EU-Gipfel Knall vermieden, Erosion geht weiter
Auf dem EU-Videogipfel schafften es die Staats- und Regierungschefs, tiefe Gräben zu überbrücken, um der Corona-Krise Einhalt zu gebieten. Doch Solidarität entlässt keinen Einzelstaat aus seiner Verantwortung.
Der ganz große Konflikt wurde beim EU-Videogipfel vermieden: Italien kehrt der EU nicht den Rücken, obwohl es keine Eurobonds oder Corona-Bonds geben wird und damit keine Vergemeinschaftung der bereits lange vor der Corona-Krise angehäuften südeuropäischen Schuldenberge.
Merkel hält Wort: ein klares Ja zu einem Bund für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas. Ein klares Ja zu höheren deutschen Beiträgen in den EU-Haushalt. Und gleichzeitig ein klares Nein zu Eurobonds und damit zu einem Bruch der EU-Verträge.
Tiefer Graben wurde überbrückt
Der Graben zwischen Nord- und Süd-EU, allen voran zwischen Italien und Spanien auf der einen und den Niederlanden, Finnland und Deutschland auf der anderen Seite, wurde überbrückt - durch das bereits von den Finanzministern vor zwei Wochen geschnürte 540 Milliarden-Rettungspaket und durch das klare Bekenntnis aller zu einem Wiederaufbaufonds.
Aber die Erosion der EU ist damit noch nicht gestoppt. Der EU-Binnenmarkt wird nur dann eine Erfolgsgeschichte bleiben, wenn Italien, Frankreich und Spanien wieder wirtschaftlich auf die Beine kommen. Wenn Lieferketten nicht unterbrochen werden. Und wenn nicht Populisten wie Marine le Pen in Frankreich oder Matteo Salvini in Italien die EU-Bühne erobern - und die EU-Befürworter von diesem Corona-Kollateralschaden verschont blieben.
Viele Probleme schon lange vor dem Virus dagewesen
Mit europäischem Kurzarbeitergeld, zinsgünstigen Krediten und Zuschüssen zu Staatshaushalten ist es nicht getan. Der beste Wiederaufbau-Plan der EU-Kommission bleibt auf Dauer wirkungslos, wenn die EU-Schuldenstaaten so tun, als sei bei ihnen vor Corona alles in Ordnung gewesen und als sei ausschließlich und allein das Virus an ihrem Wirtschaftsdesaster schuld.
Wiederaufbau funktioniert nicht ohne Selbstverantwortung. Wer wie Italien EU-Kredite ablehnt, weil diese Rückzahlungen bedeuten und auf Zuschüssen zum Staatshaushalt besteht, der scheut diese Selbstverantwortung.
Solidarität entlässt niemanden aus seiner Selbstverantwortung
Wirtschaftliche Dynamik und Erfolg wird primär von innen entfacht, und nicht durch einen Wiederaufbaufonds der EU-Kommission. Selbst dann nicht, wenn dieser über eine Billion Euro verfügt.
Die EU-Exportmeister Deutschland und Niederlande sind im eigenen Interesse zur innereuropäischen Solidarität verpflichtet. Doch diese Solidarität entlässt niemanden aus seiner Selbstverantwortung - auch nicht den Corona-Hotspot Italien.
Ob die Erosion der Europäischen Union weitergeht, entscheidet sich vor allem in Rom - und nicht bei einem von Angela Merkel klug moderierten EU-Videogipfel.
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