Friedrich Merz nimmt an einer Abstimmung im Bundestag zum Finanzpaket teil
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Abstimmung über Finanzpaket Merz' 180-Grad-Wende

Stand: 18.03.2025 16:27 Uhr

Die übereilten Grundgesetzänderungen im Bundestag hat CDU-Chef Merz durchgesetzt. Doch der Preis dafür könnte hoch sein. Es geht um Generationengerechtigkeit - und um die Frage, was ein Wahlversprechen wert ist.

Ein Kommentar von Iris Sayram, ARD-Hauptstadtstudio

"Seit der Amtsübernahme von US-Präsident Donald Trump und seinen widersprüchlichen Aussagen zur NATO wird in Politik und Medien eine (…) nukleare europäische Abschreckungsstrategie (…) diskutiert": Dieser Auszug aus einer wissenschaftlichen Analyse des Deutschen Bundestags stammt nicht etwa aus dem Jahr 2025, auch nicht aus dem Jahr 2024. Das Datum auf diesem Papier lautet: 23. Mai 2017.

Inzwischen ist Donald Trump zum zweiten Mal zum US-amerikanischen Präsidenten gewählt worden, was sich schon Monate vor der Wahl im November als sehr realistisches Szenario abgezeichnet hatte. Auch sein Plan, den russischen Angriffskrieg in der Ukraine "innerhalb von 24 Stunden zu beenden", war bekannt.

Passiert ist dennoch nichts. Nicht 2017, nicht 2024 und auch nicht bis zum 23. Februar 2025, als der Bundestag neu gewählt wurde. Nun bei den weitreichenden Grundgesetzänderungen von Entscheidungen zu sprechen, die keinen "Aufschub dulden", wie es CDU-Chef Friedrich Merz nennt, ist entweder Ausdruck einer politisch grob fahrlässigen Fehleinschätzung. Oder das Thema "Paradigmenwechsel in der Verteidigungspolitik" war der Union bereits vor der Wahl bekannt, wurde aber bewusst nicht transparent gemacht. Beide Varianten geben kein gutes Bild über die Art und Weise der heute beschlossenen Grundgesetzänderungen ab.

180-Grad-Wende der eigenen Schuldenpolitik

Selbst wenn man der Meinung ist, dass die Antwort auf eine veränderte geopolitische Lage eine bessere Ausstattung der Bundeswehr sein soll, schafft diese völlige 180-Grad-Wende der eigenen Schuldenpolitik kurz nach der Wahl wenig Vertrauen darin, dass der wahrscheinlich künftige Kanzler wirklich Herr des Verfahrens ist und die Dinge im Griff hat.

Dieser Prozess beschränkt sich nämlich nicht nur auf ein paar veränderte Zeilen im Grundgesetz oder die schwindelerregenden Schulden von fast einer Billion Euro. Sie gehen an die Grundprinzipien einer Gesellschaft, die ohnehin verwundet und gespalten ist und in der sich immer mehr Menschen politischen Extremen zuwenden. Auch, weil sie von der alternativlos scheinenden Kriegsrhetorik Angst haben und diplomatische Initiativen in dem ganzen Szenario nicht einmal angedacht werden. Europa und auch Deutschland überlässt diesen wichtigen Punkt anderen - vorneweg Donald Trump mit den bekannten Mitteln.

Es geht auch um Generationengerechtigkeit

Aber es geht bei den Schulden auch um Generationengerechtigkeit, weil es den nächsten, übernächsten und sogar über-übernächsten Bundestag in seinem finanziellen Spielraum einschränken kann - Stichwort Tilgung. Der Zahltag ist nur aufgeschoben.

Die Demokratie ist zu wertvoll, um sie mit politischer Taktiererei in Gefahr zu bringen. Die Antwort auf die Frage, was ein Wahlversprechen wert ist, sollte niemals lauten: nichts.

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 18. März 2025 um 16:00 Uhr.