Skandal um Warburg-Bank Teuflischer Plan
Bei der Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals um die Hamburger Privatbank MM Warburg sind Ermittler nach WDR-Recherchen auf brisante Chats einer Finanzbeamtin gestoßen. Diese werfen Fragen auf - auch an hochrangige SPD-Politiker.
Es sind wenige Worte, kurze Chat-Nachrichten, die eine Wendung in einem Hamburger Politkrimi bringen könnten. Es geht um die Hamburger Privatbank MM Warburg, ihre illegalen Cum-Ex-Geschäfte und um die Frage, ob sich Hamburger Beamtinnen und Politiker schützend vor die Bank stellten, als das Traditionshaus seine Beute 2016 zurückzahlen sollte. Bislang beteuerten alle Verantwortlichen, eine Einflussnahme auf das Steuerverfahren der MM Warburg habe es nie gegeben.
Doch nach Recherchen des WDR sind Fahnder aus Nordrhein-Westfalen nun auf belastendes Material gestoßen, das an diesen Aussagen Zweifel aufkommen lässt. Vor allem der WhatsApp-Chatverlauf einer Hamburger Finanzbeamtin wirft Fragen auf in dem Skandal, der in Hamburg derzeit auch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss beschäftigt.
Chat-Nachricht könnte Plan verraten
Die Hamburger Privatbank hatte zwischen 2007 und 2011 Cum-Ex-Aktienhandel betrieben, wie viele Finanzinstitute weltweit. Bei Cum-Ex griffen die Beteiligten in die Staatskasse. Sie ließen sich vom Staat Steuern erstatten, die sie nie gezahlt hatten. Das tat auch die Warburg-Bank. Als das Finanzamt Hamburg 2016 dahinter kam, wollte es erst das Geld zurückfordern: rund 47 Millionen Euro allein für die Cum-Ex-Geschäfte aus dem Jahr 2009. Doch dann änderte die Behörde plötzlich ihre Meinung und ließ die Ansprüche fallen. Warum?
Eine Razzia sollte Aufschluss geben. Die Fahnder aus NRW wurden im Herbst bei der Hamburger Finanzbehörde und dem Finanzamt für Großunternehmen vorstellig - unter anderem bei der für die Warburg-Bank zuständigen Finanzbeamtin Daniela P.
Tatsächlich wurden die Fahnder bei ihr nach Informationen des WDR fündig. Der brisante Chat stammt aus Daniela P.s Handy. Am 17. November 2016 schrieb sie einer Vertrauten. Das war wenige Stunden, nachdem sich die Finanzbehörden überraschend dazu entschieden hatten, auf die 47 Millionen Euro aus Cum-Ex-Geschäften zu verzichten. Um 15.20 Uhr drückte Beamtin P. auf "senden". Ihr teuflischer Plan, schreibt sie, sei aufgegangen. Ihre Freundin aus der Hamburger Finanzbehörde fragt 18 Minuten später nach, ob man verjähren lasse. Daniela P. bejahte dies - wenn nichts dazwischen komme.
Politische Einflussnahme bestritten
Ein teuflischer Plan? Der Chatverlauf legt nahe, dass weitere Stellen der Hamburger Finanzverwaltung mitgewirkt haben könnten - oder zumindest davon wussten: Ihr Plan, schrieb die Beamtin weiter, sei mit freundlicher Unterstützung von S I und zur großen Freude von 5 aufgegangen. Es folgt ein vor Lachen tränender Smiley. S I bezeichnet innerhalb der Hamburger Finanzverwaltung eine Leitungsfunktion. Die 5 wiederum dürfte für das "Amt 5" der Finanzbehörde stehen, also die Steuerverwaltung, die direkt dem damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher unterstand, dem heutigen Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt.
Das Justizministerium in NRW bestätigte auf Anfrage die Recherchen: "Ein Chatverkehr mit dem von Ihnen angegebenen Inhalt ist dem Ministerium der Justiz bekannt." Die Bewertung der Chatverläufe obliege jedoch der Staatsanwaltschaft Köln. Die Strafverfolger machten ihrerseits keine Angaben zu dem laufenden Ermittlungsverfahren.
Vorwurf der Einflussnahme zurückgewiesen
Daniela P. erklärte gegenüber dem WDR, sie werde sich zu den Textnachrichten nicht äußern. In früheren Zeugenbefragungen hatte sie ausgesagt, es habe keine politische Einflussnahmen gegeben. Gleiches sagten auch die Verantwortlichen des Amtes 5 sowie Peter Tschentscher im laufenden Untersuchungsausschuss aus. Letzterer bezeichnete den Verdacht der politischen Einflussnahme als "völlig haltlos". Sein Senatssprecher betonte auf Anfrage, der zwischenzeitlich zuständige Ermittler der Staatsanwaltschaft Köln sei eingebunden worden.
Die Privatbank MM Warburg teilte schriftlich mit, eine unzulässige Einflussnahme habe sich ihres Erachtens aus den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses nicht ergeben.
Gespräch mit Olaf Scholz
Doch allen Bekundungen zum Trotz, die WhatsApp-Nachrichten fügen sich wie Puzzlesteine in die bereits bekannten Abläufe. Denn anfänglich sah es so aus, als ob Finanzbeamtin P. und ihre Vorgesetzte die Gelder zurückfordern wollten. So schrieben sie es in einem 29-seitigen Bericht am 5. Oktober 2016 an die Finanzbehörde nieder. Nur wenige Wochen später verzichteten Daniela P. und ihre Vorgesetzten dann doch auf die Rückforderung. Was war geschehen?
Privatbankier Christian Olearius jedenfalls ließ seine politischen Drähte in der Hansestadt glühen. Kein Geringerer als der damalige Erste Bürgermeister Olaf Scholz empfing Olearius und den Miteigner der Bank, Max Warburg, am 26. Oktober 2016 allein in seinem Amtszimmer. Später sagte Scholz vor dem Untersuchungsausschuss, dass er sich an die Inhalte des Sechs-Augen-Gesprächs nicht erinnere.
Olearius hingegen hatte seine Eindrücke in einem Tagebuch festgehalten. Die in Leder gebundenen Kladden fielen später den Kölner Fahndern in die Hände. Die Banker präsentierten demnach Scholz bei dem Treffen ein Schreiben, in dem sie ihre Rechtsauffassung darlegten. Scholz habe zugehört, Fragen gestellt, aber nicht durchblicken lassen, ob er etwas zu tun gedenke.
Schreiben an den Finanzsenator
Am 9. November 2016 wurde Olaf Scholz doch aktiv. Der Bürgermeister rief Olearius offenbar an, so dokumentierte der es in seinem Tagebuch. Es sei um das Schreiben gegangen. Scholz soll geraten haben, das Schreiben direkt an Finanzsenator Peter Tschentscher zu schicken. Olearius habe laut Tagebuch keine Fragen gestellt, sondern - wie von Scholz empfohlen - das Schreiben an den damaligen Finanzsenator schicken lassen.
Scholz wird später bestätigen, ein Telefonat in seinem Terminkalender vermerkt zu haben. An den Gesprächsinhalt könne er sich nicht mehr erinnern. Den Verdacht einer Einflussnahme bestritt er vehement. Der Brief ging tatsächlich noch am gleichen Tag "wegen der Bedeutsamkeit des Vorgangs" per Bote an Finanzsenator Tschentscher.
Ansprüche verjährt?
Tschentscher wiederum empfing zwei Tage später die Chefin von Daniela P., die Leiterin des Finanzamtes für Großunternehmen, in seinem Amtszimmer. Laut Kalendereintrag dauerte das Gespräch 30 Minuten. Ob es um Cum-Ex und die Warburg-Bank ging, sei nicht dokumentiert, heißt es später aus der Finanzbehörde. Fest steht: Tschentscher leitete den Olearius-Brief seinerseits am 14. November 2016 an P. als zuständige Finanzbeamtin weiter. Mit seiner grünen Ministertinte vermerkte er eine "Bitte um Informationen zum Sachstand".
Am 17. November 2016 kam es zur entscheidenden Sitzung. Anwesend waren laut Kalendereintrag Daniela P., ihre Chefin sowie weitere Verantwortliche der Finanzbehörde. Plötzlich forderten die Verantwortlichen das Geld nicht mehr zurück. Am gleichen Tag schrieb Daniela P. die nun durch die Ermittlungen aufgetauchten WhatsApp-Nachricht, nach denen ihr teuflischer Plan aufgegangen sei. Das Finanzamt sah die Ansprüche aus 2009, rund 47 Millionen Euro, offenbar steuerlich als verjährt an.
Weitere Ungereimtheiten
Inzwischen zahlte die Privatbank die gesamte Cum-Ex-Beute doch noch zurück. Das Landgericht Bonn verurteilte das Geldhaus im Frühjahr 2019 dazu. Das Urteil, nach dem MM Warburg sich an kriminellen Cum-Ex-Geschäften beteiligt hat und das Geld zurückzahlen muss, ist rechtskräftig. Die Bank erklärt dieser Tage, ihre steuerliche Beurteilung der Cum-Ex-Geschäfte habe sich als falsch erwiesen. Die Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstands missbilligten unrechtmäßige Steuergestaltungen jeder Art.
Die Staatsanwaltschaft Köln wird in Hamburg weiter ermitteln. Neben dem brisanten Chat treibt die Ermittler nach Informationen des WDR ein weiterer Verdacht um. Die Suche in den beschlagnahmten E-Mail-Postfächern einiger Beteiligter brachte eine derartige Leere zum Vorschein, dass die Fahnder der Frage nachgehen, ob belastende Kommunikation in der Hamburger Finanzverwaltung gezielt gelöscht worden sein könnte. Während in den Outlook-Kalendern zahlreiche Termine mit Cum-Ex-Bezug zu finden waren, fand sich kaum eine E-Mail mit Bezug zu dem Steuerskandal. Das ist eine weitere von vielen Ungereimtheiten.
In Hamburg versucht indes der Cum-Ex-Untersuchungsausschuss, Licht ins Dunkel zu bringen. Am 19. August vernehmen die Abgeordneten einen prominenten Zeugen: Bundeskanzler Olaf Scholz.