Sexualisierte Gewalt gegen Kinder Gesetzesverschärfung soll korrigiert werden
Seit 2021 ist die Verbreitung von Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder auch strafrechtlich ein Verbrechen. Doch die Gesetzesverschärfung sorgt für überlastete Behörden - dabei geht es oft nicht um Fälle mit pädokriminellem Hintergrund.
Die Ampel-Fraktionen möchten das kürzlich verschärfte Gesetz zur "Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte" korrigieren.
Man wolle "rasch eine Gesetzesänderung", so Johannes Fechner, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag, im Interview mit dem ARD-Magazin Panorama. "Es wäre gut, wenn Minister Buschmann zeitnah einen Vorschlag vorlegt, den wir dann zügig beraten werden."
Im November hatte sich bereits die Justizministerkonferenz dafür ausgesprochen, den entsprechenden Paragrafen 184b im Strafgesetzbuch abzumildern oder um sogenannte minder schwere Fälle zu ergänzen.
Ein Sprecher von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gab sich zurückhaltend. Man nehme die Bedenken gegen die aktuelle Regelung "sehr ernst" und prüfe "gesetzgeberischen Handlungsbedarf". Dem Vernehmen nach sieht das Justizministerium aber die SPD in der Pflicht, die Verschärfung mittels einer Gesetzesinitiative direkt im Bundestag zu korrigieren, schließlich habe die damalige sozialdemokratische Bundesjustizministerin Christine Lambrecht die Pläne erarbeiten lassen.
Im Sommer 2020 hatten SPD und Union die Verschärfung im Bundestag trotz massiver Bedenken von Fachleuten verabschiedet. Es galt als Prestigeprojekt der Großen Koalition im Wahlkampf.
Es trifft häufig die Falschen
Hintergrund der Diskussion ist eine Flut von Verfahren, die wegen der Strafrechtsverschärfung Polizei und Gerichte in Deutschland überlasten. Dabei geht es vielfach nicht um Fälle, in denen Pädokriminelle Fotos und Videos von schwerem sexuellen Kindesmissbrauch erworben oder geteilt haben.
Stattdessen trifft es auch Eltern oder Lehrerinnen und Lehrer, die auf ein Nacktfoto im Klassenchat hinweisen, um es aus dem Verkehr zu ziehen. Oder Jugendliche, die justiziable Aufnahmen bei WhatsApp als "Mutprobe" an Freunde schicken oder nicht wissen, dass die Videos strafbar sind.
In einem oft geteilten Video wird beispielsweise ein Junge von einem Insekt in den Penis gestochen. In einem weiteren Video, das sich Teenager vielfach zuschicken, hat ein 13-jähriges Mädchen Sex mit zwei zwölfjährigen Jungs. Juristisch handelt es sich bei diesen Aufnahmen um sogenannte "kinderpornografische" Inhalte. Werden diese Aufnahmen über Dienste wie Facebook, Instagram oder Snapchat getauscht, erhält das Bundeskriminalamt aus den USA automatisch erstellte Hinweise auf den Verdacht "Kinderpornografie".
Ausnahmslos ein Verbrechen
Ermittlungsbehörden bleibt durch die Hochstufung der Taten zu einem Verbrechen keine andere Wahl, als jeden noch so kleinen Fall vor Gericht zu bringen. Juristisch bedeutet der Begriff "Verbrechen", dass die Mindeststrafe ein Jahr beträgt. Ist diese geringer, spricht man von einem "Vergehen".
Verbrechen können nicht wegen Geringfügigkeit eingestellt werden, Vergehen hingegen schon - damit sollen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte durch Massen- und Bagatellverfahren vor Überlastung geschützt werden.
Genau diese Überlastung sei nun durch die Verschärfung des Paragrafen 184b eingetreten, sagt Jan Reinecke vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK): "Vor allem die Tatsache, dass der minder schwere Fall bei der Gesetzgebung keine Berücksichtigung gefunden hat, führt in der Praxis dazu, dass die Länderpolizeien zahlreiche Ermittlungsverfahren ohne tatsächlichen pädokriminellen Hintergrund zu führen haben."
Für die tatsächlichen Fälle bleibe dadurch am Ende kaum noch Ermittlungspotential übrig, so Reinecke. Nach Panorama-Recherchen liegt die Zahl der Fälle ohne pädokriminellen Hintergrund in einigen Behörden bereits bei rund 50 Prozent.
Auch Beratungsstellen, die mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt zusammenarbeiten, fordern eine Korrektur. Aktuell gebe es große Unsicherheit bei betroffenen Kindern und Eltern, die eine Anzeige erstatten wollen und dafür Aufnahmen zu Beweiszwecken auf ihren Geräten speichern müssen, teilt die Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF) mit.
Der Verband fürchtet, dass Erwachsene vor einer Anzeige zurückschrecken könnten, weil gegen sie selbst ermittelt werden könnte. Eine Lösung sei "dringend notwendig", so Franziska Drohsel von der BKSF.
Initiative der Union, die SPD zog mit
Der Verschärfung des Paragrafen ging eine hitzige Debatte voraus. Nach den aufsehenerregenden Missbrauchsfällen von Lügde, Bergisch-Gladbach und zuletzt Münster war im Sommer 2020 der Ruf nach schärferen Strafen laut geworden.
So forderte die damalige CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, sexueller Kindesmissbrauch müsse immer als Verbrechen eingestuft werden. Der damalige CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak ergänzte, dass der Besitz von Missbrauchsdarstellungen "stets ein Verbrechen ist", besonders leichte Fälle gebe es nicht.
Die damalige Bundesjustizministerin Lambrecht sprach sich zwar erst gegen eine Verschärfung aus, ruderte dann aber zurück und legte einen umso schärferen Entwurf vor. Ausnahmen für minder schwere Fälle sollte es demnach nicht geben.
In einer Anhörung von Fachleuchten hagelte es seinerzeit Kritik. Die Sachverständigen prophezeiten jene Überlastung, die nun eingetreten ist. Damals beteiligte Abgeordnete von Union und SPD verweisen zwar jetzt darauf, dass man hinter den Kulissen versucht habe, die Pläne entschärfen zu lassen. Am Ende stimmten aber die Fraktionen von SPD und Union für die aktuelle Regelung.
Ressourcen für die "echten" Pädokriminellen fehlen
Aus Sorge vor einer falsch verstandenen Botschaft kam es bisher nicht zu einer Korrektur. Niemand reißt sich darum, bei diesem emotionalen Thema der Darstellungen von Kindesmissbrauch eine Regelung für "minder schwere Fälle" zu vertreten. Der Druck ist nun aber offenbar so groß geworden, dass sich die SPD auf Nachfrage von Panorama aus der Deckung gewagt hat und den Druck auf Minister Buschmann erhöhen will.
Die Verfahren binden "enorm Personal bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten, das aber dringend gebraucht wird, um die wirklichen Sexualstraftäter zu überführen und zu verurteilten", sagt SPD-Politiker Fechner. Auch die mittlerweile oppositionelle Union signalisiert Panorama gegenüber Bereitschaft, einen "praktikablen und angemessenen Vorschlag" vom Bundesjustizminister zu unterstützen.