Wandel in der Mobilität Langsamer Abschied von einem Statussymbol
In der Autobranche mehren sich die schlechten Vorzeichen: Immer mehr Konzerne haben Absatzsorgen, vor allem in Europa. Das liegt zwar in erster Linie an der Rezession im Süden des Kontinents, zeitgleich stellen Forscher aber fest: In Großstädten und bei jungen Menschen verliert das eigene Auto an Reiz.
Von Jörn Unsöld, tagesschau.de
Daimler hat den Daumen gesenkt. Fürs laufende Jahr rechnet der schwäbische Autobauer nicht mehr damit, das operative Ergebnis von 8,1 Milliarden Euro aus dem Vorjahr erreichen zu können. Und einen Schuldigen haben die Stuttgarter schon ausgemacht: Die Rezession im Süden Europas.
Die Zahlen scheinen das zu belegen: Im ersten Quartal dieses Jahres wurden in Westeuropa nur 2,9 Millionen neue Autos deutscher Produktion zugelassen, ein Rückgang um knapp zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Anders sieht es nach Angaben des Verbands der Automobilindustrie VDA in China aus. Dort brummt das Geschäft noch: 3,9 Millionen Autos wurden im ersten Quartal 2013 zugelassen, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein Plus um 25,4 Prozent.
Alte Geschäftsmodelle bald überholt?
Den Konzernlenkern - egal ob bei Daimler, VW oder BMW - bereitet daher vor allem die Entwicklung auf dem heimischen Markt Sorgen - und wirft die Frage auf, ob allein die wirtschaftliche Lage dafür verantwortlich ist oder sich die alten Geschäftsmodelle der Autobauer bald überholt haben.
Für den Automobilexperten Ferdinand Dudenhöffer scheint die Sache zunächst klar: "Der Einbruch bei den Absatzzahlen hat nichts mit der Autoindustrie zu tun, sondern mit der schlechten Konjunktur", sagt der Wissenschaftler der Universität Duisburg-Essen zu tagesschau.de.
Opel war erst der Anfang
Vor allem die Lage in Südeuropa sei katastrophal. Beispielsweise wurden in Spanien im vergangenen Jahr nur 700.000 neue Wagen zugelassen; im Jahr 2005 waren es noch 1,65 Millionen. Dudenhöffers Prognose: Kurzfristig wird es weitere Werksschließungen in Europa geben, das Bochumer Opel-Werk war erst der Anfang. In fünf bis sechs Jahren werde sich die Lage auf dem Automarkt aber erholt haben, sagt der Wissenschaftler voraus.
Auch sein Kollege Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach führt die aktuellen Absatzeinbrüche auf die Rezession in Südeuropa zurück. Doch zeitgleich stellt er einen Sinneswandel fest, insbesondere in großstädtischen Ballungsräumen in Europa: Der Trend geht weg vom Autokauf.
"Eigenes Auto ist nicht mehr das Non-Plus-Ultra"
"Es zeichnet sich eine Ent-Emotionalisierung in Bezug auf das Auto ab", sagt der Wissenschaftler. Mit anderen Worten: Das Statussymbol von einst wird von immer mehr Menschen als purer Gebrauchsgegenstand wahrgenommen. "Für junge Menschen ist der Besitz eines eigenen Fahrzeugs nicht mehr das Non-Plus-Ultra", ergänzt Dudenhöffer.
Dies zeigt sich nach den Worten des Mobilitätsforschers Martin Lanzendorf von der Frankfurter Goethe-Universität auch daran, dass - vor allem in Großstädten - junge Menschen seltener das Auto nutzen und später den Führerschein machen. In Fragen der Mobilität spiele sich derzeit ein "faszinierender Umbruch" ab. Und der spiegele sich nicht nur im Verhalten der Menschen wider, sondern auch in den Angeboten der Unternehmen.
Denn immer mehr Autokonzerne engagieren sich bei sogenannten Mobilitätsdienstleistungen. Deutlichstes Zeichen ist Daimlers Einstieg im vergangenen Jahr bei der Internetfirma Carpooling, die die Plattform mitfahrgelegenheit.de betreibt. Der Weltkonzern mit seinen mehr als 275.000 Mitarbeitern kaufte sich mit acht Millionen Euro bei dem Unternehmen ein, das nur knapp 50 Beschäftigte hat, aber eigenen Angaben zufolge knapp 3,6 Millionen registrierte Nutzer. Und auf die baut offenbar der Stuttgarter Autoriese.
Anhaltender Carsharing-Boom
In einigen Städten wie etwa Düsseldorf, Hamburg, Köln oder Stuttgart betreibt Daimler außerdem bereits das Mietsystem Car2go, um auch den Anschluss in Sachen Carsharing nicht zu verpassen. Nach Angaben des Bundesverbandes CarSharing nutzten in Deutschland im Jahr 2012 knapp eine halbe Million Menschen entsprechende Angebote, etwa doppelt so viele wie im Jahr zuvor.
Und dieser Boom beim Carsharing lässt sich auch mit dem Boom bei den Smartphones begründen, wie Mobilitätsforscher Lanzendorf erklärt: Anders als noch vor wenigen Jahren ist es heutzutage mit einem Klick auf die entsprechende App möglich, ein freies Auto in der unmittelbaren Nähe ausfindig zu machen.
Ein weiteres Beispiel für das Zusammenspiel von Kommunikation und Mobilität ist die App MyTaxi, die ein Hamburger Unternehmen entwickelt hat. In MyTaxi investierten im vergangenen Jahr sowohl Daimler als auch die Deutsche Telekom - ein Beleg für die These, dass Autobauer und Telekommunikationsanbieter in dieselben Märkte drängen. Lanzendorfs Fazit: "Der klassische Automarkt in Deutschland wird perspektivisch schrumpfen."