Wirtschaftsbeziehungen zu Afrika "Afrika wird immer wichtiger"
Die Kanzlerin will die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Afrika vertiefen. Doch damit steht sie nicht allein: Die afrikanische Wirtschaft wächst, China investiert seit Jahren. Hat Deutschland den Anschluss verpasst? Nein, sagt Afrika-Wirtschaftsexperte Heiko Schwiderowski im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Drei Tage für einen ganzen Kontinent sind nicht viel Zeit, zumal Afrika oft als „Markt der Zukunft“ bezeichnet wird. Gleichzeitig fehlen bei der Afrika-Reise der Bundeskanzlerin jene Wirtschaftsvertreter, die bei anderen Auslandsreisen oft dabei sind. Wie passt das zusammen?
Heiko Schwiderowski: Die Bezeichnung „Markt der Zukunft“ gibt es schon seit zwei Jahrzehnten. Die wirtschaftlichen Verbindungen Deutschlands nach Afrika haben zwar noch längst nicht den Umfang der Verbindungen zu Indien oder Singapur, wo die Kanzlerin zuletzt gewesen ist. Aber mit der Reise hat sie den Kontinent auf die Agenda gesetzt. Und wir denken, dass es in zehn bis fünfzehn Jahren auch südlich der Sahara eine Handvoll Länder geben wird, zusätzlich zu Südafrika, die für die deutsche Wirtschaft ähnlich wichtig sein werden wie die so genannten asiatischen Tiger-Staaten. Vielleicht wird man dann von den afrikanischen Löwen-Staaten sprechen.
Heiko Schwiderowski ist seit 2006 Leiter des Referats Afrika der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Zuvor war er fünf Jahre lang Afrika Referent des Vereins der Deutschen Wirtschaft. Zu seinen Aufgaben gehörte es, deutsche Unternehmen über wirtschaftliche und politische Entwicklungen in Afrika zu informieren.
tagesschau.de: Welche Rolle spielt Afrika heute schon für die deutsche Wirtschaft?
Schwiderowski: Afrika wird für die deutsche Wirtschaft immer wichtiger. Im vergangenen Jahr wurden im Handel mit Afrika 40 Milliarden Euro umgesetzt, davon gut die Hälfte als deutsche Exporte. Das sind im Verhältnis zu den Gesamtexporten Deutschlands zwar nur etwa zwei Prozent, aber die Exporte nach Afrika wachsen überdurchschnittlich stark. Man kann davon ausgehen, dass der afrikanische Kontinent weiter an Bedeutung gewinnen wird.
Für Kenia liegt Deutschland derzeit etwa an zehnter Stelle als Handelspartner, hinter China, Indien, aber auch Großbritannien oder beispielsweise der Niederlande. Das deutsch-kenianische Handelsvolumen lag 2010 bei rund 400 Millionen Euro. Exporte von Kenia nach Deutschland machen rund drei Viertel des Handelsvolumens aus. Dabei geht es vor allem um Genussmittel. Mit dem neuen Delegiertenbüro erhofft man sich jetzt zunehmend auch Zusammenarbeit bei Infrastrukturprojekten in der Region, so Schwiderowski.
tagesschau.de: Vor allem China, aber auch etliche andere asiatische Staaten engagieren sich deutlich stärker wirtschaftlich in Afrika. Hat Deutschland das versäumt und somit den Anschluss verpasst?
Schwiderowski: Deutsche Unternehmen stellen mehr Bedingungen, was Qualität, aber auch was ökologische und soziale Standards betrifft. Damit sind sie anspruchsvolle Partner. Die afrikanischen Länder haben aber durchaus andere Partner zur Auswahl, die sich oft sehr viel schneller auf Projekte einlassen. Trotzdem wird es für deutsche Unternehmen immer Nischen geben. In Angola erleben wir zum Beispiel, dass zwar chinesische Firmen den Zuschlag für gewisse Projekte erhalten, deutsche Firmen dann aber die Bauaufsicht und Qualitätssicherung übernehmen.
Das Handelsvolumen der wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu Angola betrug 2010 rund 500 Millionen Euro. Bis 2002 tobte in Angola ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg. Erst nach Ende des Bürgerkrieges nahm die wirtschaftliche Zusammenarbeit Deutschlands mit Angola langsam wieder zu. Wie auch aus Nigeria importiert Deutschlands vor allem Öl aus Angola. Und auch aus dem südwestafrikanischen Land sind die Erdölexporte nach Deutschland Anfang 2011 stark angestiegen, um rund 60 Prozent. Dennoch liegt Deutschland gemessen am Handelsvolumen für Angola derzeit nur etwa an achter oder neunter Stelle, weit hinter China, den USA oder Portugal.
tagesschau.de: Welche Produkte importieren wir denn aus afrikanischen Ländern?
Schwiderowski: Das wichtigste Produkt ist natürlich Öl, was wir aus Angola und vor allem Nigeria importieren. Anfang dieses Jahres haben sich beispielsweise die Erdöllieferungen aus Nigeria verdoppelt, was auch mit der stabileren politischen Lage zwischen Regierung und Rebellen zu tun hat. Aus Kenia wiederum importieren wir überwiegend Genussmittel: Kaffee oder Tee zum Beispiel. Und jede vierte Rose, die in Deutschland verkauft wird, stammt aus Kenia.
tagesschau.de: Im Juni hat die Bundesregierung ein Afrika-Konzept beschlossen, in dem es heißt, man wolle eine „Partnerschaft auf Augenhöhe“. Jetzt ist die Kanzlerin vor Ort. Ist das auch ein Stück weit Symbolpolitik?
Schwiderowski: Sicherlich ist es das, aber wir rechnen auch mit konkreten Ergebnissen dieser Reise. Zum Beispiel wurde nun in Kenia ein Delegiertenbüro für die deutsche Wirtschaft gegründet. Es wird also ab Ende Januar eine Anlaufstelle geben für alle deutschen Unternehmen in Kenia und auch für kenianische Unternehmen, die sich in Deutschland engagieren wollen. Das ist ein echter Fortschritt. Bisher gibt es erst drei solcher Büros, in Ghana und in den anderen beiden Ländern, die die Kanzlerin besucht: Angola und Nigeria.
Für Nigeria liegt Deutschland derzeit etwa an siebter oder achter Stelle als Handelspartner, hinter asiatischen Ländern wie China oder Indien, aber auch den USA, Brasilien, Albanien oder Frankreich. Das deutsch-nigerianische Handelsvolumen lag 2010 bei rund drei Milliarden Euro. Öl ist der dominierende Faktor in den Wirtschaftbeziehungen mit Nigeria und macht etwa 85 bis 90 Prozent des Handelsvolumens aus. Anfang 2011 zogen die Erdölieferungen aus Nigeria um 150 Prozent an, so dass das Handelsvolumen in diesem Jahr möglicherweise die Grenze von vier Milliarden Euro überschreiten wird, so Schwiderowski. Das habe auch damit zu tun, dass sich die nigerianische Regierung den Rebellen im ölreichen Niger-Delta Straffreiheit in Aussicht gestellt habe, was die Lage politisch stabilisierte.
tagesschau.de: Welche Erfahrungen hat man bisher mit diesen Büros gemacht?
Schwiderowski: Manches geht trotzdem noch sehr langsam vorwärts, zum Beispiel die Energie- und Rohstoffpartnerschaft mit Nigeria. Das liegt weniger an der Bundesregierung, sondern daran, dass die Vertragsabschlüsse mit den meist staatlichen nigerianischen Partnern sehr komplex, bürokratisch, intransparent und damit langwierig sein können. Wir hoffen, dass auch diese Partnerschaft mit dem Besuch der Kanzlerin an Fahrt gewinnt.
Das Interview führte Nina Bigalke für tagesschau.de.