Berufliche Qualifikationen Was Pfadfinder für die Arbeitswelt lernen
Das Berufsleben verändert sich rasant. Beschäftigte müssen sich darauf einstellen, was nicht immer leicht ist. Warum Erfahrungen bei den Pfadfindern für junge Menschen im Job hilfreich sein können.
Carolin muss nicht lange überlegen. "Die besten Erinnerungen an meine Pfadfinderzeit sind auf Zeltlagern entstanden", sagt sie und kommt sofort ins Schwärmen. In einem Sommer hätten sie auf einer einsamen Insel gezeltet. "Es gab keine Nachbarn, keine Möglichkeit zum Einkaufen, nur der See, die Insel, unsere Kanus und wir."
Pfadfinder-Erlebnisse in der Kindheit? Für Benedikta bedeutete das Freiheit pur, "austesten, was geht, Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen erlangen. Das Erleben der Natur ganz nah, direkt spürbar, 24/7 wie man heute sagt." Und dann der Kulturschock, wenn man nach zwei Wochen draußen Schlafen wieder in ein Zimmer "eingesperrt" gewesen sei.
Mehr als 100-jährige Geschichte
Die Pfadfinderbewegung gibt es seit mehr als 100 Jahren. Gründer war der Brite Robert Baden-Powell. Er war Soldat, kam als junger Mann zur Kavallerie und sollte dort schnell Karriere machen. Seine Einsatzgebiete: Indien, später Malta und der Balkan und immer wieder Afrika.
Baden-Powell muss ein ungewöhnlicher Mann gewesen sein, der schon früh seine ganz eigenen Vorstellungen von der Arbeit und der Organisation einer Armee mit einbrachte. So begann er, seine Untergebenen in kleine Gruppen einzuteilen und ihnen Verantwortung zu übertragen, um so eigenständiges Denken zu fördern.
Ein Ereignis sollte für Baden-Powell von entscheidender Bedeutung werden: Die Belagerung von Mafeking. Das war im Jahr 1899. Damals verteidigte er 217 Tage lang mit seiner Einheit die südafrikanische Kleinstadt gegen eine Übermacht der Buren. Jugendliche wurden als Meldeläufer und Kundschafter eingesetzt. Ihr Verantwortungsbewusstsein und ihre Verlässlichkeit beeindruckten. Baden-Powell wurde klar, dass das Zutrauen in die Fähigkeiten anderer Menschen ungeheure Potenziale freisetzen kann.
Schichtgrenzen werden überwunden
Im Sommer 1907 lud der General 20 Jungen zu einem Zeltlager auf Brownsea Island ein. Sie kamen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, Das war ungewöhnlich für die damalige Zeit. Auf dem Programm stand Hütten bauen, Knoten knüpfen, Feuer machen und sich orientieren in schwierigem Gelände, also Lerninhalte, die aus der militärischen Ausbildung kamen.
Baden-Powell wollte auf dem Zeltlager aber keine Nachwuchssoldaten heranziehen, sondern seine Erfahrungen bei der Armee, die er für gut befunden hatten, an andere weitergeben. Die Jungen sollten vieles ausprobieren dürfen, "learning by doing" - Lernen durch Ausprobieren - war eine Grundidee. Es war die Geburtsstunde der Pfadfinderbewegung. Heute ist es die größte Jugendbewegung der Welt.
Für die einen sind Pfadfinder mit ihrer Kluft, den Fahnen und dem "Gruppengedöns" aus der Zeit gefallen, andere loben sie als Pioniere des Miteinanders und der Gemeinschaft. "Durch meine Erfahrungen bei den Pfadfindern bin ich viel mutiger, selbstbewusster und engagierter geworden", findet Theresa. "Durchhalten, weitermachen und sich nicht entmutigen lassen" habe sie bei den Pfadfindern gelernt, sagt Klara. Und für Carina sind es "die Gemeinschaft, der Zusammenhalt und auch die bei den Pfadfindern vermittelten Werte, die mich sehr geprägt haben".
Arbeiten im Team
Das sind alles Werte und Lebenseinstellungen, die in der modernen Arbeitswelt aktueller sind denn je. Vieles ist im Umbruch. Äußere Rahmenbedingungen ändern sich. Unternehmen müssen darauf reagieren. "Veränderung ist heute Normalzustand", sagt die Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen, Jutta Rump.
In der Praxis bedeutet das, dass Arbeit zunehmend in Teams erledigt wird. Agile Arbeitsmethoden und Vernetzung spielen eine große Rolle. "Eine einzelne Person kann die Komplexität vieler Aufgaben und vor allem die Geschwindigkeit, mit der die Aufgaben bewältigt werden sollen, gar nicht mehr bewältigen."
Michael war viele Jahre Pfadfinderleiter, auch Vorsitzender seines "Stammes". In seine Pfadfinderzeit habe er vieles gelernt, was ihm später bei seinem beruflichen Werdegang und seiner Karriere sehr hilfreich gewesen sei. "Für mich als Gruppenleiter bedeutete das, die Talente und Fähigkeiten eines jeden einzelnen Gruppenmitglieds zu entdecken und zu fördern", sagt er heute rückblickend. "Das bedeutete aber auch, dass ich mit den unterschiedlichen Charakteren und Persönlichkeiten zurechtkommen und mich darauf einstellen musste." Heranwachsende wollten sich ausprobieren, Grenzen austesten. "Ich musste lernen, sie zu motivieren. Dabei war mir klar, dass ich kein Druckmittel in der Hand hatte, sondern mit dem, was ich tat und wie ich es tat, überzeugen musste."
Eine Schule der Verantwortung
Die Erfahrungen junger Menschen zeigen: Pfadfinder sein bedeutet, unterwegs sein, früh zu lernen, Verantwortung zu übernehmen - für sich selbst, für andere, für die Gesellschaft insgesamt. Miteinander, voneinander lernen, füreinander einstehen. Das schweißt zusammen. Ängste, Zweifel, auch das Scheitern gehört dazu. Was Pfadfinder lernen? Führung, Teamarbeit und Selbstorganisation. Was sie erfahren? Gemeinschaft. Eigenes Tun zeigt Wirkung.
Jeder kann im Rahmen seiner Möglichkeiten Dinge anstoßen - und das unabhängig vom Alter oder von den Lebensumständen. Das gibt Mut und Selbstvertrauen, das eigene Leben in die Hand zu nehmen. "Das hilft auch, in einer komplexen Welt, wo Veränderung der Normalzustand ist, gelassen zu bleiben und sich auf die eigenen Stärken zu konzentrieren", meint Wissenschaftlerin Rump. Ob das immer die Basis für eine Karriere im klassischen Sinn ist, sei dahingestellt. "Lebensbereichernd ist es auf jeden Fall."