Sparkassen in Deutschland Experten kritisieren Filialabbau
Bundesweit schließen Sparkassen Filialen, bauen Geldautomaten ab, ziehen sich aus der Fläche zurück. Experten stellen im Interview mit Report Mainz in Frage, ob die Geldhäuser ihrem gesetzlichen Auftrag noch gerecht werden.
Sparkassen wurden gegründet, um allen Menschen die Versorgung mit geld- und kreditwirtschaftlichen Leistungen zu ermöglichen, regionale Unternehmen zu unterstützen und den Sparsinn der Bevölkerung zu fördern. Im Vordergrund steht dabei - im Gegensatz zu anderen Banken - nicht die Maximierung des Gewinns, sondern vielmehr die Stärkung der Region, in deren kommunaler Trägerschaft die meisten Sparkassen stehen.
Im Interview mit Report Mainz stellen Finanzexperten nun in Frage, ob alle Sparkassen ihrem unter anderem in Landessparkassengesetzen verankerten öffentlichen Auftrag noch gerecht werden.
Astheim in Hessen und Bliesmengen-Bolchen im Saarland - nur zwei Orte in Deutschland, in denen sich Anwohner aktuell mit Sparmaßnahmen der Sparkassen konfrontiert sehen. Boten ihnen dort immerhin noch Automaten die Möglichkeit, Geld abzuheben, Überweisungen zu tätigen oder Kontoauszüge auszudrucken, müssen sie nun deutlich weitere Wege in Kauf nehmen, um zur nächsten Sparkasse zu kommen. Teils kilometerweite Strecken über Land - für Menschen ohne Auto oft nicht mehr zu bewerkstelligen.
Abbau in ländlichen Regionen
Besonders drastisch sind die Pläne der Sparkasse im Landkreis Göttingen. Dort sollen im Sommer fünf Filialen und 16 Automaten-Standorte verschwinden, einer davon in Klein Lengden in der Gemeinde Gleichen. Ortsbürgermeister Klaus-Werner Hanelt zeigt sich im Interview mit Report Mainz erschüttert: In der Gemeinde Gleichen gäbe es nach dem im Sommer geplanten Abbau für zehn Ortschaften nur noch einen Geldautomaten der Sparkasse - verteilt über eine Fläche größer als die Stadt Göttingen.
In Astheim in Hessen ist der letzte Geldautomat schon seit Anfang des Jahres weg. Einen Supermarkt, bei dem man beim Einkauf auch Geld abheben kann, gibt es in dem knapp 3000 Einwohner zählenden Örtchen ebenfalls nicht. Aus diesem Grund bot der Bürgermeister nach eigenen Angaben der örtlichen Kreissparkasse Groß-Gerau an, einen Geldautomaten am Bürgerhaus aufzustellen - mietfrei, wenn nötig sogar mit einem Zuschuss.
Sparkasse schlug Angebot aus
Doch die Sparkasse lehnte ab und schlug in einem Antwortschreiben, das Report Mainz vorliegt, vor, das angebotene Geld könne doch für Taxi-Gutscheine zur nächsten Filiale verwendet werden. Bürgermeister Jochen Engel sagt dazu im Interview mit dem ARD-Politikmagazin, er habe das Schreiben als "blanken Hohn" empfunden.
Die Sparkasse Groß-Gerau ließ eine Anfrage von Report Mainz unbeantwortet. Der Chef des Verwaltungsrats, der Groß-Gerauer Landrat Thomas Will (SPD) erklärte, die Bank biete den Bürgern einen kostenfreien Bürgerservice an, um Geld vorbei zu bringen. Auch die Sparkasse Göttingen bietet das nach eigenen Angaben an.
Dachverband: "Öffnen jeden Tag Online-Filialen"
Was die betroffenen Anwohner zusätzlich ärgert: Während die örtliche Kreissparkasse den Abbau ihres Geldautomaten in einem Schreiben mit "wirtschaftlichen Gesichtspunkten" begründete, verkündete sie gleichzeitig jährlich weiter steigende Gewinne. Auf fast 40 Millionen Euro für 2021, im vergangenen Jahr waren es laut den vorläufigen Zahlen rund 43 Millionen Euro.
Bundesweit haben die Sparkassen zwischen 2000 und 2021 rund 9100 Zweigstellen geschlossen, heute gibt es laut den Zahlen der Bundesbank noch 7732. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor.
Auf Nachfrage beim bundesweiten Sparkassen- und Giroverband, warum viele Sparkassen Filialen schließen, weicht der Leiter der Kommunikationsabteilung, Christian Achilles, aus. Im Interview mit Report Mainz betont er mehrfach, die Sparkassen seien von allen Kreditinstituten mit den meisten Filialen vertreten, "mehr als Aldi und Lidl zusammen". Weiter sagt er: "Wir schließen nicht, sondern wir eröffnen jeden Tag Online-Filialen", 24 Millionen seien es aktuell insgesamt. Insgesamt hat die Sparkassen-Finanzgruppe nach eigenen Angaben 50 Millionen Kunden.
Wertpapiere statt Krediten
Gerhard Schick vom Verein Bürgerbewegung Finanzwende kritisiert den Rückzug der Sparkassen im Interview mit dem ARD-Politikmagazin: Die Sparkassen hätten ihre Existenzberechtigung nur, wenn sie ihren öffentlichen Auftrag erfüllten. "Und der heißt halt, gerade in der Region, in der Fläche wirklich präsent zu sein." Zwar könne man nicht "an jedem Baum einen Geldautomaten aufstellen". Aber "mit den politischen Verantwortlichen vor Ort eine gute Lösung zu finden, das halte ich für einen Auftrag der Sparkasse."
Auch Ralf Jasny, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Finanzdienstleistungen an der Frankfurt University of Applied Sciences, blickt hinsichtlich des öffentlichen Auftrags kritisch auf aktuelle Entwicklungen bei vielen Sparkassen. "Es ist der bequemste Weg, den ich gehen kann als Bankmanager, wenn ich einfach alles zumache, was irgendwie nicht profitabel ist."
Lieber Wertpapiergeschäfte statt Kredite
Vergangenes Jahr untersuchte Jasny zudem die Geschäftsberichte aller Sparkassen aus dem Jahr 2020. Der Finanz- und Wirtschaftsprofessor kam zu dem Schluss: Jede fünfte Sparkasse investierte mehr als 30 Prozent ihres Geldes in festverzinsliche Wertpapiere und Aktien, einige sogar mehr als 50 Prozent - aus seiner Sicht ein Alarmsignal. "Die Sparkasse funktioniert so: Der Sparer bringt Geld zur Sparkasse, die Sparkasse nimmt das Geld und reicht es an Krediten wieder aus."
Weil das Kreditgeschäft jedoch "mühsam und anstrengend" sei, wichen seiner Ansicht nach einige Sparkassen auf die Anlage des Geldes in Anleihen und Aktien aus. Während die einen Sparkassen ihren Auftrag aus seiner Sicht vollumfänglich erfüllten, hätten sich etwa 15 Prozent aller Sparkassen sehr stark dem Wertpapiergeschäft verschrieben. Wenn dieser Anlagenbestand "fünf oder sieben Prozent der Bilanzsumme" übersteige, halte er das für "sehr kritikwürdig." Dies entspreche nicht dem öffentlichen Auftrag.
Sparkassen bei Guthabenzinsen oft geizig
Und ein weiterer Aspekt lässt Experten wie Schick vom Verein Bürgerbewegung Finanzwende und Kunden der Sparkassen aktuell Fragezeichen hinter die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags setzen. Hob die Europäische Zentralbank den Leitzins aufgrund der Inflation seit Juli bereits mehrfach an, können Sparkassenkunden in vielen Fällen noch nicht davon profitieren.
Einer aktuellen Auswertung des Vergleichsportals Verivox zufolge zahlten noch immer knapp ein Drittel der Sparkassen am 21. März 2023 auf Tagesgeldkonten keine Zinsen - anders als viele Privatbanken. Auf Nachfrage antwortet Achilles vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband im Interview mit Report Mainz, Tagesgeldkonten seien ohnehin "keine sinnvolle Anlagestrategie".
Initiative: Gemeinwohlauftrag stärker durchsetzen
Experte Schick zweifelt im Interview mit Report Mainz, ob das Gemeinwohl und damit auch der öffentliche Auftrag vollumfänglich erfüllt ist. "Ich erwarte von den Landesgesetzgebern, dass sie den Gemeinwohlauftrag bei den Sparkassen stärker durchsetzen im Sinne von: Das steht nicht nur oben drauf, sondern die Sparkasse muss auch Rechenschaft ablegen dafür, sodass die Öffentlichkeit den Unterschied wirklich wahrnehmen kann."
Dieses und weitere Themen sehen Sie am Dienstag, den 28. März bei Report Mainz im Ersten.