Buchpreis für Omri Boehm "Frieden gibt es nicht ohne Gleichheit"
In Leipzig ist am Abend die Buchmesse eröffnet worden. Omri Boehm erhielt den Buchpreis für Europäische Verständigung. Im tagesthemen-Interview äußerte sich der Philosoph auch über den Krieg im Nahen Osten.
Die diesjährige Leipziger Buchmesse ist am Abend mit einem Festakt im Gewandhaus offiziell eröffnet worden. Dabei erhielt der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung für sein Buch "Radikaler Universalismus. Jenseits von Identität". Die Auszeichnung ist mit 20.000 Euro dotiert. In der Jury-Begründung hieß es, Boehm verteidige den Kern des humanistischen Universalismus, die Verpflichtung zur Anerkennung der Gleichheit aller Menschen, gegen jegliche Relativierung.
"Ein wahres Wunder"
In seiner Dankesrede ging Boehm auf den Krieg in Nahost und die deutsch-jüdische Freundschaft ein. "Wo sie besteht, ist sie ein wahres Wunder, aber dieses Wunder muss jetzt vor Entwertung geschützt werden. Es kann keine deutsch-jüdische Freundschaft geben, wenn sie in diesen dunklen Zeiten keinen Platz für die schwierigen Wahrheiten hat, die im Namen der jüdisch-palästinensischen Freundschaft gesagt werden müssen", sagte er. "Wegen der Freundschaft muss die Wahrheit nicht geopfert werden, ganz im Gegenteil, harte Wahrheiten müssen in den Vordergrund gestellt werden, denn wir sollen Freunde bleiben."
"Föderation als Ideal des Friedens"
Im Interview mit den tagesthemen warb Boehm erneut für seine Idee einer bundesstaatlichen Föderation auf dem Gebiet des heutigen Staates Israel und der palästinensischen Gebiete. Boehm stellte klar, dass diese Idee nicht in naher Zukunft Realität werden könne. "Es ist ein Ideal des Friedens, das wir bewahren können."
Bei der Zwei-Staaten-Lösung gehe es oft darum, die Rechte einer Seite zu unterdrücken. In einer gemeinsamen bundesstaatlichen Ordnung müsse es "eine gewisse Trennung" geben, allerdings auch eine gemeinsame Verfassung mit gleichen Rechten, so Boehm: "So lange die Menschen nicht gleiche Rechte bekommen, so lange wird es keinen Frieden geben."
Rede von Scholz mehrfach unterbrochen
Unter den geladenen Gästen war auch Bundeskanzler Olaf Scholz. Scholz sagte bei dem Festakt, Lesen führe dazu, auch andere als nur die eigene Perspektive zuzulassen. Literatur sei zudem ein hochsensibler Sensor für die Welt von morgen und sie verändere auch die Welt. Scholz rief dazu auf, die demokratischen Grundwerte zu verteidigen: "Folgen wir denen nicht, die uns spalten wollen, die ganzen Gruppen in unserem Land die Zugehörigkeit zur Gesellschaft absprechen wollen."
Literatur könne in tiefgreifenden Umbruchsituationen Orientierung geben, so Scholz. Er sei genauso wenig auf ein bestimmtes Genre festgelegt wie die Messe: Wissenschaft oder Gesellschaft, Abenteuer oder Krimi, Sachbuch oder Roman. "Wenn man es zulässt, dann wartet hinter dem Buchdeckel die Überraschung, die uns im Netz oft abhandenkommt, weil uns Algorithmen dort vor allem das zeigen, was wir sowieso gut finden, oder gut finden sollen."
"Uns alle - und da schließe ich mich ein - verbindet die Liebe zum Lesen": Kanzler Scholz zum Auftakt der Buchmesse in Leipzig.
Die Rede wurde mehrfach von Demonstranten mit lauten Rufen unterbrochen. Weite Teile des Protestes wurden von anhaltendem Beifall des Publikums übertönt. "Uns alle führt hier in Leipzig die Macht des Wortes zusammen - nicht des Geschreis", sagte Scholz begleitet von Applaus. Nach einigen Minuten konnte er seine Eröffnungsrede fortsetzen.
Buchmesse als "Ort der Demokratie"
Vor Beginn des Festaktes gab es auf Initiative der Messeleitung ein Bekenntnis zur Demokratie: Die Gäste hielten Schilder mit der Aufschrift "Demokratie wählen. Jetzt" hoch. Der Aufruf zielte auf die Europa- und die Landtagswahlen in diesem Jahr.
Angesichts globaler Krisen will die neue Direktorin, Astrid Böhmisch, die Messe als Ort der Demokratie stärken. Der Branchentreff sei "ein atmosphärischer Spiegel gesellschaftlich turbulenter Zeiten", sagte sie. In einer Zeit vielfältiger Herausforderungen gebe es einen klaren Auftrag zur Kommunikation.
Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth nannte es gut und wichtig, drängende Fragen der Zeit in Leipzig zu verhandeln. "Denn gerade in diesen komplexen Zeiten ist es unverzichtbar, im Gespräch zu bleiben und Demokratiefeinden, die unsere Gesellschaft spalten wollen, etwas entgegenzusetzen: einen wertschätzenden, offenen Austausch, die Freiheit des Wortes und die Vielfältigkeit des Schreibens, Verlegens und Publizierens", betonte die Grünen-Politikerin.
15 Kandidaten für Buchpreis nominiert
Für Besucherinnen und Besucher öffnet die Buchmesse am Donnerstag. Am Nachmittag wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu einem Rundgang erwartet. Am Abend will er zu 35 Jahren Friedliche Revolution und 75 Jahren Grundgesetz sprechen.
Weiterer Höhepunkt des Tages ist die Vergabe des Preises der Leipziger Buchmesse. Die mit insgesamt 60.000 Euro dotierte Auszeichnung wird seit 2005 für herausragende Neuerscheinungen in den drei Kategorien Übersetzung, Sachbuch/Essayistik und Belletristik verliehen. Insgesamt 15 Kandidaten wurden nominiert.
Bis zum Sonntag präsentieren sich 2.085 Aussteller aus 40 Ländern, etwas mehr als 2023.