Investitionen in Arztpraxen Gewinn für Investoren, Risiko für Patienten
Private Investoren haben Hunderte Arztpraxen in Deutschland gekauft und in größeren Konzernen gebündelt. Sollten diese pleitegehen, könne die Versorgung von Patienten in Gefahr geraten, warnen Finanzexperten.
Arztpraxen sind offensichtlich eine lukrative Anlagemöglichkeit. Finanzinvestoren haben in den vergangenen Jahren Hunderte Praxen in Deutschland gekauft, etwa im Bereich der Augenheilkunde. In einigen Regionen und Städten gehört mittlerweile der Großteil der Augenarztpraxen zu einem größeren Finanzunternehmen. Das hatten NDR-Recherchen ergeben.
Für Patientinnen und Patienten könnte diese Bündelung "dramatische Auswirkungen" haben, sagt Gerhard Schick, Geschäftsführer der gemeinnützigen Gesellschaft "Finanzwende Recherche". Denn falls ein Unternehmen pleitegehe, das in einer Region großflächig Praxen aufgekauft habe, könne es zu Problemen bei der Versorgung kommen.
"Ich mache mir Sorgen, dass wir uns mit einer Pleite von solchen Arztpraxis-Konzernen in der Zukunft beschäftigen müssen", sagt Schick. Denn einige von ihnen sind offenbar hoch verschuldet. Das zeigt eine aktuelle Studie von Finanzwende Recherche, die dem NDR vor Veröffentlichung exklusiv vorlag.
Weiterverkauf mit möglichst hohem Gewinn
Das Problem ist demnach das zugrunde liegende Geschäftsmodell. Die Käufer der Praxen sind oft sogenannte Private-Equity-Unternehmen. Sie sammeln Geld von Investoren ein. Dann kaufen sie mehrere kleinere Unternehmen auf und bündeln sie in einem größeren Konzern. Nach einigen Jahren verkaufen sie diesen mit einem möglichst hohen Gewinn weiter. Dieses Geschäft betreiben einige Private-Equity-Unternehmen auch mit Arztpraxen.
Dafür müssen sie die Praxen formal in sogenannte Medizinische Versorgungszentren (MVZen) umwandeln. Denn eigentlich dürfen Finanz-Investoren keine Arztpraxen kaufen. Sie dürfen jedoch Krankenhäuser erwerben, die wiederum MVZen, also Arzt-Praxen, betreiben dürfen.
Die ursprüngliche Idee war, dass sich Ärzte aus verschiedenen Fachrichtungen in solchen Versorgungszentren zusammenfinden. 2015 wurde das Gesetz jedoch geändert. Seitdem dürfen auch MVZen betrieben werden, in denen nur Ärzte eines Fachs tätig sind. Seitdem ist die Zahl der Praxisübernahmen durch Investoren deutlich gestiegen.
Schulden auf Praxen übertragen
Die Käufer bezahlen die Private-Equity-Unternehmen jedoch nur zu einem kleinen Teil mit dem eigenen, eingesammelten Kapital. Der Großteil werde über Kredite finanziert, heißt es in der Finanzwende-Studie. Diese Schulden würden dann in der Regel auf die erworbenen Praxen übertragen. "Wenn die Zinsen steigen, dann wird so eine Schuldenlast irgendwann zum Problem", sagt Schick, der jahrelang finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag war.
Finanzwende sieht jedoch nicht nur die möglicherweise drohenden Pleiten als Problem, sondern auch, dass viel Geld aus dem Gesundheitssystem in die Hände privater Investoren fließt. Die Private-Equity-Unternehmen wollten eine Rendite von 15 bis 20 Prozent erzielen, sagt Schick. Das bedeutet, dass die Geldgeber für beispielsweise eine Millionen Euro Kapital, das sie bereitstellen, nach einem Jahr bis zu 1,2 Millionen herausbekommen, also ein Plus von 200.000 Euro.
Verluste für deutschen Fiskus
Um das zu erreichen, wendeten sie bestimmte Finanztechniken an, etwa die Schulden auf die Praxen zu übertragen. Zudem haben die übergeordneten Konzerne in der Regel ihren Sitz in Ländern wie Luxemburg, in denen wenig Steuern gezahlt werden müssen. Die Schulden lägen somit bei den deutschen Praxen, die Gewinne würden dagegen im Ausland versteuert. Das führe somit auch zu einem großen Verlust für den deutschen Fiskus und den deutschen Steuerzahler, so Schick. Er fordert deshalb strengere Regeln für Private-Equity-Gesellschaften im Gesundheitswesen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) scheint es ähnlich zu sehen. Er wolle verhindern, "dass Investoren mit absoluter Profitgier Arztpraxen aufkaufen", hatte er Ende 2022 gesagt und angekündigt, im ersten Quartal 2023 eine entsprechende Gesetzesänderung vorzulegen
Doch bislang gibt es keine konkreten Vorschläge. Auf Anfrage des NDR teilte das Gesundheitsministerium mit, der Gesetzesentwurf sei noch in Arbeit. Details zum Zeitplan könne es aber nicht nennen.
Warnungen vor fortschreitender Kommerzialisierung
Die großen Arztketten versuchen, eine strengere Regulierung zu verhindern. Der Bundesverband der Betreiber medizinischer Versorgungszentren (BBMV) verweist immer wieder darauf, dass sie keine Gefahr darstellten, sondern die Versorgung von Patientinnen und Patienten sicherstellten. Denn viele jüngere Ärztinnen und Ärzte würden nicht mehr selbstständig arbeiten wollen, sondern eine Anstellung in einem MVZ bevorzugen.
Das sehen aber offensichtlich längst nicht alle Medizinerinnen und Mediziner so. Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sagte vor einigen Tagen, die Ärzteschaft warne seit Jahren vor den Folgen einer fortschreitenden Kommerzialisierung. "Es ist höchste Zeit, im Sinne der Patientinnen und Patienten entschieden zu handeln", so Reinhardt. Deswegen müsse der vom Gesundheitsminister angekündigte "Gesetzentwurf gegen die Kommerzialisierung" noch vor der Sommerpause kommen.
Die drei Bundesländer Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein forderten am 12. Mai im Bundesrat die Regierung auf, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen und Vorschläge für eine Gesetzesänderung zu machen. Wie eine Regelung konkret aussehen könnte, ist auch Thema auf dem heute in Essen beginnenden Deutschen Ärztetag.