Ortungsgeräte Tracker zunehmend für Stalking missbraucht
Stalker setzen in Deutschland laut Vollbild-Recherchen immer wieder auch Tracker ein. Behörden sind auf das Cyberstalking oft nicht vorbereitet - und Juristen warnen vor einer Lücke im Anti-Stalking-Gesetz.
Stalker verstecken sie im Auto, verbergen sie in Jackentaschen, nähen sie in Kleidung ein oder montieren Ortungsgeräte in Haarbürsten oder Kinderspielzeug: Tracker werden auch in Deutschland zunehmend als Stalking-Tool missbraucht, wie Recherchen des SWR-Investigativformats Vollbild zeigen.
Neue Bluetooth-Tracker wie Apple AirTags oder Samsung Galaxy SmartTags sind seit 2021 in Deutschland für rund 35 Euro erhältlich. Sie ermöglichen es, Menschen per Smartphone ohne großen Aufwand auf den Meter genau aus der Ferne zu verfolgen. "Sie sind sehr klein, sehr günstig und sie lassen sich leicht irgendwo verstecken, ohne dass die Person, die verfolgt wird, es mitbekommt", warnt die IT-Expertin Hannah Pankow, die für die Initiative "Ein Team gegen digitale Gewalt" arbeitet und Beratungsstellen und Frauenhäuser zu Cyberstalking berät.
Herstellern wie Apple und Samsung ist die Missbrauchsgefahr mittlerweile offenbar bewusst, sie haben inzwischen einige Anti-Stalking-Features eingeführt. Apple verweist auf Nachfrage von Vollbild auf ein Statement vom Februar 2022. Der Konzern verurteile "jede bösartige Verwendung unserer Produkte auf das Schärfste". Weiterhin heißt es, AirTags verfügten über das "erste proaktive System, das auf unerwünschtes Tracking" hinweise.
Samsung sagt, dass das Unternehmen die Sicherheit seiner Kundinnen und Kunden durch zusätzliche Funktionen sicherstellen wolle, beispielsweise könne man durch die Funktion "Unknown Tag Search" herausfinden, ob sich ein SmartTag in der Nähe befindet. Dass die Vorkehrungen der Hersteller jedoch nicht in jedem Fall reichen, um vor Trackern zu warnen, zeigen Selbstversuche von Vollbild.
Herausforderung für den Gesetzgeber
2021 wurde das Anti-Stalking-Gesetz verschärft, damit es leichter wird, Stalking und Cyberstalking zu ahnden. Seitdem ist Nachstellung, also Stalking, laut Paragraph 238 StGB strafbar, wenn der Täter eine Person wiederholt auf eine Weise verfolgt, anruft, belästigt oder bedroht, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung "nicht unerheblich" zu beeinträchtigen.
Zuvor musste nachgewiesen werden, dass Betroffene "schwerwiegend" eingeschränkt wurden, etwa durch einen Job- oder Wohnortwechsel. Auch spezielle Cyberstalking-Formen wie die Überwachung mit Spy-Apps werden von dem Gesetz nun umfasst - Tracker wie Apples AirTags werden jedoch nicht genannt. Diese kamen im gleichen Jahr auf den Markt, in dem das Gesetz verändert wurde.
Die Juristinnen Lena Leffer von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Michelle Weber von der EBS-Universität Wiesbaden haben sich intensiv mit der Rechtslage bei Stalking mit AirTags beschäftigt und warnen vor einer Gesetzeslücke. "Der spezifische Fall des Stalkings mit AirTags wurde nicht berücksichtigt, da der Gesetzgeber nur den Fall gesehen hat, dass ein Gerät des Opfers infiltriert wird", sagt Weber.
Beim Tracking mit AirTags und Co. müssen sich Stalker keinen Zugriff auf fremde Smartphones verschaffen, indem sie eine Spy-App installieren oder Passwörter ausspähen - sie stecken den Betroffenen einfach ihren Tracker zu. "Es geht vor allem jetzt darum, auf das Problem aufmerksam zu machen, denn dieses Phänomen wird häufiger werden", warnen die Juristinnen.
"Etwaigen Handlungsbedarf" prüfen
Das Bundesjustizministerium sieht derzeit keinen Handlungsbedarf: Entscheidungen von Gerichten zu AirTags und vergleichbaren Produkten seien "noch nicht bekannt", heißt es auf Vollbild-Anfrage. Sollten sich in der Praxis Strafbarkeitslücken zeigen, werde das Ministerium "etwaigen Handlungsbedarf" prüfen. Eine Gesetzeslücke sieht das Bundesjustizministerium derzeit also nicht.
Das sieht das Bayerische Justizministerium ganz anders: Es drängt darauf, dass Fälle, in denen Stalker ihre Opfer mit GPS-Trackern oder Bluetooth-Trackern wie AirTags ausspähen, "rechtssicher" erfasst werden müssten. "Die Anti-Stalking-Regeln müssen dringend weiter nachgeschärft werden", sagt der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) auf Vollbild-Anfrage. "Der Bundesjustizminister ist aufgefordert, das Gesetz der digitalen Entwicklung anzupassen."
Immer mehr Fälle von Stalking
Allein im Jahr 2022 erfasste das Bundeskriminalamt deutschlandweit 21.436 Stalking-Anzeigen. Zwar erleben Frauen und Männer Stalking, allerdings sind Frauen deutlich häufiger betroffen. Rund 81 Prozent der erfassten Opfer sind Frauen. Bei den Tatverdächtigen ist das Verhältnis umgekehrt, hier sind laut BKA rund 82 Prozent Männer.
Der Staatsanwaltschaft München I zufolge gebe es immer wieder Verfahren, bei denen bekannt wird, dass Stalker AirTags oder andere technische Mittel nutzen. Im vergangenen Jahr wurde am Amtsgericht München der Fall einer Frau verhandelt, die zwei AirTags in Jacken ihrer Tochter sowie einen Tracker unter ihrem Autositz entdeckt hatte, mutmaßlich von ihrem Ex-Mann. Das Verfahren wurde gegen Auflage eingestellt. In Polizeistatistiken wird der Einsatz von Trackern nicht erfasst.
Stalking-Experten wie der Ravensburger Polizeipräsident Uwe Stürmer weisen auf die Schwierigkeit hin, digitale Nachstellung zu ermitteln: "Ich bin mir sicher, dass es im Bereich digitaler Verfolgung, Cyberstalking, ein enormes Dunkelfeld gibt, das sich auch nur sehr, sehr schwer aufhellen lässt, weil die Dinge letzten Endes ein Stück weit flüchtig sind", sagt Stürmer im Interview mit Vollbild. "Wir können oft nicht feststellen, wie es Tätern gelingt, herauszufinden, zu welcher Zeit sich das Opfer an welchem Ort aufhält."
Hilfseinrichtungen überfordert
Doch Hilfseinrichtungen werden zunehmend mit Fällen konfrontiert, in denen Betroffene von Stalking und physischer Gewalt mit Trackern ausgespäht werden - und sie sind oft überfordert. "Das Problem ist, dass die Beratungsstellen und Frauenhäuser oft nicht das Wissen, die Expertise und auch nicht die Kapazitäten haben, um bei digitaler Gewalt wirklich viel beraten zu können", sagt IT-Expertin Pankow.
Der Verein Frauenhauskoordinierung (FHK) fordert von Bund und Ländern "eine bedarfsgerechte Finanzierung der Frauenhäuser und Fachberatungsstellen für die Beratung zu digitaler Gewalt sowie Fortbildungen zu digitaler Gewalt bei Polizei und Justiz".
Mit Blick auf die neuen technischen Möglichkeiten beim Stalking halten Verantwortliche von Frauenhäusern eigene Expertinnen und Experten für digitale Gewalt für notwendig. "Bei den Kuscheltieren für die Kinder passen wir auf, weil wir immer wieder erleben, dass bei Kuscheltieren ein AirTag verbaut ist - und manchmal haben sie Plastiknasen, die aber eine Kamera sind", beobachtet etwa Claudia Zwiebel vom Frauenhaus in Singen am Bodensee.
Sie arbeitet seit 20 Jahren im Frauenhaus. Früher seien die Betroffenen geschützt gewesen, sobald sie es geschafft hätten, ins Frauenhaus zu flüchten: "Jetzt ist es mit der digitalen Gewalt einfach so, dass es 24/7 weitergeht", so Zwiebel.