Ein Mann steht in einer großen Halle mit Hühnern.
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Italienischer Geflügelmastbetrieb Gravierende Tierrechtsverstöße

Stand: 15.02.2022 16:34 Uhr

Aufnahmen aus italienischem Geflügelkonzern belegen massive Tierquälereien. Das Fleisch wird auch in deutschen Supermärkten verkauft - teilweise sogar unter dem Tierwohllabel "Kategorie 2".

Von Edgar Verheyen, SWR

Es sind brutale Bilder, die international für Aufsehen sorgen: Tierrechtler der italienischen Bewegung "Equalia", einer Partnerorganisation der deutschen "SOKO Tierschutz", ist es gelungen, auf einer Farm des größten italienischen Geflügelproduzenten "AIA" bei Verona zu filmen.

Auf den Bildern ist zunächst nur ein Meer von weißen Masthähnchen zu sehen. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass zwischen den lebenden Tieren viele tot, plattgetreten auf der Einstreu vergammeln. Hähnchen fressen die Toten auf, bepicken sich auch gegenseitig. Eine Form von Kannibalismus. Andere können nicht mehr richtig stehen, kippen um, können nicht mehr laufen. Jüngere Tiere sitzen festgeklemmt tot neben den Futtertrögen. Und dann gibt es da auch einen Mitarbeiter, der immer wieder verletzten Tieren den Hals umdreht. In einem Korb kämpfen sie anschließend noch eine Weile ums Überleben, ehe sie nach Minuten dann endlich verendet sind.

Ein junges Huhn liegt in einem Futterbehälter.

Ein junges Huhn in einem Futterbehälter

Friedrich Mülln von "SOKO Tierschutz" hat dem SWR die Aufnahmen zukommen lassen. Für ihn sind die hier dokumentierten Zustände keine Überraschung. "Hühnerfleisch aus Massentierhaltung ist ein Produkt aus Tierquälerei, egal ob aus Deutschland oder Italien. Offenbar denkt manche Supermarktkonzern, man könne mit dem guten Image Italiens und seiner Küche vom Leiden der Masthühner ablenken", so Mülln.

Imagekampagne läuft ins Leere

In der Tat sind die Aufnahmen insofern eine Überraschung, versucht sich der Geflügelkonzern "AIA" doch mit einem absolut positiven Image, einem italienischen Dolce-Vita-Lebensgefühl zu verkaufen. So schreibt das Unternehmen auf seiner Homepage:

Komm rein in die größte Küche Italiens. Von Anbeginn ist dieser Name gleichbedeutend mit hochwertigem und gesundem, bekömmlichem Geflügelfleisch. Unsere Sorgfalt bei jedem Detail veranlasst uns zu Kontrollen über alle Stufen der Produktionskette - von der Herstellung auf den Tisch. Wir sind die erste integrierte Lieferkette in Italien. Jeder Schritt des Produktionsprozesses wird kontrolliert, ist sicher, bis zur Verpackung.

"Üblicher Wahnsinn in der Geflügelbranche"

Die baden-württembergische Tierschutzbeauftragte Julia Stubenbord bezeichnet die dokumentierten Zustände gegenüber dem SWR als den "üblichen Wahnsinn in der Geflügelbranche". Der Brustmuskel sei durch das schnelle Wachstum in nur 30-35 Tagen zur Schlachtreife zu groß. Systembedingt komme es daher zu Haltungsschäden und Verhaltensstörungen bei den Tieren.

Zu beobachten sei ein Kannibalismus auch unter jungen Tieren. Etliche seien sehr stark verletzt, wiesen großflächige Wunden auf. Verletzte Tiere müssten zwingend abgesondert werden. Dies sei hier nicht zu erkennen. Tote Tiere müssten auch täglich entfernt werden. Mitarbeiter sollten auch täglich durchgehen, um verletze Hähnchen zu separieren und tote rauszunehmen. Die Bilder zeigten jedoch, dass dies nur unzureichend geschehe.

Die Aufnahmen zeigten darüber hinaus, dass Tiere notgetötet würden. Allerdings würde ihnen bei vollem Bewusstsein einfach der Hals umgedreht. Nach den europäischen Tierschutzstandards müsste eine solche Nottötung jedoch per Kopfschlag erfolgen. Insofern seien die festgestellten Missstände als rechtswidrig zu bezeichnen.

Eine große Halle mit Hühnern

"Der übliche Wahnsinn": Die Halle mit Hühnern des italienischen Konzerns.

Alles nur ein Einzelfall?

Der SWR hat mit den Aufnahmen auch den italienischen Geflügelkonzern konfrontiert. Die Antwort: "Sollte sich (…) herausstellen, dass der im Video aufgezeichnete Landwirt ein Zulieferer unserer Lieferkette ist, werden wir umgehend die gebotenen Maßnahmen ergreifen, da derartige Vorgehensweise in unserer Lieferkette inakzeptabel sind und keinen Platz finden dürfen."

Hähnchenfleisch-Produkte des Konzerns werden auch über deutsche Supermarktketten angeboten. "Real", "Penny", "Rewe" und "Edeka", haben die Ware im Sortiment. Teilweise wird sie sogar unter dem Tierwohllabel "Kategorie 2" verkauft. Der SWR hat deshalb die Aufnahmen den Lebensmittelunternehmen vorgelegt und sie zu einer Stellungnahme aufgefordert.

Supermarktketten zeigen sich betroffen

Die Rewe Group schreibt dazu:

…die Bilder in dem geteilten Video sind schockierend und inakzeptabel, wir nehmen die Vorwürfe sehr ernst. Die REWE Group toleriert grundsätzlich keine Verstöße gegen den Tierschutz, ganz gleich, ob diese von einem Lieferanten oder einer von ihm beauftragten Firma begangen wurden. Die in dem Video gezeigten Vorkommnisse stellen klare Verstöße gegen geltendes Recht dar und widersprechen den Grundsätzen unseres Unternehmens. Sollten sich diese eindeutig belegen lassen, werden wir entsprechende Konsequenzen ziehen – bis hin zur Beendigung des Vertragsverhältnisses. Wir erwarten in solchen Fällen eine zeitnahe, lückenlose und zweifelsfreie Aufklärung. Wir haben auf Ihr Schreiben unmittelbar reagiert und eine Stellungnahme eingefordert. Darin versichert uns unser Vertragspartner, dass solche Verstöße nicht geduldet und entsprechend sanktioniert würden.

Der Kommentar des Edeka Presseteams:

Wir distanzieren uns deutlich von den gezeigten Aufnahmen. Hier handelt es sich um klare Verstöße gegen Tierschutzgesetze, die wir in keiner Weise tolerieren. Wir haben klare Einkaufsrichtlinien für Geflügel. Alle Produkte müssen aus Betrieben stammen, die sowohl nach QS als auch ITW (Initiative Tierwohl) zertifiziert sind, und die auch entsprechend kontrolliert werden. Sollten solche Verstöße bekannt werden, würde dies zu einer sofortigen Sperrung des Betriebs führen. Wir haben unverzüglich den Produzenten AIA Foods über Ihre Hinweise informiert und zu einer Stellungnahme aufgefordert. (…)  AIA bittet Sie daher dringend um nähere Angaben zu Ort und Zeit der gemachten Aufnahmen, damit der Sachverhalt untersucht und entsprechende Konsequenzen eingeleitet werden können.

Wie der SWR inzwischen von der italienischen Tierrechtsgruppe erfahren hat, wurde der Name der Farm bereits in der vergangenen Woche öffentlich gemacht.