EU zu Strompreis-Rabatten für Industrie Berlin schießt scharf gegen Brüssel
Erst einen Tag ist die Regierung im Amt - und schon legt sie sich mit der EU-Kommission an. Brüssel hatte am Morgen ein Beihilfeverfahren wegen der Strompreis-Rabatte für die deutsche Industrie eingeleitet. Doch Berlin will sich das nicht bieten lassen.
Die neue Bundesregierung geht im Streit über Ökostrom-Rabatte für die Industrie auf Konfrontationskurs mit Brüssel. "Wir werden der EU-Kommission sehr deutlich machen, dass Deutschland ein starker Industriestandort bleiben möchte", sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Europa werde "nicht dadurch stärker, dass in Deutschland noch Arbeitsplätze gefährdet werden", so Merkel weiter. "Solange es europäische Länder gibt, in denen der Industriestrom billiger als in Deutschland ist, kann ich nicht einsehen, wieso wir zur Wettbewerbsverzerrung beitragen."
"Verstoß gegen das Wettbewerbsprinzip"
Die Kommission hatte am Morgen ein Beihilfeverfahren gegen Deutschland angekündigt an. Es geht darum, dass die deutsche Industrie jedes Jahr vier Milliarden Euro einspart, weil Unternehmen, die viel Energie verbrauchen, von höheren Preisen für Ökostrom befreit sind.
Nach Ansicht der EU-Kommission verstoßen die Vergünstigungen gegen das Grundprinzip des fairen Wettbewerbs in Europa. Im Extremfall könnten auf die deutsche Industrie nun milliardenschwere Rückforderungen zukommen. Der Ausgang des Prüfverfahrens, das etwa ein Jahr dauern dürfte, ist allerdings offen.
Der neue Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) äußerte sich zuversichtlich, dass es am Ende keine Nachzahlungen geben werde. Als Indiz für den guten Willen der EU werteten Beobachter, dass die EU-Kommission kein Verfahren gegen das gesamte Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und damit den Eckpfeiler der Energiewende einleitete - sondern nur gegen die Rabatte.
Immer mehr Betriebe werden befreit
Das EEG legt fest, dass Betreiber von Windparks, Solar- und Biogasanlagen feste Vergütungen für ihren Strom bekommen. Zahlen tut dies der Verbraucher per Umlage über den Strompreis. 2014 steigen diese Umlagekosten auf etwa 23,5 Milliarden Euro. Belastet werden vor allem die Privatkunden - denn was die energieintensiven Betriebe durch die Befreiungen einsparen, zahlen die übrigen Verbraucher noch zusätzlich.
Er habe ernste Zweifel, ob die Entlastungen für deutsche Firmen gerechtfertigt seien, sagte EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia. "Die anderen Verbraucher müssen diese Ausnahmen kompensieren. Unserer Analyse zufolge ist das ein selektives Vorgehen, das einer Diskriminierung Vorschub leistet." Die Untersuchungen bezögen sich bislang auf die Vergangenheit. Er werde aber auch prüfen, wie die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag umgesetzt würden.
Almunia stört sich vor allem daran, dass Deutschland zuletzt für immer mehr Unternehmen Ausnahmen machte - nicht mehr nur für solche, die besonders viel Energie verbrauchen oder die im internationalen Wettbewerb stehen. In diesem Jahr kommen rund 1700 Betriebe in den Genuss der Befreiung. 2014 könnten es schon 2800 sein.
EU-Kommission öffnet ein Hintertürchen
Die Bundesregierung muss nun zu einzelnen Kritikpunkten Stellung beziehen. Am Ende entscheiden die Wettbewerbshüter, ob die Ausnahmen bestehen bleiben dürfen oder nicht.
In ihrer Erklärung deutete die Kommission bereits ein mögliches Hintertürchen für die Bundesregierung an: "Die Kommission ist der Auffassung, dass Teilbefreiungen von der Umlage zur Finanzierung erneuerbaren Stroms für stromintensive Nutzer unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt sein könnten, um eine Verlagerung von CO2-Emissionen zu vermeiden."
Kritik aus der deutschen Industrie
Kritik an der EU-Entscheidung kam auch aus der Wirtschaft: "Der Ausgang des Prüfverfahrens hat erheblichen Einfluss auf die Zukunft des Industriestandorts Deutschland", sagte der Chef des Industrieverband BDI, Ulrich Grillo. Ein Wegfall der Entlastungen für energieintensive Unternehmen bedeute für viele Unternehmen und Tausende Arbeitsplätze das sofortige Aus.
Der Verband "Energieintensive Industrien in Deutschland" äußerten sich zuversichtlich, dass die Rabatte Bestand haben werden. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl erklärte, die im internationalen Wettbewerb stehende Stahlindustrie sei auf die Entlastungen dringend angewiesen. Ohne die Rabatte müsste die Branche 2014 eine Milliarde Euro mehr zahlen als ohne.