Geldautomatensprengungen All-Inclusive-Angebot für Täter
Die Zahl der Geldautomatensprengungen in Deutschland bleibt auf hohem Niveau. Recherchen von Report Mainz zeigen, dass hinter den Verbrechen ein äußerst ausgeklügeltes System steckt - von zweifelhaften Autovermietungen unterstützt.
Obwohl immer mehr Täter verurteilt werden, sind Informationen über die Drahtzieher dieser Verbrechen äußerst spärlich: Nach Recherchen von Report Mainz verlaufen die Prozesse gegen Geldautomatensprenger in der Regel nach einem ähnlichen Muster. Die Täter gestehen ihre Taten, schweigen jedoch beharrlich über ihre Auftraggeber und die dahinterliegenden Strukturen.
Rechtsanwalt Christoph Pawlowski, der seit Jahren Geldautomatensprenger vertritt, berichtet von seinen Mandanten, die unisono sagten: "Wenn ich über andere Leute spreche, könnte mir das schlecht bekommen."
Kriminelle "Cluster" in Utrecht
Vor drei Jahren gelang es den Ermittlern dennoch, einen seltenen Einblick in die Arbeitsweise der Drahtzieher zu gewinnen. Ein Niederländer bestellte in Niedersachsen mehrere Geldautomaten, die in ein Industriegebiet eines Stadtteils in Utrecht geliefert werden sollten, der für Geldautomatensprenger bekannt ist.
Die Staatsanwaltschaft Osnabrück erfuhr davon und stattete die Geräte mit versteckten Kameras aus. Das Ergebnis: Das Gebäude an der angegebenen Adresse entpuppte sich als Trainingszentrum für Geldautomatensprenger.
Der 29-jährige Jawad Z. nutzte die bestellten Geldautomaten, um Lehrvideos zu drehen und Testexplosionen durchzuführen. Bei einer solchen Übung sprengte sich der Anführer versehentlich selbst in die Luft. Auf Anfrage von Report Mainz teilte die Stadt Utrecht schriftlich mit, es handele sich um eine sogenannte "Geldautomaten-Gasangriffsschule".
Die Leiche des Mannes, der sich selbst versehentlich tötete, wurde "auf die Straße geworfen". Im Zusammenhang damit wurden später vier Männer und eine Frau verhaftet.
Die Stadt bestätigte, dass es in Utrecht mehrere kriminelle "Cluster" gebe, die Geldautomatensprengungen vorbereiten und durchführen. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres habe es so viele Festnahmen wie im gesamten Jahr 2022 gegeben, wobei "fast die Hälfte" der Täter aus Utrecht stammte, so die Stadt.
Die Täter müssen nur noch einsteigen und losfahren
Reporter des ARD-Politikmagazins Report Mainz führten Gespräche mit zahlreichen Staatsanwälten, Strafverteidigern und Ermittlungsbehörden. Sie sind sich alle einig: Die Täter, die in der Regel sehr jung sind und oft marokkanische Wurzeln haben, seien lediglich der ausführende Teil der Geldautomatensprenger-Maschinerie. Im Hintergrund agiere die organisierte Kriminalität.
Nach Erkenntnissen von Ermittler und Polizeigewerkschafter (Bund Deutscher Kriminalbeamter) Oliver Huth fließe der Großteil der Beute in andere Straftaten, insbesondere in den Drogenhandel. "Das Geld aus unseren Geldautomaten wird für weitere Straftaten genutzt, vor allem für die Vorbereitung", betont er in einem Interview mit Report Mainz.
Umso besorgter sind Ermittler, dass sich an der Zahl der Angriffe auf deutsche Geldautomaten so gut wie nichts geändert hat. Das Problem hat sich offenbar nur verlagert. Während sich Angriffe in Niedersachsen, das in der Vergangenheit stark betroffen war, im ersten Dreivierteljahr mit 23 Sprengungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mehr als halbierte, stieg die Anzahl der Angriffe in anderen Bundesländern.
Höchster Anstieg in Hessen
Hessen verzeichnet im Vergleich den höchsten Anstieg: (Januar bis September 2023: 40, Januar bis September 2022: 26), gefolgt von Baden-Württemberg (Januar bis September 2023: 31, Januar bis September 2022: 22) und Rheinland-Pfalz (Januar bis September 2023: 39, Januar bis September 2022: 34). Nordrhein-Westfalen, das am stärksten betroffene Bundesland, verzeichnete im Vergleichszeitraum nahezu unverändert hohe Angriffszahlen (Januar bis September 2023: 124, Januar bis September 2022: 125).
Die Geldautomatensprengungen sind offensichtlich sorgfältig geplant und bis ins Detail durchorganisiert. Die Täter werden von Hintermännern angeworben und müssen oft nur noch in ein Auto steigen und losfahren, berichten Ermittler.
Ein kürzlich verhandelter Fall einer Geldautomatensprengung in Koblenz verdeutlicht, wie das ablaufen kann. Die beiden Täter, die vom Landgericht Koblenz zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, wurden kurz vor der Tat von einem Hintermann angesprochen. Dieser bot den Tätern jeweils 25 Prozent der Beute an. Das Tatfahrzeug, ein leistungsstarker BMW, wurde den Tätern zusammen mit zwei Sprengsätzen, Sturmhauben, Stirnlampen, Brecheisen, Sporttaschen, gefüllten Benzinkanistern und einem Handy unmittelbar vor ihrer Abfahrt übergeben.
Fahrzeuge werden für die Taten präpariert
Während des Prozesses wurde deutlich: Die Sprenger standen während ihres Einsatzes per WhatsApp dauerhaft im Austausch mit einem Hintermann, der ihren Standort live verfolgte und Anweisungen wie "Gas anschalten!" durchgab. Die beiden Täter brachen daraufhin in den Supermarkt ein und sprengten den Geldautomaten.
Auf der Flucht verunglückte das Fahrzeug schließlich während einer Verfolgung mit einem Zivilpolizisten. Der Hintermann in den Niederlanden bot an, die Geldautomatensprenger abholen zu lassen, aber die Täter wurden gefasst.
Recherchen von Report Mainz zeigen, dass die Tatfahrzeuge häufig über zweifelhafte Autovermietungen angemietet werden, oft über komplexe Ketten von Vermietern und ein Netzwerk von Strohleuten. Bernhard Südbeck, leitender Staatsanwalt in Osnabrück, erklärt, dass die Täter heutzutage oft angemietete Autos nutzten, anstelle gestohlener Fahrzeuge.
Dies ermögliche es den Geldautomatensprengern, im Auto verbaute Chips, die zur Ortung dienen, zu entfernen. Urteile belegen, dass viele der Fahrzeuge in speziellen Werkstätten in den Niederlanden vor ihrem Einsatz umgerüstet werden.
Rocker-Boss vermietet Autos aus Essen
Den Reportern von Report Mainz ist es gelungen, ein Fahrzeug zu identifizieren, das bei einer Flucht aus Schüttorf in Niedersachsen im Jahr 2020 verwendet wurde. Es handelte sich um einen weißen VW Golf mit Dinslakener Kennzeichen. Ein später verurteilter Mann mietete das Fahrzeug während seines offenen Vollzugs von einer Autovermietung in den Niederlanden an, obwohl es auf eine Autovermietung in Essen zugelassen war.
Der im Handelsregister eingetragene Geschäftsführer der Autovermietung war Ermittlern schon bekannt: Mohammed Mandalawi, der Chef der irakischen Rockergruppe Al Salam 313. Die Behörden ermittelten bereits gegen die Gruppe wegen Drogenhandels und Schleuserkriminalität. Aktuell sitzt Mandalawi in niederländischer Haft, angeklagt wegen versuchten Mordes.
Urteile zeigen jedoch, dass es in Deutschland weitere zweifelhafte Vermietungen gibt, die ihre Autos Geldautomatensprengern zur Verfügung stellen. Für den Polizeigewerkschafter Huth ist dieser Schulterschluss logisch: "Die Täter aus Holland brauchen aus ihrer Sicht integre Autovermieter, bei denen Strafverfolgungsbehörden sich eine blutige Nase holen, wenn sie da nachfragen. Darauf setzen sie und das bekommen sie auch bei der Tätergruppierung: nämlich das Prinzip des Schweigens."