Brexit-Folgen Lagerhaltung statt "Just-in-Time"-Produktion
Die "Just-in-Time"-Produktion spart der Autoindustrie viel Zeit und Geld. Doch mit dem erfolgreichen Konzept könnte bei einem ungeordneten Brexit Schluss sein. Von Ulrich Ueckerseifer.
In Oxford ist der Hochsommer in diesem Jahr schon im April - zumindest im dortigen BMW-Werk, in dem der Mini produziert wird. Denn BMW möchte auf der sicheren Seite sein, falls es am Freitag, 29. März, um Mitternacht einen harten Brexit gibt. Dann gehen die Mitarbeiter nicht ins Wochenende, sondern gleich in die Sommerpause. Im April wird das Werk auf Vordermann gebracht - Wartung ist angesagt statt Produktion. Das ist in der Autobranche so üblich, aber eben normalerweise in den Sommerferien.
Mini-Produktion in Oxford. Sollte es zu einem ungeregelten Brexit kommen, könnte die für den Mutterkonzern BMW schnell unrentabel werden.
Im Fall eines ungeordneten Brexits aber ist Chaos programmiert: lange Lkw-Schlangen vor dem Eurotunnel und an den Zollstationen. Auf den Ladeflächen der Lastwagen werden derzeit noch aus vielen Ländern Europas die Autoteile nach Großbritannien geliefert, aus denen dann in Oxford der Mini zusammengebaut wird.
"Just in Time" spart viel Geld
Aus Tausenden Teilen besteht ein Auto, im Fall des Mini kommen diese Teile unter anderem aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Ungarn und Polen. Das liegt daran, dass immer dort gefertigt wird, wo die notwendige Qualität zum günstigsten Preis produziert werden kann - in der Autoindustrie ist der Preisdruck besonders hoch.
Die Anlieferung ins Werk erfolgt schon seit Jahren "Just in Time“, also genau zum richtigen Zeitpunkt. Soll heißen: kurz bevor die Teile verarbeitet werden. Dieses System spart den Autobauern viel Geld, denn der Lkw ist gleichzeitig auch das (rollende) Lager. Statt großer, teurer Lagerhallen brauchen die Unternehmen so nur kleine Vorräte für wenige Stunden oder Tage.
Autobauern drohen empfindliche Verluste
Die ausgefeilte Logistik macht die Autoproduktion billiger, doch bei langen Staus und zeitraubenden Zollkontrollen ist es damit vorbei. Für die Autohersteller, die auf der Insel produzieren, stellt sich auch grundsätzlich die Frage, ob es nicht besser wäre, in Großbritannien nur noch für den dortigen Markt zu produzieren.
Denn bei einem No-Deal-Brexit würde erst mal auf jedes Auto, das von Großbritannien in die EU importiert wird, ein zehnprozentiger Einfuhrzoll fällig. Zum Vergleich: BMW ist einer der profitabelsten Autohersteller der Welt und kommt auf eine Gewinnmarge von elf Prozent.
Kilometerlanger Stau bei Dover: Solche Bilder dürften die Regel werden, kommt es zu einem ungeregelten Brexit.
Auch Airbus und viele andere Firmen betroffen
So wie BMW geht es vielen anderen Unternehmen. Das gilt für große wie Airbus, wo die zusätzlichen Lagerkosten schnell in die Millionen gehen. Es gilt aber ebenso für viele mittelständische Unternehmen - auch, wenn die gar nicht selbst in Großbritannien produzieren, sondern lediglich Zulieferer sind.
Ob ein harter Brexit für die Zulieferer zu einem ernsthaften Problem wird, hängt vom Vertrag ab, genauer gesagt vom Übergabepunkt der Ware. Beispiel: Ein mittelständischer Autozulieferer liefert aus Deutschland Teile für den Mini.
Ist im Vertrag zwischen BMW und dem Zulieferer als Übergabeort der Ware der Fabrikhof des Zulieferers genannt, dann ist der fein raus: BMW muss sich drum kümmern, dass die Teile pünktlich ins Werk nach Oxford kommen. Muss aber der Zulieferer dafür Sorge tragen, dass die Ware pünktlich ins Werk kommt, dann drohen ihm teure Vertragsstrafen, wenn es der Lkw nicht pünktlich schafft und im Mini-Werk die Bänder stillstehen.
Standortnachteil für Briten
Ein harter Brexit wäre für Unternehmen doppelt teuer, denn Zölle kosten eben nicht nur Geld, sondern auch viel Zeit. Darum gehen Branchenkenner davon aus, dass sich in diesem Fall in der Autoindustrie kurzfristig die Produktionsprozesse verändern werden: mehr Lagerhaltung, weniger "Just in Time".
Da das aber teuer ist und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen verringert, würden sich mittelfristig die Produktionsstandorte ändern, etwa bei BMW: So könnte künftig zum einen ein größerer Teil der Motoren für den Mini in Österreich und weitere Varianten des Mini in den Niederlanden statt in Großbritannien gebaut werden - so wie heute schon das Mini-Cabrio. Das kann Jobs in Oxford kosten.
Nissan hat in Großbritannien ein Werk in Sunderland.
Brexit kostet Nissan Hunderte Millionen Pfund
Noch deutlich schlechter als für Oxford sieht es für die Standorte der japanischen Hersteller aus: Honda, Nissan und Toyota, sie alle haben Fabriken in England und verkaufen nur den kleineren Teil der produzierten Fahrzeuge in Großbritannien selbst.
Nissan schätzt die Kosten des Brexits für das Unternehmen auf mehrere hundert Millionen Pfund. Dass die japanischen Hersteller im Falle eines harten Brexit ohne Zollunion viele ihrer Autos nicht mehr auf der Insel bauen werden, gilt in der Autobranche als sicher. Im Mini-Werk in Oxford haben die Arbeitnehmer zumindest eine nicht ganz unberechtigte Hoffnung: Ihr Produkt ist eine britische Ikone, aus Marketingründen spricht einiges dafür, die Hauptproduktion auf der Insel zu belassen.