Mobilität So rasant verändert sich die Autowelt
Fast zehn Jahre lang fahren Deutsche im Schnitt ihr Auto. In dieser Zeit verändert sich die Autowelt. Wer dem Wagen lange treu bleibt, dürfte beim nächsten Gefährt überrascht sein: Viel Liebgewonnenes und manch Verhasstes ist dann weg.
Schnell über Gas-, Brems- und Kupplungspedal tanzen, den Schaltküppel nach vorn oder hinten reißen, blitzschnell die Handbremse ziehen, um die Hunderte Pferdestärken im Rücken um die Ecke zu schieben: Wie ergeht es wohl einer Legende des Rallye-Sports, wenn sie sich in ein modernes Auto setzt, in dem der Handbremshebel zum kleinen Kippschalter, der Schaltknüppel zum Drehrädchen geschrumpft ist? "Ich genieße es." Jutta Kleinschmidt gewann als einzige Deutsche die Rallye Dakar. "Die Handbremse brauchte es im Straßenverkehr doch nur, um am Hang anfahren zu können. Jetzt gehe ich vom Gas, und dann hält das Auto die Stellung." Regelungssysteme und Software-Steuerung mache Autofahren einfach einfacher und damit besser.
Schaltstock und Kupplungspedal werden überflüssig
Dass "Hardware" immer mehr aus dem Auto fliegt, ist nichts Neues für diejenigen, die ein jüngeres oder auch hochpreisiges Auto lenken oder beruflich oder leidenschaftlich auf Autotechnik abfahren. Der Durchschnittsdeutsche jedoch bleibt seinem Auto fast zehn Jahre lang treu - und damit länger als eine Modellgeneration. Wenn er dann das nächste Auto besteigt, wird er an der einen oder anderen Stelle ins Leere greifen oder treten.
Denn die Streichlisten der verschiedenen Hersteller sind unterschiedlich, aber meist lang: Der Schaltstock und das Kupplungspedal fürs Getriebe werden im Elektroauto technisch überflüssig, weil sein Antrieb dank breitem Drehzahlbereich kein herkömmliches Getriebe mehr braucht. Auch beim Verbrenner wird die Handschaltung bei vielen Herstellern aus dem Programm genommen: Anfälligkeit, Bremsenverschleiß und unpräzise Wechsel zwischen den Gängen seien bei der Automatik angeblich Vergangenheit.
"Das ganze Fahrzeug entwickelt sich von Mechanik hin zu einem Softwareprodukt", erklärt Stefan Bratzel, Gründer und Direktor des Center of Automotive Management. "Den Begriff 'Kraftfahrer', der bestimmte Fertigkeiten beherrschte wie Kuppeln oder Zwischengas, um die Gänge zu wechseln, was ich noch vom Traktor kenne in meiner Jugend - das ist irgendwie alles vorbei." Der bordeigene Computer steuert besser, verpasst am Hang nicht den Schleifpunkt, und so reiht sich "Abwürgen" bald ein in die Liste ausgestorbener automobiler Inbegriffe wie Anlasserkurbel, Zwischengas oder Winker.
Bytes statt Schrauben
Prozessoren statt Gelenkstangen, Bytes statt Schrauben: Das macht nicht nur Autofahren, sondern auch Autobauen einfacher. Das kommt der Autoindustrie gut zupass, zwingt doch der Transformationsprozess hin zur Elektromobilität zu noch mehr Wirtschaftlichkeit. "Tesla hat drei Modelle mit ganz wenigen Auswahlmöglichkeiten und dadurch eine sehr geringe Komplexität, wodurch niedrige Kostenstrukturen möglich sind", erklärt Bratzel. Diese Tendenz schauen sich andere Hersteller ab. "Alles, was vorgehalten werden muss, kostet Geld. Und so wird jetzt immer stärker, wenn man so will, ausgemistet."
Ausgemistet und ausgelistet - das gilt nicht nur für Ausstattungsvarianten, sondern für ganze Modellreihen. Großes SUV, kleines SUV; Mittelklasse als Limousine und als Kombi; der Nischensportwagen, vielleicht auch noch als Cabriolet: Die Zahl der Fließbänder müsste - vereinfacht gesagt - verdoppelt werden, um Verbrenner und das Elektro-Pendant weiterhin in jeder Fahrzeugklasse parallel entwickeln und produzieren zu können.
Vom Aussterben bedroht scheinen dabei vor allem die kleineren Modelle der jeweiligen Hersteller. Denn je kleiner das Fahrzeug, desto kleiner die Gewinne daran, und im Transformationsprozess muss es dran glauben. So werden dieses Jahr viele Kleinfahrzeugklassiker nicht mehr angeboten. Offizielle Begründung meist: in kleinen Autos keine großen Akkus möglich.
Mobilität im Auto wird teurer
Dass sich nicht nur das Auto an sich, sondern auch die Vielfalt verändert, könnte für Interessenten von Kleinwagen oder Menschen mit kleinerem Geldbeutel in den nächsten Jahren zum Problem werden. Bratzel: "Die soziale Dimension der Automobilität ist wichtig. Dennoch wird Automobilität perspektivisch eher teurer. Es wird noch ein bisschen dauern, bis es finanzierbare Kleinwagen gibt."
Jutta Kleinschmidt sieht das anders: "Kleinwagen haben eine Daseinsberechtigung! Die meisten Menschen fahren doch nicht weiter als 200 Kilometer am Tag. Ein kleines und vor allem günstiges Auto bietet sich da an."
Kleinschmidt und Bratzel sehen Spielraum in den Batterie-Größen: "Das Teure am E-Auto ist die Batterie. Wozu eine teurere 100-Kilowatt Batterie, wenn nicht oft weite Strecken gefahren werden?" fragt die studierte Physikerin Kleinschmidt, die den Dakar-Titel in einem Verbrenner holte, zuletzt in der Rennserie "Extreme E" für Off-Road-Elektro-Prototypen an den Start ging und somit Erfahrung in beiden Antriebswelten gesammelt hat.
Beide verweisen aber auch auf die finanzielle Gesamtbetrachtung des E-Autos: Würden Wartungen und Reparaturen miteinbezogen, relativiere sich der hohe Anschaffungspreis bereits jetzt. Dennoch betont Bratzel: "Man muss gesellschaftlich dafür sorgen, dass auch Haushalte mit kleinerem Geldbeutel sich Automobilität noch leisten können."
Das Statusdenken verlagert sich
Diese Rolle spielte in Deutschland einst der "Käfer". Er machte Autofahren erschwinglich. Sein Hersteller verspricht nun mit ähnlichem Ansinnen, demnächst einen elektrischen Kompaktwagen auf den Markt zu bringen. Seine Beschleunigungswerte waren noch vor wenigen Jahren Sportwagen vorbehalten: von null auf 100 km/h in sieben Sekunden.
Nichts entwerte ein Auto so sehr wie ein Nachbar, der sich ein neues zulegt, heißt es in der Autobranche. Wird sich das auch ändern? "Die jungen Menschen sind nicht mehr so autoversessen wie meine Generation, das Statusdenken hat sich verlagert in Richtung Vernetzung, Computer. Heute übertrifft die Navigation meines Smartphones das Navigationssystem von vielen älteren Autos. Es geht in diese Richtung, und immer mehr Computertechnik wird in den Autos integriert", schildert Kleinschmidt ihr persönliches Vernetzungserleben.
Stefan Bratzel vergleicht den Autoweltwandel zurzeit mit dem in der Handywelt vor 15, 20 Jahren: "Früher war immer entscheidend, dass ein Handy vier Tage lang hält, ohne es laden zu müssen. Heute denkt kein Mensch mehr darüber nach, dass er es jeden Abend in die Steckdose stecken muss - wegen der Mehrwerte eines Smartphones." Vernetzung des Autos werde der zentrale Faktor, in dem sich Autos noch unterscheiden. Sie halten das Auto andauernd aktuell und verringern Werkstattbesuche.
Kühlergrill nur noch als Zierelement
"Was aber auch immer noch ziehen wird, ist das Aussehen. Sieht das Auto besonders schön sportlich aus?" Kleinschmidt sieht die Optik weiterhin als starkes Kaufkriterium. Und tatsächlich halten viele Autohersteller deshalb an einer wichtigen Bühne für ihr Markendesign fest: Der Kühlergrill hat seine Funktion als Lufteinlass für die Motorkühlung und Schutz des Kühlers vor Steinschlag auf früher oft unbefestigten Straßen aufgrund von Fortschritt längst hinter sich gelassen.
Dennoch bleibt das Frontbauteil bei manchen Herstellern allein als Zierelement - gerahmt mit Chrom, gekrönt mit dem Markenemblem und in Formen von "BMW-Niere", "Audi-Singleframe" und dem "Scudetto", dem Schild bei Alfa Romeo. Form folgt hier nicht der Funktion, sondern dem Ziel, dem Einheitslook mit einer eigenen Visitenkarte entgegenzustehen.
Wenn jener Nachbar mit seinem neuen Wagen vorfährt, wird er übrigens weiterhin trumpfen können - etwa beim Fachvokabular: Elektroautos brauchen weniger Motorraum. So bietet sich mehr Platz für "Frunk", englisch, gesprochen "Frank". Es ist ein Kofferwort aus den Begriffen "Front" und dem englischen "Trunk" für Kofferraum. Wer hat den Laderoboter neuester Generation, der ihm das lästige Stromkabeleinstecken noch schneller abnimmt? Oder wer komponierte sein "AVAS"? Elektroautos, sonst still und leise, müssen bis 20 Kilometern pro Stunde dieses akustische Warnsignal von sich geben, um andere Verkehrsteilnehmer zu warnen. Vielleicht werden die Autofahrer der Zukunft mit dem neuesten Musikhit aus dem AVAS-Sparabo posieren. Noch ist das aber Zukunftsmusik.