Diskriminierung in Bundeswehr Keine bunte Truppe
Frauen und Menschen mit Behinderung sind in der Bundeswehr in erhöhtem Maße Diskriminierung ausgesetzt. Nach wie vor herrschen geschlechterspezifische Vorurteile, wie eine unveröffentlichte interne Studie zeigt, die dem SWR vorliegt.
Seit die allgemeine Wehrpflicht 2011 ausgesetzt wurde, hat die Bundeswehr Nachwuchsprobleme. Sie steht unter Druck, als Arbeitgeber attraktiver zu werden, kämpft gegen die Personalnot. Sie muss sich zunehmend der Herausforderung stellen, als Parlamentsarmee auch eine offene und vielfältige Gesellschaft abzubilden. Mit Werbevideos, Webserien und Plakaten präsentiert sich die Bundeswehr als "bunte Truppe", die Diversität und Vielfalt lebt.
Auch bei öffentlichen Veranstaltungen wirbt sie so für sich: In der Bundeswehr gebe es weniger Diskriminierung als im Rest der Gesellschaft, sagt etwa Oberst Hans Martin Gieseler, Kommandeur des Spezialpionierregiments 164, einem Vollbild-Reporter bei einem feierlichen Gelöbnis in Husum: "Ich würde sagen, es ist weniger, es ist tatsächlich weniger. Das funktioniert auch besser als in anderen Organisationen." Im Jahr 2022 hisste die damalige Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht sogar die Regenbogenflagge vor dem Verteidigungsministerium.
Laut Kommandeur Gieseler gibt es in der Bundeswehr gebe es weniger Diskriminierung als im Rest der Gesellschaft.
Doch Recherchen des SWR-Investigativformats Vollbild zeigen nun, dass die Bundeswehr bei weitem nicht so bunt ist, wie sie sich gern nach außen gibt. Bestimmte Gruppen in der Bundeswehr erfahren laut der für den internen Dienstgebrauch 2020 erstellten Studie "Bunt in der Bundeswehr - Ein Barometer zur Vielfalt", ein höheres Maß an Diskriminierung und Benachteiligung, als dies im bundesweiten Arbeitskontext der Fall ist. Die bislang unveröffentlichte Studie liegt Vollbild vor. Sie liefert erstmals repräsentative Daten zu Vielfalt und Inklusion in der Bundeswehr.
Höheres Diskriminierungsrisiko von Frauen und Menschen mit Behinderung
Besonders Frauen sind laut der Studie von Diskriminierung betroffen: 21,1 Prozent der in der Bundeswehr beschäftigten befragten Frauen gaben danach an, innerhalb der vergangenen zwei Jahre mindestens einmal aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert worden zu sein. Die Angabe ist laut Studie fast dreimal so hoch wie das Diskriminierungsrisiko von Frauen im bundesweiten Arbeitskontext, das die Studie mit 7,3 Prozent angibt. Die Vergleichswerte in der Studie basieren auf Erhebungen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Dass Diskriminierung von Frauen in der Bundeswehr immer noch häufig im Alltag vorkommt, zeigen auch weitere Recherchen von Vollbild innerhalb der Truppe: Soldatinnen berichten im Interview von Fällen übergriffigen Verhaltens und von Benachteiligung, die teilweise auch noch von Vorgesetzten gedeckt worden seien. Konfrontiert mit den Vorwürfen ging die Bundeswehr auf konkrete Fälle nicht ein. Schriftlich antwortete sie, dass "jede Form sexueller Übergriffe" geahndet und "jedem Verdachtsfall ernsthaft und gründlich nachgegangen" werde.
Ein ebenfalls im Vergleich erhöhtes Diskriminierungsrisiko erfahren Beschäftigte mit Behinderung oder Beeinträchtigung in der Bundeswehr: Sie sind laut Studie am häufigsten von Benachteiligung betroffen. 24 Prozent gaben in der Untersuchung an, in den vergangenen zwei Jahren diskriminiert worden zu sein. Der Wert ist mehr als doppelt so hoch wie der bundesdurchschnittliche Vergleichswert, der laut Studie bei 11,9 Prozent liegt.
Nicht-heterosexuelle Soldatinnen und Soldaten betroffen
Ein leicht verringertes Diskriminierungsrisiko gegenüber der bundesdeutschen Alltagsnorm ergab die Studie hingegen für nicht-heterosexuelle Soldatinnen und Soldaten. Hier gaben 12,1 Prozent der Befragten an, diskriminiert worden zu sein, im Vergleich zu durchschnittlich 13,5 Prozent bei anderen Arbeitgebern.
Dass es trotzdem immer wieder zu sexualisierten und queerfeindlichen Übergriffen in der Bundeswehr kommt, zeigen dokumentierte Fälle in den jährlichen Berichten der Wehrbeauftragten des Bundestags, aber auch Gespräche der Vollbild-Autoren mit betroffenen Soldatinnen und Soldaten. Dabei sei sowohl unter gleichrangigen Kameradinnen und Kameraden als auch von Vorgesetzten gegenüber ihren Untergebenen entsprechendes Fehlverhalten festzustellen.
Im Gespräch berichten Betroffene von sexualisierten und queerfeindlichen Übergriffen in der Bundeswehr.
Die Studie erkennt zudem Handlungsbedarf für die Gruppe der diversen Bundeswehrangehörigen. Hier gebe es vor allem Probleme bei den psychosozialen Faktoren der Arbeit. Sie berichteten in "starkem Maß" von schlechteren Entwicklungsmöglichkeiten im Vergleich zu Frauen und Männern in der Bundeswehr.
Die Studie weist zudem kritisch auf vorherrschende Geschlechterstereotype hin: Viele Menschen in der Bundeswehr hätten nach wie vor mit Vorurteilen zu kämpfen. Knapp 83 Prozent aller bisexuellen Bundeswehrangehörigen sprechen laut Studie mit niemandem oder nur wenigen offen über ihre Sexualität.
Zögerliche Veröffentlichung der Ergebnisse
Bisher hielt die Bundeswehr die Untersuchung unter Verschluss. Nach Informationen von Vollbild wurde die Studie 2019 durchgeführt, 2020 fertiggestellt und als "VS - nur für den Dienstgebrauch" eingestuft. Bereits 2020 wollte die FDP in einer kleinen Anfrage wissen, wann die Studie veröffentlicht werde. Die Bundeswehr versprach zunächst, dies noch im selben Jahr zu tun.
Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) kritisierte die ausgebliebene Veröffentlichung in ihrem Jahresbericht für 2020 als "bedauerlich" und in ihrem Jahresbericht 2021, die Studie sei aus "nicht nachvollziehbaren Gründen unveröffentlicht" geblieben. Im Jahr 2021 antwortete die Bundeswehr der Plattform "Frag den Staat", die eine Veröffentlichung mithilfe des Informationsfreiheitsgesetzes erwirken wollte: "Die Studie befindet sich derzeit noch in der Erstellung und wurde durch Frau Bundesministerin noch nicht gebilligt."
Zunächst nur einzelne Daten
2022 gab das Verteidigungsministerium eine 35-seitige Broschüre mit dem Titel "Vielfalt und Inklusion in der Bundeswehr" heraus. Diese enthielt zwar ausgewählte Ergebnisse der 111-seitigen Studie und führt auch einige zentrale Zahlen wie jene zum Diskriminierungsrisiko auf, jedoch meist ohne die für eine differenzierte Analyse notwendigen Vergleichszahlen.
Man habe darin auf die Gegenüberstellung von Prozentzahlen verzichtet, um "Fehlinterpretationen vorzubeugen", antwortete die Bundeswehr auf Anfrage. Das Diskriminierungsrisiko für Frauen und Menschen mit Behinderung oder Beeinträchtigung sei nur "gering erhöht". Dies bedeute gleichwohl, dass es einen "statistisch signifikanten Unterschied gibt, der eine Beachtung verdient".
Wehrbeauftragte sieht Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Wehrbeauftragte Högl fordert nun die Bundeswehr zum Handeln auf: "Wünschenswert wäre im Hinblick auf mehr Transparenz, die ganze Studie zu veröffentlichen", erklärte sie auf Anfrage von Vollbild. Bereits 2012 habe die Bundeswehr die "Charta der Vielfalt" unterzeichnet und sich dazu bekannt, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das von Offenheit, Wertschätzung und Gleichberechtigung geprägt sei.
Die Wehrbeauftragte Högl plädiert für eine vollständige Veröffentlichung der Studie.
"Doch zwischen Anspruch und Wirklichkeit besteht noch eine Lücke. Auch wenn die Studie der Bundeswehr ein faires und gutes Inklusionsklima bescheinigt, ist noch nicht alles gut", so Högl. Sie fordert daher: "Die Ergebnisse der Studie müssen ein Auftrag sein, weitere Maßnahmen, Anstrengungen, Projekte und Initiativen auf den Weg zu bringen, damit das Bunte in der Bundeswehr immer selbstverständlicher wird."
In der vom Verteidigungsministerium veröffentlichten Broschüre, aber auch im Gesamtfazit der Studie heißt es, in der Bundeswehr herrsche insgesamt ein gutes und positives Inklusionsklima. Die nähere Betrachtung der Zahlen, aber auch die Wehrberichte sowie die Vollbild-Recherchen bei Bundeswehrangehörigen zeigen jedoch: Frauen und Menschen mit Behinderung sind dort immer noch in erhöhtem Maße Diskriminierung ausgesetzt. Nach wie vor herrschen geschlechterspezifische Vorurteile, und auch bei den diversen Bundeswehr-Angehörigen besteht offenbar Handlungsbedarf.