Christchurch-Anschlag Steam-Nutzer glorifizieren Attentäter
Bis heute wird der Attentäter von Christchurch auf der Plattform Steam für seine Tat gefeiert. Zudem verbreiten Nutzer dort ungehindert rassistische Propaganda. Experten warnen, Hass werde normalisiert.
Der Attentäter von Christchurch will vor der Urteilsverkündung nicht mehr selbst das Wort ergreifen. Ursprünglich hatte der 29-jährige Rechtsextremist aus Australien angekündigt, sich selbst vertreten zu wollen. Es hatte Befürchtungen gegeben, der Angeklagte könnte den Gerichtssaal als Plattform zur Verbreitung seiner rechtsextremistischen Ansichten nutzen.
Allerdings hat der Terrorist längst eine treue Anhängerschaft im Netz - und wird bis heute offen glorifiziert, wie Recherchen von tagesschau.de zeigen. Auf der Plattform Steam steht ein Profil online, das dem fanatischen Rechtsextremisten zugerechnet wird. In seinem Gästebuch laufen bis heute Kommentare ein, die den Anschlag mit 51 Todesopfern feiern und den Attentäter als Helden bezeichnen.
Der Attentäter von Christchurch wird als Held gefeiert.
Er sei eine absolute Legende, ein Held, heißt es dort beispielsweise. Andere Nutzer posteten das Bild einer Schnellfeuerwaffe oder den Code "88", der für Heil Hitler steht. Die Kommentare werden erst nach einer Prüfung freigeschaltet.
Mehr als eine Milliarde Konten
Über die Plattform Steam werden Spiele, Filme und Software vertrieben. Nach Angaben der Betreiberfirma Valve durchbrach Steam 2019 die Zahl von einer Milliarde Konten. Täglich nutzen Millionen Menschen die Plattform, die vor allem bei Gamern populär ist. Die Nutzerinnen und Nutzer können sich in Gruppen organisieren und sich über Profile darstellen.
In verschiedenen Konten finden sich offene rechtsextreme und rassistische Inhalte. Nutzerinnen und Nutzer benennen sich nach Nazi-Kriegsverbrechern oder nutzen antisemitische Namen wie "JewKiller". Viele Profile weisen Bezüge zu dem Anschlag von Neuseeland auf. So hatte der Attentäter von Christchurch auf einer Waffen "Kebab Remover" geschrieben. Dieser Begriff wurde Anfang der 1990er-Jahren von serbischen Nationalisten als Propaganda gegen Muslime geprägt, um Massenmorde und Kriegsverbrechen zu relativieren sowie Opfer zu verhöhnen.
Steam-User können sich in Gruppen zusammenschließen.
Rassistische Anleitung - nur Spaß?
Dieser Begriff hat sich in Neonazi-Kreisen zu einem populären Internet-Meme entwickelt. Eine Recherche zeigt, dass sich mehr als 1600 Konten bei Steam als "Kebab Remover" oder ähnlich benennen, darunter sind diverse Konten aus Serbien, Russland, aber auch Großbritannien und Deutschland, die weitere rechtsextreme Motive, Parolen und Codes benutzen.
Auch eine Anleitung zum "Entfernen" von "Kebabs" - als rassistische Bezeichnung für Muslime - wird auf Steam verbreitet. Angeblich handelt es sich dabei um eine Satire. Dies sei eine gängige Praxis, sagt der Kulturwissenschaftler Christian Huberts, der sich seit Jahren mit Gaming-Kultur und Radikalisierung beschäftigt. Im Gespräch mit tagesschau.de betont er, rechtsextreme Ideologie werde als "Spaß" verkauft. Dahinter stecke eine gezielte Strategie, die in Handbüchern der amerikanischen Alt-Right-Bewegung sowie der Neuen Rechten in Europa beschrieben wird.
"Normalisierung"
Was Spaß und was Ernst sei, lasse sich kaum noch unterscheiden, führt Huberts aus. Es gebe "keinen Konsens mehr über Grenzen des Sprechens". Durch lancierte Begriffe wie "Social Justice Warrior" - in etwa "Gutmensch" - hätten es rechte Aktivisten geschafft, "sich selbst als offen, tolerant und subversiv zu vermarkten, während Gegenrede als Verbohrtheit und Humorlosigkeit" erscheine.
Bei rechtsextreme Symbolen, Codes sowie der Glorifizierung von Terroristen "verschwimmen oft die Grenzen zwischen den Wenigen, die es ernst meinen, und jenen, die für mehr soziale Resonanz provozieren, trollen und triggern". Problematisch daran sei, warnt Huberts, "dass so langfristig Formen menschenverachtender Sprache und Symbole zur Normalität werden". Dazu zählen auch extrem sexistische Inhalte.
Terroristisches Referenzsystem
Die Glorifizierung des Christchurch-Attentäters hat längst handfeste Konsequenzen gezeigt: Verschiedene Terroristen bezogen sich bei ihren Anschlägen auf den Australier. Ein internationales rechtsextremes Referenzsystem des Terrors ist entstanden. Beim Prozess zu dem Anschlag in Halle werden derzeit ebenfalls die Online-Aktivitäten des Täters beleuchtet; auch dieser Attentäter war auf Steam sehr aktiv. Allerdings konnten nicht alle seine Kontakte dort ermittelt werden.
Terorverdacht in Hildesheim
Möglicherweise gibt es weitere Fälle: Seit Anfang Juni sitzt ein 21 Jahre alter Mann aus Hildesheim in Untersuchungshaft. Er soll in einem Chat einen Anschlag angekündigt haben. Laut Generalstaatsanwaltschaft in Celle hat sich der Hildesheimer bereits seit Längerem mit der Idee beschäftigt, so weltweite mediale Aufmerksamkeit zu erregen. Der Mann hatte in dem Chat auch den Attentäter von Christchurch erwähnt. Der Hildesheimer habe angekündigt, ähnlich handeln zu wollen; sein Ziel sei es, Muslime zu töten.
Auf Anfrage von tagesschau.de teilte die Zentralstelle Terrorismusbekämpfung der Generalstaatsanwaltschaft in Celle mit, der Beschuldigte befinde sich weiterhin in Untersuchungshaft. Die Ermittlungen würden "mit Hochdruck" betrieben, so dass mit ihrem Abschluss zeitnah zu rechnen sei.
Gamification des Terrors
Anschläge in Christchurch, El Paso, München, Halle, Hanau und weiteren Städten: Eine neue Generation von rechtsextremen Attentätern ist herangewachsen, die den Terror als Game inszenieren. Viele radikalisieren sich online, weil sie sich dort mit Gleichgesinnten austauschen können und sich in einer Umgebung bewegen, in der menschenverachtende Inhalte normal sind - unter anderem auf Steam.
Die Betreiberfirma Valve reagierte bislang nicht auf eine Anfrage von tagesschau.de zu der rechtsextremen Propaganda auf der Plattform sowie der Verherrlichung des Christchurch-Attentäters. Die Kommentare, die ihn als Helden feiern, stehen weiterhin online - und ständig kommen neue dazu. Auch die vermeintlich satirische Anleitung "Kebab Removal", in der verschiedene Waffen für Anschläge empfohlen wird, ist weiterhin frei zugänglich und wird über Steam verbreitet.