula Piechotta hat nach der Veröffentlichung der Vorwürfe den Kontakt zu Apotheker Herold geknüpft und ihn in Sachsen besucht. "Das ist ein grundsolider Apotheker mit einem großen Gerechtigkeitsempfinden, der nicht möchte, dass den Patienten Geld aus der Tasche gezogen wird", sagt Piechotta.

"Wie jetzt mit ihm umgegangen wird, ist hochproblematisch und leider ein Beispiel für schlechte Fehlerkultur im Gesundheitswesen", so die Abgeordnete. Das Gesundheitssystem müsse Apotheker wie Herold belohnen, wenn diese besonders ehrlich und gewissenhaft seien und die Öffentlichkeit informierten. Stattdessen bestrafe es offenbar diese Menschen.

Krankenkassen schlagen neues Modell vor

Die Krankenkassen setzen ihre Hoffnungen nun auf das Gespräch im Lauterbach-Ministerium, das für Ende November geplant ist. Der AOK Bundesverband will dabei erreichen, dass die Krankenkassen für ihre Mitglieder Ausschreibungen auf regionaler Ebene machen dürfen. Zyto-Apotheker sollen sich in kleinen Gebieten mit einem Anfahrtsweg von maximal 30 Minuten für die Versorgung bewerben können.

Die günstigste Apotheke bekomme dann den Zuschlag für alle gesetzliche Krankenversicherten in der Region, so erklärt AOK-Arzneimittelexpertin Sabine Richard das Modell im Gespräch mit dem ARD-Magazin Monitor. Dies würde die Beitragszahler entlasten. "Wir hatten damit vor einigen Jahren ein Einsparpotential vor circa 600 Millionen Euro pro Jahr für die gesamte gesetzliche Krankenversicherung ermittelt", sagt Richard. "Und wir gehen davon aus, dass wir in diese Größenordnung auch wieder kommen werden."

Ob das am Ende verwirklicht werden kann, hängt nun von Gesundheitsminister Lauterbach ab. Denn der müsste den Krankenkassen die Ausschreibungen in diesem Bereich erlauben, die erst im Jahr 2017 mit Hilfe der Apothekenlobby verboten wurden. Gesundheitsminister war damals Hermann Gröhe (CDU).

Apotheker Robert Herold

Herold bereut sein Vorgehen trotz der Konsequenzen für ihn nicht.

"Ich würde das wieder machen"

Robert Herold hat viel darüber nachgedacht, ob er heute noch mal die wahren Einkaufspreise der Krebsmedikamente öffentlich machen würde. Aber er ist sich sicher: "Ich würde das wieder machen." Herold sagt, er sei überzeugt, dass Krebspatienten in ihrer Ausnahmesituation eine ortsnahe Versorgung brauchen, das heißt, einen Apotheker, der sich auch um Neben- und Wechselwirkungen kümmern kann.

Er sehe allerdings auch, dass allein mit einer Berichterstattung Probleme noch nicht gelöst werden. "Das ist, glaube ich, die größte Gefahr, dass man eine Berichterstattung macht, und danach verebbt das alles."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Das Erste in der Sendung "Monitor" am 20. Juli 2023 um 21:45 Uhr.