Aufstieg der Populisten Ein Risiko für die Finanzmärkte
Die Wahl hat begonnen: Nicht nur viele Bürger, auch die Akteure an den Finanzmärkten fürchten eine Zunahme EU-kritischer und rechtspopulistischer Parteien - mit guten Gründen. Der Zusammenhalt der EU steht auf dem Spiel, insbesondere Italien steht im Blickpunkt.
„Politische Börsen haben kurze Beine“, lautet eine oft zitierte Börsenweisheit. Das bedeutet, dass die Finanzmärkte meistens nur kurzfristig und begrenzt auf politische Krisen und Ereignisse reagieren. Auf längere Sicht sind vor allem die Ergebnisse der Unternehmen und die Lage der Wirtschaft entscheidend, heißt es. Diesmal könnte alles anders sein, raunen zahlreiche Marktbeobachter und Experten vor der Europawahl.
Denn je mehr Parlamentssitze Populisten und Euroskeptiker erobern, desto schwieriger könnte die Situation für die EU werden. Die großen Parteienfamilien der Christdemokraten und Sozialdemokraten müssen im Vergleich zur Wahl 2014 deutliche Verluste befürchten.
„Dies wird Entscheidungen in Brüssel noch schwerer machen, weil im EU-Parlament mehr Parteien zustimmen müssen und die nationalen Regierungen noch weniger kompromissbereit sein werden“, schreibt Commerzbank-Experte Ralph Solveen in seiner Analyse zur Wahl. Und die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Szenario eintritt ist einigermaßen hoch.
Folgt auf die Europawahl ein politisches Erdbeben?
„Nach unseren Prognosen könnten Populisten und Euroskeptiker bei der diesjährigen EU-Parlamentswahl im Extremfall über 30 Prozent der Sitze erobern“, schreibt Andrea Iannelli, Investment Director beim Vermögensverwalter Fidelity. Die Mitte-Rechts-und Links-Parteien wären damit laut Iannelli erstmals in der Minderheit.“ Andere Beobachter kommen auf ähnliche Zahlen.
„Der Wahlausgang wird die dringend benötigte engere europäische Integration erschweren und zugleich die immer größer werdende Kluft zwischen Europas Bürgern und der politischen Führung verdeutlichen“, meint Darren Williams, Director Global Economic Research beim Asset Manager AllianceBernstein.
Dabei sind die Themen wirtschaftliche Lage und Beschäftigungsaussichten für die Wähler besonders wichtig, wie eine Frühjahrsumfrage des Europäischen Parlaments gezeigt hat. Migration und Kampf gegen den Terrorismus verlören demnach bei den Prioritäten an Boden.
„Schwierig, eine einheitliche Währung zu behalten“
Gerade auf wirtschaftlichem Gebiet gibt es einiges zu tun: Die größte Herausforderung für die Europäische Union sei der Weg zu mehr Konvergenz und Harmonisierung, ist Jean-Marie Mercadal, CIO beim französischen Vermögensverwalter OFI Asset Management, überzeugt. „In Anbetracht der unterschiedlichen Schuldenquoten im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, Haushaltsdefizite, Steuern und Regulierungen der Mitgliedsstaaten ist es auf Dauer sehr schwierig, eine einheitliche Währung zu behalten“, so der Fachmann.
Insbesondere die Frage der Fiskalpolitik ist von entscheidender Bedeutung: „Während in der Peripherie der Widerstand gegen die EU-Fiskalregeln wächst, stehen einige kerneuropäische Regierungen ihrerseits unter Druck, keinen Maßnahmen zuzustimmen, die die Eurozone in Richtung einer Transferunion weiterentwickelten“, schreibt Daniel Lenz, Analyst bei der DZ Bank.
Populistische Kräfte rechts wie links würden laut Lenz eine Abkehr von der Sparpolitik fordern. Einigkeit besteht bei den meisten Beobachtern darin, dass von Italien aus deshalb ein besonderes Risiko für die Märkte ausgeht. „Unser Ziel ist es, die EU-Wahlen zu gewinnen und die Regeln Europas zu ändern“, kündete der Chef der italienischen Lega, Vize-Premier Matteo Salvini an.
Sorgenkind Italien
Sollte die rechtspopulistische Lega stark abschneiden, werde er die Regierungskoalition in Rom womöglich aufkündigen und Neuwahlen anstreben, prophezeit Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden bei der Deutschen Bank. Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone. Das Land hat einen Anteil von etwa elf Prozent am realen Bruttoinlandsprodukt der EU-Länder. Für die Besitzer von italienischen Staatsanleihen, also die Gläubiger Italiens, wären das ausgesprochen schlechte Nachrichten.
„Italien hat einen der größten Schuldenberge unter den Industrieländern angehäuft. Sollte das Land in eine Rezession schlittern und zugleich seine aktuelle Ausgabenpolitik beibehalten, könnte die Schuldenquote weiter massiv steigen. Der von der Regierung prognostizierte Rückgang auf unter 130 Prozent wäre damit Makulatur“, meinen die Experten des Vermögensverwalters Fidelity.
Das wiederum hätte zur Folge, dass Italien auf dem Anleihemarkt mit steigenden Risikoprämien zu kämpfen hätte, die Verschuldung also teurer würde. Anzeichen dafür auf dem Rentenmarkt gibt es bereits. Im schlimmsten Fall könnte das sogar zu Problemen bei der Refinanzierung führen und ein Wiederaufleben der Eurokrise wäre das Resultat.
Leider ist das nicht alles: Auch in Griechenland und Spanien wachse die Opposition gegen die EU-Regeln, stellt DZ-Bank Experte Lenz fest. „Kehren mehr und mehr Länder der bisherigen Reformpolitik den Rücken, birgt das erhebliche Gefahren für die Eurozone.“ Deshalb ist der Ausgang der Wahl so bedeutend für die Bürger. Über deren Schicksal bestimmen nun mal die Ereignisse an den Finanzmärkten und Börsen mit - ob es uns gefällt oder nicht.
Robert Halver, Marktstratege bei der Baader Bank unterstreicht deshalb: „Wir brauchen zunächst eine möglichst hohe Wahlbeteiligung, um der Welt zu zeigen, dass Europa seinen Bürgern nicht egal ist, sondern eine hohe Bedeutung hat.“