Pfarrer vor Gericht Zeugenbeeinflussung vor Missbrauchsprozess?
Am 13. Februar beginnt vor dem Landgericht Saarbrücken der Prozess gegen einen Pfarrer, der Seelsorger in einer saarländischen Gemeinde war. Report Mainz sprach mit Zeugen. Einer erhebt schwere Vorwürfe gegen das Bistum Trier.
Erste Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen gegen Pfarrer Otmar M. wurden 2006 bekannt. Später bekannt gewordene Verdachtsfälle reichen zurück bis 1982. 2015 wurde der Pfarrer vom zuständigen Bistum Trier beurlaubt. Mindestens sechs Ermittlungsverfahren wurden wegen Verjährung oder mangels hinreichenden Tatverdachts bislang eingestellt. Nun aber muss sich Otmar M. vor dem Landgericht Saarbrücken verantworten. Die Anklage gegen den heute 68-jährigen Pfarrer im Ruhestand lautet auf sexuelle Nötigung eines Minderjährigen.
Verhandelt wird ein Tatvorwurf aus dem Jahr 1997. Pfarrer M. soll den damals 14-jährigen Messdiener zur Übernachtung im Pfarrhaus eingeladen haben. Bei der Gelegenheit soll er durch Gewaltanwendung versucht haben, ihn daran zu hindern, den Raum zu verlassen, teilte die Staatsanwaltschaft Saarbrücken Report Mainz mit. Im weiteren Verlauf soll es zu Berührungen der nackten Haut im Bauch- und Intimbereich gekommen sein. Auf Nachfrage antwortet der Rechtsanwalt von Pfarrer M., sein Mandant werde sich erst vor dem Gericht einlassen. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.
Anruf am Morgen
Nach Recherchen von Report Mainz nahm das Bistum Trier im Vorfeld des Prozesses Kontakt mit einem der Zeugen auf. In einem Interview mit dem ARD-Politikmagazin sagte Oliver B., er sei Opfer des Pfarrers. Das Bistum Trier habe ihn gut zwei Wochen vor Prozessbeginn überraschend angerufen. Sein Telefon habe am Morgen des 27. Januar geklingelt, am Apparat ein Vertreter des Bistums Trier. "Er hat seinen Namen genannt und gesagt, er wolle auf den Antrag auf Anerkennungsleistung zurückkommen, den ich im Jahr 2016 gestellt hatte. In den sechs Jahren zuvor hatte ich gar nichts dazu gehört."
Bei dem Telefonat, so erzählt Oliver B., habe der Vertreter des Bistums Trier von neuen Regelungen bei der Anerkennung gesprochen und ihm eine Geldzahlung in Aussicht gestellt. Dann sei er auf den bevorstehenden Prozess zu sprechen gekommen. Oliver B. erzählt, er habe die Geduld verloren und dem Vertreter des Bistums Zeugenbeeinflussung vorgeworfen. "Zu suggerieren, du bekommst Geld und dann im nächsten Moment den Prozess anzusprechen - das ist doch klar, was hier läuft."
Auf Nachfrage von Report Mainz, ob das Telefonat am 27. Januar stattfand, wich das Bistum Trier aus: Der Betroffene habe im Januar 2017 eine E-Mail auf seinen Antrag hin erhalten. Über weitere Kontakte könne das Bistum "keine Auskunft geben". Den Vorwurf der Zeugenbeeinflussung wird "ausdrücklich" zurückgewiesen.
Ausschweifende Runden mit Pfarrer
Die Schilderungen von Oliver B. über den Umgang von Pfarrer M. mit Minderjährigen sind dem Bistum Trier gut bekannt. 2016 und 2017 machte der ehemalige Messdiener von Pfarrer M. dort umfangreiche Aussagen. Das Protokoll aus 2017 liegt Report Mainz vor. Darin erzählt Oliver B., es habe ausschweifende Runden mit dem Pfarrer gegeben, bei denen reichlich Alkohol geflossen sei. Auch ihm sei Alkohol eingeschenkt worden als er erst 14 Jahre alt gewesen sei. "Wir haben da immer ordentlich einen gezogen. Im Kühlschrank war immer Alkohol."
Er berichtet, wie Pfarrer M. ihn mit einer kleinen Gruppe von Ministranten auf Urlaubsreise nach Rom genommen habe. "Ich kann mich noch daran erinnern, dass ein bestimmter Messdiener nachts bei Pfarrer M. alleine auf dem Zimmer war. Manchmal Übernacht, manchmal kam er nachts auf unser Zimmer zurück. Dabei hat er immer geweint." Er habe damals gedacht, er habe Heimweh. Erst später, als Missbrauchsvorwürfe gegen Otmar M. bekannt wurden, habe er die Erfahrungen aus Rom anders bewertet. Das Bistum Trier bestätigte Report Mainz, es habe den Fall von Oliver B. dem Vatikan, aber nicht der Staatsanwaltschaft, gemeldet.
Etwa fünf Jahre nach der ersten Reise nach Rom habe Oliver B. selbst einen Übergriff durch Pfarrer M. erlebt. Damals war er 18 oder 19 Jahre alt und noch Messdiener. Nach dem Gottesdienst habe man mal wieder in geselliger Runde gesessen. Der Pfarrer habe ihm zuerst Bier und Wein eingeschenkt, dann auch Schnaps. Später saßen sie alleine am Küchentisch im Pfarrhaus. "Der Pfarrer hat sich ganz nah an mich ran gesetzt und fing an, meine Beine zu berühren. Plötzlich hat er richtig in mein Bein gegriffen." Oliver B. sei aufgesprungen. Da sei der Pfarrer ihm auf der Treppe gefolgt, habe ihn umarmt und seine Hände auf seine nackte Haut gelegen.
Wochenenden im Schwarzwald
Die Schilderung von Oliver B. ähnelt den Aussagen von Manuel K. Auch er sagt, er sei als Ministrant von Otmar M. missbraucht worden. Sein Leben habe sich während eines Wochenendausflugs mit Pfarrer M. im Schwarzwald schlagartig geändert. Es sei Fastnacht gewesen und sie hätten viel Bier getrunken. Plötzlich habe Pfarrer M. neben ihm auf seinem Bett gesessen. Dann habe er begonnen, ihn zu streicheln, auch im Intimbereich.
Manuel K. habe sich völlig aus der Bahn geworfen gefühlt. Jahre später habe er sich daran wieder erinnert und 2018 Anzeige erstattet. Die Ermittlungen werden im Januar 2021 mangels "möglichen Tatnachweises" eingestellt. Seine Reaktion: "Ich war wütend! Mein Vertrauen in Kirche und Justiz ist gebrochen."
Im Umgang mit dem Fall Otmar M. räumte das Bistum Trier in der Vergangenheit Fehler ein. Nachdem das Bistum von der Justiz 2006 über Missbrauchsvorwürfe informiert wurde, durfte Pfarrer M. weitere neun Jahre predigen. Bis 2015 hatte er - kirchlich sanktioniert - weiterhin Kontakt zu Minderjährigen in seiner Gemeinde. 2017 meldet das Bistum Trier die anhaltenden Vorwürfe gegen Otmar M. nach Rom. Dort ordnete die Glaubenskongregation ein kirchenrechtliches Strafverferfahren an. Fünf Jahre später ist diese noch anhängig.
Der Fall, der jetzt vor dem Landgericht Saarbrücken verhandelt wird, ist im Zuge des kirchenrechtlichen Verfahrens bekannt geworden. Nach neuen Missbrauchsvorwürfen gegen Pfarrer M. erstattete das Bistum Trier bei der Staatsanwaltschaft Anzeige.
Bistum legte Akten nicht vor
Warum kommt es erst 17 Jahre nach der ersten Meldung eines Betroffenen zur Anklage? Recherchen von Report Mainz belegen nun, dass in vier Ermittlungsverfahren gegen Pfarrer M. im Zeitraum von 2015 bis 2019 Akten der Kirche nicht in die Ermittlungen einflossen. In einer Stellungnahme bestätigt die Staatsanwaltschaft Saarbrücken, aus den Ermittlungsakten ergebe sich nicht, "dass Akten seitens des Bistums zur Verfügung gestellt oder seitens der Staatsanwaltschaft angefordert wurden". Auf die Frage, warum die Staatsanwaltschaft keine Akten angefordert habe, heißt es: "Die Ermittlungsakten enthielten keine Hinweise darauf, dass sich im Besitz des Bistums Trier Akten befanden, die sachdienliche Informationen über hiesige Sachverhalte beinhalteten.“
Doch schon 2016 wurde durch einen Medienbericht bekannt, dass das Bistum Trier eine Nebenakte zu Pfarrer M. im Geheimarchiv des Bischofs führt. "Eine einfache Suche im Internet hätte die Staatsanwaltschaft auf Presseberichte bringen müssen darüber, dass das Bistum Trier sehr wohl Erkenntnisse zu Missbrauchsvorwürfe gegen Pfarrer M. in einer Nebenakte geführt hat", sagt Norbert Lüdecke, der lange Kirchenrecht an der Universität Bonn lehrte. Er zeigte sich von der Aussage der Staatsanwaltschaft überrascht.
"Eindruck einer gewissen Kungelei"
Das Bistum Trier lehnt die Beantwortung von Fragen zur Bereitstellung von Akten im Fall von Manuel K. ab, weist stattdessen auf eine Pressemitteilung vom April 2021 hin. Darin heißt es: "Das Bistum Trier hat mit der zuständigen Staatsanwaltschaft eng zusammengearbeitet und alle angeforderten Akten übermittelt." Doch die Aussage bezieht sich nur auf Vorwürfe, die bis 2017 erhoben wurden.
Lüdecke wertet den fehlenden Austausch zwischen Kirche und Justiz in den vorliegenden Fällen kritisch. "Es wäre Aufgabe der Justizbehörden gewesen, bei der Kirche nachzufragen, was habt ihr an Informationen? Und nach den Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz aus 2010 wäre es die Pflicht des Bistums Trier gewesen, alle Anhaltspunkte an die Justizbehörden weiterzuleiten. Die Tatsache, dass in vier Ermittlungsverfahren beides nicht geschehen ist, erweckt den Eindruck einer gewissen Kungelei zwischen Justiz und katholischer Kirche und einer Beißhemmung in Kirchensachen auf Seiten des Staates."
Manuel K. macht den Verantwortlichen im Bistum Trier schwere Vorwürfe und ist überzeugt: Sein Fall hätte vermieden werden können. Wie Oliver B. ist auch er als Zeuge vor dem Landgericht Saarbrücken geladen. Manuel K. hofft, neue Erkenntnisse aus dem Prozess könnten dazu führen, dass sein eigenes Verfahren wieder aufgerollt wird.
Anmerkung der Redaktion: In einer Erstfassung hieß es, die Glaubenskongregation hätte eine kirchenrechtliche Untersuchung angeordnet. Tatsächlich ordnete die Glaubenskongregation ein kirchenrechtliches Strafverfahren an.