Tiergartenmord-Prozess Der Geheimdienstagent und sein Informant
Es gibt viele Mutmaßungen, warum ein Russe 2019 in Berlin einen Tschetschenen aus Georgien getötet haben soll: Das Opfer sei Islamist, Bandit, Agent gewesen. Informant war er tatsächlich.
Während der Zeugenbefragungen im Tiergartenmord-Prozess war immer wieder von ihm die Rede: Als hochrangiger Geheimdienstagent und ehemaliger Vizeinnenminister Georgiens soll Giorgi Lortkipanidze mit dem Mordopfer und weiteren Kämpfern des zweiten Tschetschenien-Krieges gearbeitet haben.
Auch tauchte sein Name in Zusammenhang mit tschetschenischen Terroristen auf. So hatte er vor fünf Jahren in einem Interview gesagt, er habe Akhmed Chataev rekrutiert, dem ein Anschlag am Flughafen Istanbul im Jahr 2016 zugeschrieben wird und der 2016 bei einem Polizeieinsatz in Georgien getötet wurde.
Aktuell arbeitet Lortkipanidze in hochrangiger Position beim ukrainischen Geheimdienst SBU in Kiew. Als möglicherweise letzter Zeuge sagte er nun im Tiergartenmord-Prozess aus - als einer der wenigen, die mit dem Mordopfer während seiner Zeit als Kämpfer im zweiten Tschetschenienkrieg in Verbindung standen.
Informant ohne Bezahlung
Nach eigener Aussage lernte Lortkipanidze den Tschetschenen mit georgischer Staatsbürgerschaft im Jahr 1999 kennen, als er bei der Terrorabwehr des georgischen Sicherheitsdienstes arbeitete. In dem Jahr begann der zweite Tschetschenienkrieg. Tausende Menschen flohen von dort in das benachbarte Pankisi-Tal in Georgien. Mit den Flüchtlingen kamen Kämpfer und islamistische Extremisten in das Tal, über das die georgische Regierung keine Kontrolle hatte.
Die russische Regierung drohte mit einem Militäreinsatz dort, bis die USA den Georgiern zu Hilfe kamen. Mit amerikanischer Rückendeckung räumten georgische Sicherheitskräfte Anfang 2002 im Tal auf. Auch einige Islamisten wurden festgenommen. Aber angesichts des fortdauernden Krieges in Tschetschenien blieben Kämpfer und Terroristen eine Gefahr.
Der georgische Geheimdienst habe mit russischen Diensten zusammengearbeitet, um Anschläge zu verhindern, erzählte Lortkipanidze vor Gericht in Berlin. Als Mitarbeiter der Terrorabwehr habe er zudem Tschetschenen wie Zelimkhan Khangoshvili als Informanten gewonnen.
"Zelimkhan hat geholfen, Menschen zu identifizieren, die mit schlechten Absichten kamen", sagte Lortkipanidze. Er habe nicht gewollt, dass es in Georgien so werde wie in Tschetschenien. Ein, zwei Mal im Monat hätten sie sich während der Arbeitszeit oder privat getroffen, sonst telefoniert. Für seine Informationen sei Khangoshvili nicht bezahlt worden.
Attentatsversuche
Lortkipanidze sagte, Khangoshvili habe bereits 2002 die Kämpfe in Tschetschenien verlassen, andere Quellen sprechen von 2004. Doch der Krieg sollte Khangoshvili nicht loslassen und auch Lortkipanidze wurde zum Ziel. Jedenfalls berichtete er von Attentats- und Entführungsversuchen auf sich und Khangoshvili. So hätten sie im Jahr 2006 Anschlagspläne russischer Dienste vereiteln können, indem sie den potenziellen Täter auf ihre Seite gezogen und die Ausführung eines Attentats auf einen Tschetschenen namens Ali Dabuev vorgetäuscht hätten.
Dabuev war zwischen russischen Geheimdiensten und tschetschenischem Widerstand eine so kontroverse wie schillernde Figur. 2017 wurde er unter dem Namen Timur Makhauri mitten in Kiew mit einer Autobombe getötet. Dabuev steht auf einer Liste angeblicher Dschihadisten, die der russische Inlandsgeheimdienst FSB im Jahr 2012 den deutschen Behörden übergeben hatte.
Auch Khangoshvili steht auf dieser Liste. Doch Lortkipanidze betonte wie andere Zeugen vor ihm dessen friedfertige Absichten. So habe Khangoshvili einige junge Menschen im Pankisi-Tal davon abgehalten, zum Kämpfen nach Syrien zu gehen.
"Schwarze Listen"
Lortkipanidze erklärte, er habe nie selbst solche "Schwarze Listen" in die Hände bekommen. Aber viele Tschetschenen, "die Jungs", hätten davon berichtet. Russische Dienste hätten die Namen der tschetschenischen Kämpfer gesammelt. Deren Verwandte in Tschetschenien würden unter Druck gesetzt. Aus den verschiedensten Gründen seien Strafverfahren eröffnet worden, um die Kämpfer auf Fahndungslisten zu setzen.
Ein konkretes Motiv für den Mord an Khangoshvili beschrieb Lortkipanidze nicht. Dessen Rolle bei einem bis heute unaufgeklärten tödlichen Zwischenfall im georgischen Lopota-Tal unweit der russischen Grenze im Jahr 2012 stellte Lortkipanidze positiv dar. Dort hatte sich eine Gruppe bewaffneter Tschetschenen aus Russland und dem Pankisi-Tal mit Geiseln verschanzt. Ihr Ziel sei es gewesen, die Lage in Georgien zu destabilisieren. Die Gruppe habe Unruhe an der Grenze zu Russland schaffen sollen, damit russische Kräfte eingreifen könnten, behauptete Lortkipanidze, der damals Vizeinnenminister in der Regierung von Präsident Michail Saakaschwili war.
In dieser Lage habe er Khangoshvili um Vermittlung mit den Bewaffneten gebeten. Doch habe er die Gruppe nicht zur Aufgabe bewegen können. Schließlich seien bei einem bewaffneten Einsatz drei Mitglieder einer Spezialeinheit sowie neun Kämpfer getötet worden. Nicht zur Sprache kamen in der Verhandlung Behauptungen in einem Bericht des damaligen Ombudsmannes von Georgien, wonach die georgische Regierung Kämpfer aus dem Nordkaukasus rekrutiert und militärisch ausgebildet haben soll.
Das konkrete Motiv bleibt unklar
Wenige Informationen gab Lortkipanidze zu Khangoshvilis Aufenthalt in der ukrainischen Hafenstadt Odessa im Jahr 2015, wohin Lortkipanidze damals mit Saakaschwili gegangen war und wo er als Polizeichef arbeitete. Khangoshvili folgte nach einem Attentatsversuch auf ihn in Georgien. Doch auch in Odessa habe Khangoshvili angesichts von Drohungen kein normales Leben führen können, so Lortkipanidze. Sein Kontakt zu Khangoshvili sei nur noch privater Natur gewesen, dieser habe nicht für die ukrainischen Sicherheitsdienste gearbeitet.
Sie seien auch in Kontakt geblieben, als Khangoshvili 2016 nach Deutschland ging und Asyl beantragte. Um ihn zu unterstützen, schrieb Lortkipanidze einen Brief. Doch kurz danach wurde Khangoshvili im Kleinen Tiergarten erschossen.
Der Angeklagte besteht weiter darauf, dass er Vadim Sokolov und nicht Vadim Krasikov sei, der zur Vorbereitung des Mordes mit staatlichen Stellen in Russland kooperiert habe. Dabei zeigen Fotos, die kürzlich in der Ukraine beschlagnahmt wurden, nach Aussage eines Gesichtsgutachters mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt. Beweisanträge, die das Gegenteil belegen könnten, legten seine drei Verteidiger nicht vor.
Der Vorsitzende Richter Olaf Arnoldi erklärte die Zeugenbefragung für weitgehend abgeschlossen. Er forderte Anklage und Verteidigung auf, ihre Schlussvorträge vorzubereiten. Den vorerst letzten Verhandlungstermin setzte er für Ende Mai fest.