Ohne Kennzeichnung Offenbar Separatorenfleisch in Geflügelwurst
Separatorenfleisch wird aus Tierkörpern oder grob zerkleinerten Knochen mit Fleischresten gepresst und muss vom Hersteller als solches gekennzeichnet werden. Doch Labortests für NDR und "Spiegel" liefern Indizien, dass das nicht immer der Fall ist.
Deutschlands größter Schlachtkonzern Tönnies steht mit anderen Wurstproduzenten im Verdacht, in Geflügelwurstprodukten Separatorenfleisch zu verarbeiten - ohne dies, wie gesetzlich vorgeschrieben, zu kennzeichnen. Hierfür liefern Laboruntersuchungen des Bremerhavener Hochschulprofessors Stefan Wittke für den "Spiegel" und den NDR konkrete Indizien.
Separatorenfleisch wird erzeugt, indem Maschinen Tierkörper oder grob zerkleinerte Knochen mit Fleischresten durch Lochscheiben hindurchpressen. Knochensplitter und Knorpelteile bleiben hängen, alle weichen Teile wie etwa Muskulatur, Fett und Bindegewebe oder auch Knochenmark werden abgepresst. Dabei entsteht eine breiartige Masse. Forscher Wittke hat ein neues, peer-review-geprüftes Verfahren entwickelt, um diese Zutat in Wurstprodukten nachzuweisen. Bislang war dies de facto kaum möglich.
Hinweise auch bei Bio-Wurstwaren
Insgesamt reichten NDR und "Spiegel" 30 Geflügelwurst- und Geflügelfleischproben verschiedener Hersteller zur Prüfung ein. Neun davon wurden positiv getestet - darunter vier Bio-Wurstwaren. Unter den 20 Wurstproben war fast jede zweite positiv. Dagegen fand sich bei den untersuchten Stückfleischproben wie etwa Filet oder Braten kein Indiz für Separatorenfleisch.
Fünf der neun positiv getesteten Produkte wurden von der in Böklund ansässigen "Zur Mühlen Gruppe" hergestellt, die zur Tönnies-Unternehmensgruppe gehört. Ebenso waren zwei Produkte des ostwestfälischen Herstellers Franz Wiltmann sowie je ein Produkt der Hersteller Wiesenhof und der Mecklenburger Landpute GmbH unter den Positivfällen. Verkauft wurden diese Waren unter Markennamen wie Gutfried, Edeka Bio, Rewe Bio oder Rewe Beste Wahl. Nirgends war Separatorenfleisch auf der Verpackung angegeben.
Rechtliche Konsequenzen möglich
Der Einsatz von Geflügel-Separatorenfleisch ist in Deutschland nicht verboten, allerdings müssen die Hersteller auf der Verpackung gemäß der EU-Lebensmittel-Informationsverordnung darauf hinweisen. Verschweigen Hersteller diese Zutat, drohen den Verantwortlichen rechtliche Konsequenzen.
"Hier wird offenbar gegen die EU-Lebensmittel-Informationsverordnung verstoßen", sagt der Berliner Jurist Remo Klinger, Experte für Umwelt- und Lebensmittelrecht. Den verantwortlichen Personen und Unternehmen drohe ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro. Und: "Wenn die Firmen ihr Verhalten nicht ändern, handeln sie vorsätzlich. Dies kann eine Strafverfolgung wegen Betrugs mit deutlich höheren Geldstrafen für die Geschäftsführer zur Folge haben."
Separatorenfleisch wird zu Marktpreisen von 35 bis 50 Cent je Kilo gehandelt - und ist damit deutlich preiswerter als herkömmlich gewonnenes Fleisch. Entsprechend groß ist der Anreiz für Unternehmen, diese Zutat zu verwursten. Allerdings dürfte sie bei den Verbrauchern unbeliebt sein.
Wenn die Vorwürfe zutreffen, sieht Matthias Wolfschmidt von Foodwatch einen klaren Fall von Verbrauchertäuschung: "Die Ware wäre mit der falschen Deklaration nicht verkehrsfähig und dürfte so nicht zum Verkauf angeboten werden."
Unternehmen weisen Ergebnisse zurück
Die Unternehmenssprecher dreier Firmen, die zur Tönnies Holding (u.a. Gutfried) gehören, schreiben, man setze kein Separatorenfleisch ein. Zudem wird die Aussagekraft der Untersuchungsmethode angezweifelt: "Die von Ihrem Labor nachgewiesenen Marker sind kein direkter Nachweis von Separatorenfleisch." Auch die Unternehmenssprecherin von Wiltmann bestreitet die Vorwürfe: "Wir setzen in unserer Produktion an keiner Stelle 'Separatorenfleisch' ein. Wir lehnen dessen Einsatz aus qualitativen Gründen entschieden ab." Auch eine Sprecherin der Mecklenburger Landpute GmbH schreibt, dass das Unternehmen kein Separatorenfleisch einsetze.
Wiesenhof teilt mit, dass in der Wiesenhof Geflügel Mortadella kein Separatorenfleisch enthalten sei. Wiesenhof legte dazu auch eidesstattliche Versicherungen vor. Zudem würden regelmäßige Kontrollen durchgeführt, auf Basis amtlich anerkannter histologischer Untersuchungen sowie Überprüfungen des Kalzium-Gehaltes. Dagegen sei das Testverfahren der Hochschule Bremerhaven bislang nicht mehr als ein neuer wissenschaftlicher Ansatz. Die vermeintlichen Separatorenfleisch-Marker fänden sich laut Wiesenhof auch in anderen Fleischkomponenten, gerade in Sehnen. Zudem sei der Test nur für Hähnchen entwickelt, es sei völlig unklar, ob er auch auf Pute übertragen werden könne. Doch Tatsache ist: Sämtliche von "Spiegel" und NDR eingereichten Produkte beinhalten auch Hähnchen. Und in Sehnen kommen laut Studie zwar Kollagene vor - nicht aber das spezifische Eiweiß Kollagen Typ II alpha 1, auf das sich die Laboruntersuchungen beziehen.
Dabei führt Wiesenhof die Einschätzung von Sachverständigenlaboren an, die für die Überprüfung von Lebensmitteln zuständig sind. Eines davon kritisierte auch, dass als Negativkontrollen "offenbar von einem Metzger manuell zugeschnittene Fleischteilstücke verwendet wurden" und das auch "frisches Fleisch gewisse Mengen an Knochen- und Knorpelpartikeln enthalten" kann.
Kontrollbehörden von Prüfverfahren überzeugt
Kontrollbehörden sind angetan von dem neuen Prüfverfahren. "Es scheint für mich sehr zukunftsweisend zu sein", sagt Matthias Denker, Dezernatsleiter des Landesamts für Lebensmittelsicherheit in Mecklenburg-Vorpommern: "Nicht alle Hersteller sind schwarze Schafe, aber wenn wir einen Nachweis führen können, dann verschwindet so etwas vielleicht auch ganz schnell." Es könnte also sein, dass Verbraucher bald tatsächlich erfahren, was in der Wurst steckt, die sie kaufen.
Der Beitrag wurde am 25. November 2022 aufgrund einer einstweiligen Verfügung des Hanseatischen Oberlandesgerichts verändert. Wir haben der Stellungnahme von Wiesenhof daraufhin mehr Platz eingeräumt.