Spuren der Nazis Schatten auf erstem Bundesbankpräsidenten
Die Bundesbank hat ihre Vergangenheit in einer Studie aufarbeiten lassen. Diese zeigt, dass viele ehemalige Nazis wieder zu Amt und Würden kamen. Auch der erste Bundesbankpräsident Blessing wird belastet.
"Von der Reichsbank zur Bundesbank" heißt eine Broschüre, in der die Wurzeln der Deutschen Bundesbank freigelegt werden. Bundesbankpräsident Joachim Nagel und zwei renommierte Geschichtsprofessoren haben die Studie einer Arbeitsgruppe in Frankfurt am Main vorgestellt.
Personal aus der Nazizeit kam in der Bundesbank wieder zu Amt und Würden. Die neue Studie stellt auch den ersten Präsidenten der Bundesbank, Karl Blessing, in neues Licht.
Eine deutsche Karriere
Blessing hatte in der Reichsbank gelernt und war Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht aufgefallen. Albert Ritschl von der London School of Economics beschrieb Blessings Rolle mit dem modernen Begriff des "persönlichen Referenten".
Auf Betreiben Schachts wurde Blessing mit nur 37 Jahren Mitglied des Direktoriums. "Die deutsche Aufrüstung wäre nicht möglich gewesen ohne die Finanzierung, die Hjalmar Schacht angelegt hatte", sagt Magnus Brechtken vom Münchner Institut für Zeitgeschichte. Später ging es um "Instrumente der finanziellen Kriegsführung", ergänzte Ritschl.
Rohstoffe aus besetztem Osteuropa pressen
Nach vorsichtiger Distanzierung von Hitlers Wirtschaftspolitik war Blessing 1939 als Rohstoffmanager in die Privatwirtschaft gewechselt. Ein Ziel der Nazis im Krieg war, aus dem besetzten Osteuropa Rohstoffe zu pressen, vor allem Öl. Blessing hatte "die zentrale Rolle in den Planungen", sagte Brechtken.
Auch wenn Blessing weit entfernt von Verbrechen an den Einsatzorten gesessen habe, habe es natürlich Beziehungen zu ihm in der Zentrale gegeben. "Das ist in keiner Weise zu vernachlässigen", ergänzte Wirtschaftshistoriker Ritschl. Über die Einzelheiten in den beteiligten Unternehmen sei aber wenig bekannt. "Die Quellenlage ist schwierig", erklärte Brechtken.
Private Akten zu Blessing
Karl Blessing wurde Begründer einer deutschen Bankerdynastie. Sein Sohn Werner war Vorstand der Deutschen Bank, Enkel Martin Chef der Commerzbank. Heute ist Martin Blessing bei der dänischen Großbank Danske Bank.
In der Bundesbankbroschüre heißt es zu Karl Blessing, es läge "weder ein privater Nachlass noch ein Tagebuch vor". Auf Nachfrage ergänzte Historiker Brechtken, dass die Forscher Kontakt zur Familie haben und dort offenbar auch Archivalien liegen. Es sei noch offen, was davon zur wissenschaftlichen Verwertung freigegeben werde.
Rückgriff auf alte Eliten
Obwohl in den fünfziger Jahren eine Riege modern ausgebildeter Ökonomen zur Verfügung stand, griff der deutsche Staat auf Blessing als ersten Präsidenten der Bundesbank zurück. Die Prägung und Qualifikation aus der Wirtschaftsverwaltung der Nazis galt als wertvoll, analysierte Ritschl.
Die Historikergruppe hat eine Handvoll Männer um Reichsbankpräsident Schacht identifiziert, die über Jahrzehnte die deutsche Geldpolitik bestimmten. Das Fachpersonal habe "engagiert funktioniert" beschrieb Brechtken - egal, ob in der Weimarer Republik, im Nazistaat oder in der Bundesrepublik. "Die Ära dieses kleinen Klubs reicht von 1923 bis 1968", sagte Ritschl. 1968 ging Blessing in Pension.
Erschütterung in der Bundesbank
Künftig werde es "kein verklärtes Bild" der Bundesbank mehr geben, sagte Präsident Joachim Nagel. Gefragt, ob nun Porträts seines Amtsvorgängers Blessing abgehängt würden, erklärte Nagel erst: "Ich kann die Person nicht aus der Geschichte der Bundesbank löschen" und ergänzte dann, er wisse noch nicht, wie es weitergehen werde. "Wir werden das Thema nicht ruhen lassen."
Nagel hatte die Präsentation der Studie erst mit sehr knappen Worten eingeleitet. Während der Veranstaltung sah man den sonst nüchternen Notenbanker mehrmals nach Worten suchen und um Fassung ringen. Er wies auf das Foto einer Kiste mit Eheringen hin. Sie waren KZ- Häftlingen abgenommen und von der Reichsbank eingeschmolzen worden. "Man kann vieles nicht nachvollziehen und verstehen", sagte Nagel und stammelte dann kopfschüttelnd: "Es ist unerträglich. Heute ist für mich kein Tagesgeschäft", schloss Nagel.
Die Broschüre soll auch in englischer Sprache erscheinen. Für die Fachwelt sind ein wissenschaftlicher Sammelband und acht Einzelstudien in Vorbereitung. Die Bundesbank hat die Arbeit von einem Dutzend Historikern in zwei Teams jahrelang finanziert. Insgesamt kostet die Bundesbank die Aufarbeitung der eigenen Geschichte 3,6 Millionen Euro.