Strategiepapier Putins Plan für Moldau
Die Republik Moldau soll sich vom Westen lossagen und eine Zukunft an der Seite Russlands anstreben - wie das gehen soll, steht in einem Strategiepapier, das aus dem Kreml stammen soll. WDR, NDR und SZ liegt es vor.
Die Nervosität in der Republik Moldau zeigt sich mittlerweile fast täglich. Am Wochenende protestierten erneut Tausende Menschen auf den Straßen der Hauptstadt Chisinau. Sprechchöre zielten gegen die proeuropäische Regierung. In diesem Zusammenhang griff die Polizei durch: Man habe sieben Verdächtige festgenommen. Der Vorwurf: Ein prorussisches Netzwerk soll mithilfe russischer Geheimdienste an "destabilisierenden Aktionen" gearbeitet haben, die "mittels Demonstrationen" in Moldau organisiert worden sein sollen.
Auch wenn Moskau solche Vorwürfe bislang immer als "Fake" zurückgewiesen hat - es brodelt in der ehemaligen Sowjetrepublik mit seinen etwas mehr als 2,5 Millionen Einwohnern. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hat sich die Lage noch einmal zugespitzt.
Prorussische Stimmung schüren
Russland verfolgt offensichtlich seit Langem einen Plan in der Republik Moldau. Das zeigt ein Dokument, das WDR, NDR und "Süddeutsche Zeitung" mit internationalen Partnern auswerten konnte. Demnach soll Russlands Präsidialverwaltung vor Kriegsbeginn, im Sommer 2021, in einem Strategiepapier konkret festgehalten haben, wie man prorussische Strömungen fördern und gleichzeitig eine West-Orientierung des Landes verhindern wolle.
Auf fünf Seiten fasst der Strategieplan die Ziele Russlands im politischen, militärischen und Sicherheitsbereich, im Handels- und Wirtschaftsbereich sowie im gesellschaftlichen Bereich in Moldau zusammen. Das Dokument stammt offenbar von denselben Experten, die eine Strategie zur Einverleibung von Belarus entworfen haben sollen. Die Präsidialverwaltung ließ eine Anfrage zu den mutmaßlichen Plänen für Moldau unbeantwortet.
Moldau wird in dem Dokument als wichtiger Schauplatz für eine Auseinandersetzung mit dem Westen gesehen. Ein zentrales russisches Ziel für die kommenden zehn Jahre ist demnach, "den Versuchen externer Akteure entgegenzuwirken, sich in die internen Angelegenheiten der Republik einzumischen". Das zielt auf die NATO. Man wolle verhindern, dass die Position der Russischen Föderation geschwächt werde.
Gleichzeitig will Moskau offenbar Hilfe leisten, wenn es um die mögliche Beteiligung Moldaus in Vereinigungen geht, die von Russland dominiert werden. Konkret geht es laut Papier um die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) und die Eurasische Wirtschaftsunion (EAEU). Unter Eliten aus Politik und Wirtschaft soll "prorussische Stimmung" geschürt werden.
Mehr Unterricht in russischer Sprache
"Das Interesse Moldaus am russischen Absatzmarkt" will Russland offenbar als wirtschaftliches Druckmittel einsetzen: Dieses soll die Regierung des Landes davon abhalten, "russischen Interessen in der Region zu schaden".
Auch für den Bildungsbereich gibt es offenbar Pläne. Laut dem Papier soll "Fernunterricht in russischer Sprache" für moldauische Schüler ausgebaut werden. Russische Universitäten sollen in Moldau ihre Filialen aufmachen, heißt es im Strategiepapier. In langfristiger Perspektive bis 2030 soll dem Papier nach in der moldauischen Gesellschaft und politischen Kreisen eine "negative Einstellung gegenüber der NATO" geschaffen werden. Außerdem soll bis dahin eine "breite Präsenz russischer Medien" in Moldau gesichert werden.
Westliche Sicherheitsexperten halten das Papier für authentisch. Ein hochrangiger westlicher Geheimdienstmitarbeiter sagt: Es gehe Moskau darum "ein Stoppschild Richtung Westen zu setzen". Für Stefan Meister, Leiter des Programms Internationale Ordnung und Demokratie bei der Denkfabrik Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), wird in dem Papier eines besonders deutlich: Man sehe sich in einer "direkten Konkurrenzsituation" mit EU und NATO und versuche, deren Integrationspolitik, deren Narrative zu kontern.
Transnistrien als Einfallstor
Der Kriegsausbruch in der Ukraine sorgte jetzt offenbar dafür, dass das Ringen um Moldau keine Sache von Jahren mehr ist. Weil sich Moldau auf den Westen zubewegt und Reformen verabschiedet, könnte Russlands Einfluss schwinden - wenn es nicht aktiver vorgeht. Wie fragil die Situation in Moldau ist, zeigte sich im Februar: Innerhalb weniger Tage flogen russische Raketen über Moldau in die Ukraine, dann trat die Ministerpräsidentin zurück und die Ukraine warnte, es gebe einen detaillierten russischen Plan zur Destabilisierung. Im Westen besteht die Sorge, dass Moskau schnell Fakten schaffen möchte.
Darauf deutet auch die Zuspitzung der Lage in Transnistrien mit seinen russischen Truppen und dem vermutlich größten Munitionsdepot in Osteuropa hin. Russische Soldaten sind in der selbsternannten Republik Transnistrien seit 1992 stationiert. Die moldauische Regierung hatte den Kreml zuvor mehrfach zum Abzug dieser Truppen aufgefordert - ohne Erfolg. Der abtrünnige Landstreifen mit knapp einer halben Million Einwohner im Osten Moldaus gehört völkerrechtlich zwar zu Moldau. Doch Russland könnte den eingefrorenen Konflikt in der Region als Einfallstor nutzen.
"Gezielte russische Aktivitäten"
Laut dem internen Strategieplan heißt es, dass kurzfristig, also innerhalb weniger Jahre, Moldau jene Maßnahmen rückgängig machen solle, die politisch oder wirtschaftlich Druck auf Transnistrien ausübten. In einem der Punkte wird explizit auf russische Truppen eingegangen: Moldauische Initiativen, die die russische Militärpräsenz in Transnistrien abschaffen wollten, sollten "neutralisiert" werden.
Auch die Bundesregierung beobachtet die Situation genau: Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, dass die Krise Moldaus durch "gezielte russische Aktivitäten zur Destabilisierung verschlimmert wurde". Der Bundesregierung lägen Berichte über die "Inszenierung von Protesten in Moldau durch russische Akteure" vor.
Wie angespannt und undurchsichtig die Lage ist, zeigte sich vor einigen Tagen. Die russische staatliche Nachrichtenagentur Ria meldete, dass es angeblich vereitelte Anschlagsversuche auf ranghohe Beamte in Transnistrien gegeben habe. Die prorussischen Verantwortlichen in Transnistrien machten der Agentur Reuters zufolge ukrainische Nachrichtendienste verantwortlich. Moldau erklärte, man untersuche den Vorgang. Kiew wiederum wies die Vorwürfe zurück und verwies auf Russland: Dort sitze der Aggressor. Moskau suche einen Vorwand, um in Transnistrien einzugreifen - und anschließend die gesamte Republik Moldau unter Kontrolle zu bringen.
Beteiligt an der Recherche waren: Yahoo News, Delfi Estonia, Kyiv Independent, Expressen, Frontstory.pl, VSQuare, Belarusian Investigative Center, Dossier Center, Rise, Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR